Gottesdienst in der Marienkirche von Diyarbakir: Auf Aramäisch rezitiert Pfarrer Yusuf Akbulut seine Verse, ein Ministrant schwenkt dazu das Weihrauchfass. Nur eine Handvoll Gläubige sitzen in den Kirchenbänken: Die gesamte Gemeinde der syrisch-orthodoxen Kirche zählt in Diyarbakir nur noch etwa 30 Menschen, erzählt der Pfarrer nach dem Gottesdienst. Historisch habe die Marienkirche von Diyarbakir dennoch große Bedeutung:
"Diese Kirche wurde ursprünglich im dritten Jahrhundert erbaut, also vor etwa 1750 Jahren. Sie wurde im 14. Jahrhundert von Timur dem Lahmen zerstört und seither mehrmals wiederaufgebaut und restauriert. Früher war hier das Patriarchat ansässig, also der Sitz des Patriarchen der syrisch-orthodoxen Kirche, im 11. Jahrhundert und dann wieder im 19. Jahrhundert. Außerdem residierte hier ein Metropolit, bis die Kirchenführung 1933 nach Syrien übersiedelte. Unsere Marienkirche ist während alledem und bis heute stets geöffnet und aktiv geblieben. Gott sei es gedankt."
Die letzte intakte Kirche
Auch Pfarrer Akbulut selbst ist es zu verdanken, dass die Marienkirche noch immer aktiv ist – als einzige der vielen Kirchen, die es in Diyarbakir einst gab. Noch vor wenig mehr als hundert Jahren war Diyarbakir zu einem Drittel von Christen bevölkert: Armenier, Aramäer, Assyrer, Chaldäer, Orthodoxe, Katholiken und Protestanten. Die meisten von ihnen kamen während der Massaker an den anatolischen Christen von 1915 um oder wurden im Laufe des 20. Jahrhunderts vertrieben, so dass heute fast nur noch muslimische Kurden in Diyarbakir leben.
Für die wenigen verbliebenen Christen gab es bis vor ein paar Jahren noch ein halbes Dutzend Kirchen in der Stadt. Doch die wurden fast alle bei den Kämpfen zerstört, die sich die kurdische Terrororganisation PKK und die türkische Armee vor drei Jahren um die Altstadt von Diyarbakir lieferten. Von allen Kirchen überstand einzig die syrisch-orthodoxe Marienkirche die Kämpfe fast unversehrt, erzählt Pfarrer Akbulut:
"Wir sind im Krieg hiergeblieben, meine Frau und ich, auch nachdem die ganze Altstadt evakuiert wurde und alle Einwohner geflohen sind. Wir haben gesagt, wir verlassen die Kirche nicht, wir müssen sie beschützen. Und dann ging es los, die Kämpfe tobten ringsherum, links und rechts explodierten die Geschütze, auf allen Seiten, es war furchtbar. Es gab keinen Strom mehr, kein Wasser, und irgendwann waren auch die Telefonverbindungen abgeschnitten. Da haben wir es aufgeben müssen, meine Frau und ich. Wir haben eine weiße Fahne gehisst und die Kirche verlassen."
"Alle sind willkommen"
Vier Monate lang lebten Akbulut und seine Frau in einem Hotel außerhalb der Altstadt, bis die Kämpfe endeten und sie zurückkehren durften. Außer ein paar zerborstenen Türen fanden sie die Marienkirche fast unversehrt vor. Andere Gemeinden hatten weniger Glück: Die armenisch-apostolische Kirche, die armenisch-katholische, die armenisch-protestantische und die chaldäisch-katholische Kirche wurden alle in den Kämpfen zerstört. Seither hält Pfarrer Akbulut die Tür der Marienkirche für Angehörige aller Glaubensrichtungen geöffnet:
"Die anderen Kirchen liegen alle im Sperrgebiet: Die zerstörten Teile der Altstadt darf man seit den Kämpfen nicht mehr betreten. Wir sind die einzige intakte und aktive Kirche, und natürlich sind uns alle hier willkommen."
Dieser Einladung folgen vorwiegend die Chaldäer, von denen es in der Gegend noch einige gibt. Für andere Denominationen ist das weniger praktikabel, sind die Riten und sogar die Kalender der Kirchen doch sehr unterschiedlich. So feierten die armenischen Christen Ostern in diesem Jahr eine Woche früher als die syrisch-orthodoxe Kirche.
Osterfrühstück im Lokal
Mangels eigener Kirche traf sich die armenische Gemeinde von Diyarbakir in einem Lokal zum Osterfrühstück. Ein Gottesdienst sei unter diesen Umständen nicht möglich, bedauerte Gafur Türkay vom Gemeindevorstand:
"Ohne Kirche können wir unsere religiösen Riten nicht ausüben, aber mit diesem Osterfrühstück wollen wir am Fest zumindest zusammen sein. Wir hoffen, dass unsere Kirche bald wiederaufgebaut wird und dass wir dann auch wieder fröhlichere Ostern feiern können."
Für die Gemeinde der armenisch-apostolischen Kirche ist dieser Zustand besonders schmerzhaft, denn sie hatte ihre Surp-Giragos-Kirche erst vor ein paar Jahren mit großem Aufwand restauriert. Die Gemeindemitglieder sind fast alle Nachkommen von Überlebenden des Völkermordes an den Christen, die als Muslime aufgezogen wurden und erst in den vergangenen Jahren zu ihrer armenischen Identität zurückgefunden haben. Die Giragos-Kirche war die Anlaufstelle für diese Wiedergeburt der armenischen Gemeinde – seit die Kirche zerstört wurde, hat die Bewegung den Schwung verloren. Doch nun keimt neue Hoffnung auf.
Unterstützung für Wiederaufbau
Die frohe Botschaft wurde von Adnan Ertem überbracht, dem Direktor der Stiftungsbehörde, die in der Türkei für die Restaurierung historischer Bauten zuständig ist:
"Wir haben mit der Restaurierung von zwei Kirchen begonnen, der armenisch-katholischen und der armenisch-protestantischen Kirche. Die protestantische ist schon fast fertig, die katholische soll noch in diesem Jahr fertig werden. Um die armenisch-apostolische und die chaldäische Kirche konnten wir uns bisher leider nicht kümmern, weil es da gesetzliche Hindernisse gab, aber die haben wir jetzt überwunden und ein entsprechendes Protokoll unterzeichnet. Nun können wir auch mit der Restaurierung dieser beiden Kirchen beginnen."
15 Millionen Lira will der türkische Staat für den Wiederaufbau der beiden Kirchen bereitstellen, das sind derzeit rund 2,2 Millionen Euro. Der Patriarchalvikar der chaldäisch-katholischen Kirche in der Türkei, Francois Yakan, ist erleichtert, denn seine Kirche hätte sich die Restauration nicht noch einmal leisten können:
"Wir hatten die Kirche erst vor 15 Jahren aus eigenen Mitteln restauriert. Dann ist sie bei diesen schlimmen Ereignissen zerstört worden. Wir danken dem Staat dafür, dass er unsere Kirche wiederaufbaut."
In Diyarbakir vermischten sich einst die Klänge von christlichen Kirchenglocken und islamischen Gebetsrufen, erinnert sich der Patriarchalvikar, der selbst aus der Gegend stammt. Er wünscht sich, dass mit den Kirchen auch dieser multireligiöse Geist der Stadt erhalten bleibt.