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Türkei
Hohe Erwartungen an den EU-Gipfel

Die Türkei will mit den Flüchtlingen nicht im Stich gelassen werden. Sie ist bereit, die Seegrenze zu Griechenland stärker zu überwachen und Flüchtlinge aus bestimmten Ländern zurückzunehmen, die bereits eine griechische Insel erreicht haben. Geknüpft ist dies aber an zahlreiche Bedingungen, die heute auf dem EU-Gipfel in Brüssel eine Rolle spielen werden.

Von Gunnar Köhne |
    Flüchtlinge warten an einer Bushaltestelle in Istanbul.
    Flüchtlinge warten an einer Bushaltestelle in Istanbul. (picture alliance / dpa / Sergey Stroitelev)
    Im Istanbuler Stadtteil Aksaray, den viele schon "Klein-Damaskus" nennen. Hier haben sich die rund 300.000 syrischen Flüchtlinge der Stadt eine eigene Infrastruktur geschaffen: Mit Cafés, Bäckereien, Reiseagenturen und Immobilienbüros. In einem kleinen Park stehen junge Männer mit leichten Taschen und Rücksäcken in Gruppen herum. Und in den Seitengassen gibt es immer noch Rettungswesten zu kaufen.
    Dennoch: Viele Syrer hier scheinen sich eingerichtet zu haben. Die türkische Regierung weist auf die Verbesserungen für Flüchtlinge hin. So hätten die geschätzt 2,5 Millionen syrischen Vertriebenen Anrecht auf eine Arbeitserlaubnis sowie auf eine kostenlose Gesundheitsversorgung.
    Doch das sei nur die halbe Wahrheit, heißt es in einem Café, in dem überwiegend junge Syrer bei einem Glas Tee beisammensitzen. Für sie gibt es immer noch genügend Gründe, von der Türkei aus weiter zu ziehen und in Europa ihr Glück zu versuchen:
    "Wir dürfen zwar arbeiten, aber zu Hungerlöhnen und sind nicht sozialversichert. Diese Abgaben müssen die Arbeitgeber für Syrer nicht zahlen. Und kostenlos sind nur Operationen in staatlichen Krankenhäusern. Keine einfachen Behandlungen. Medikamente müssen wir auch selber zahlen."
    "In Syrien hatte ich einen eigenen Laden, hier arbeite ich als Kellner in einem Café. 15 Stunden am Tag für die Hälfte des Lohns eines Türken."
    Dennoch: Mit den Arbeitserleichterungen sieht Ankara eine Forderung der EU erfüllt, nämlich die Lebensbedingungen der Syrer im Land zu verbessern. Auch habe die Küstenwache ihre Patrouillen in der Ägäis verstärkt. Am Wochenende seien erneut zwei Menschenschmuggler festgenommen worden, meldeten türkische Medien.
    Jetzt wartet die Türkei auf das Geld
    Nun erwartet Ankara, dass die zugesagten Finanzhilfen in Höhe von drei Milliarden Euro aus Brüssel endlich fließen. Und zwar nicht "projektgebunden" für Bildung und Gesundheitsversorgung. Ministerpräsident Davutoglu will heute darauf drängen, dass eine erste Rate in Höhe von 1,5 Milliarden Euro spätestens im April freigegeben wird.
    Doch es geht der türkischen Regierung nicht bloß ums Geld. Sie erwartet auch eine politische Aufwertung als Gegenleistung für die bessere Zusammenarbeit in der Flüchtlingspolitik. Will sagen: Schnelle Fortschritte beim Beitrittsprozess zur EU - und deutliche Visaerleichterungen für türkische Staatsbürger. Ministerpräsident Davutoglu erwartet auch Verständnis der Europäer für die türkische Syrienpolitik:
    "Endlich hat auch der Rest der Welt das Ausmaß dieser menschlichen Tragödie begriffen. Seit Jahren schon fordert die Türkei die Einrichtung von Schutzzonen in Syrien. Aber wir sind immer auf taube Ohren gestoßen."
    Die Errichtung von Schutzzonen für Vertriebene auf syrischem Gebiet - notfalls gesichert durch eine Flugverbotszone - ist nicht die einzige außenpolitische Forderung, mit der Davutoglu nach Brüssel gekommen ist. Sein Stellvertreter Necmettin Kurtulmus stellte gestern klar, man werde von der EU auch eine klare Haltung zur territorialen Einheit Syriens einfordern. Ein wie auch immer geartetes unabhängiges Kurdengebiet an ihrer Grenze will die Türkei unter allen Umständen verhindern.
    Im Istanbul Stadtbezirk Aksaray, dem "Klein-Damaskus" am Bosporus, wollen viele Syrer abwarten, wie sich der heutige Gipfel zwischen der EU und der Türkei auf ihre Lage auswirken wird. Wird eine illegale Weiterreise nach Westeuropa zukünftig wirklich unmöglich sein? Und wird die EU stattdessen legale Alternativen anbieten? Und dann gibt es ja auch noch die Waffenruhe in der Heimat. Einer der jungen Syrer erkennt darin den Schimmer einer Hoffnung:
    "Wenn sich die Situation in Syrien verbessert und der Waffenstillstand stabil bleibt, würde ich zurück zu meiner Familie gehen - und nicht nach Europa. Europa war bislang großzügig und hat seine Grenzen für Syrer geöffnet. Aber wenn ich die Wahl habe, gehe ich lieber zurück und beginne in Syrien von vorn."