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Türkei
Kunst in Zeiten der Repression

Um die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Kunst ist es in der Türkei seit dem gescheiterten Putschversuch schlecht bestellt – mehr als 150 Journalisten sitzen hinter Gittern, auch Musiker und Maler müssen sich wegen ihrer Äußerungen vor Gericht verantworten. Doch die türkische Kunstszene gibt sich kämpferisch.

Von Susanne Güsten | 15.12.2016
    Der Galata-Turm gehört zu den Wahrzeichen von Istanbul. Während der Touristensaison besuchen jedes Jahr zehntausende Urlauber aus aller Welt den Turm und die umliegenden Cafes in dem europäischen Stadtteil Beyoglu. Diese Bilder vom 18.02.2011 zeigen das Bauwerk in einem ungewöhnlichen blauen Licht aus großen Strahlern. Foto: Carsten Hoffmann dpa
    Der Galata-Turm im Istanbuler Stadtteil Beyoglu - einem beliebten Kunstviertel mit vielen Bars und Cafés. (dpa / picture alliance / Carsten Hoffmann)
    So schnell kann es gehen: Vor ein paar Jahren noch zählte Istanbul zu den Hotspots der Kunstwelt. Künstler, Kuratoren und Käufer aus aller Welt drängten sich in den glitzernden Galerien von Beyoglu, die so pittoresk mit den Teehäusern, Krämerläden und Moscheen kontrastieren. Jetzt können die alten Männer von Beyoglu ihren Tee wieder ungestört trinken, denn die Ausländer kommen nicht mehr. Die internationale Kunstmesse Art Istanbul – abgesagt. Die internationale Biennale im westtürkischen Canakkale – abgesagt. Künstler, Kuratoren und erst recht Käufer bleiben der Türkei ebenso fern wie alle anderen Besucher, deren Zahl sich in diesem Jahr glatt halbiert hat. Die türkische Kunstszene ist dennoch nicht gelähmt, hat der Schriftsteller und Kunstkritiker Kaya Genc beobachtet - ganz im Gegenteil:
    "Die Künstler hier fühlen sich von der Außenwelt im Stich gelassen. Viele kritisierten diesen Rückzug der ausländischen Kunstliebhaber aus der Türkei als herablassend und rückweichlerisch. Aber letztendlich war die Reaktion vieler Künstler, dass sie gesagt haben: Dann werden wir eben noch aktiver, produzieren mehr Kunst, machen noch mehr Ausstellungen - als eine Art Widerstand gegen das, was im Land los ist."
    Der Nährboden für die Kunst ist reicher denn je
    Einer dieser Künstler ist Huo Rf, mit bürgerlichem Namen Hayrettin Ümit Özdogan, dessen Werke zuletzt in der renommierten Istanbuler Galerie Rampa gezeigt wurden. Unmittelbar nach dem Putschversuch im Sommer hatte er überlegt, das Land zu verlassen.
    "Natürlich dachten viele in meiner Umgebung und auch ich selbst daran, wegzugehen. Ich habe überlegt: Soll ich nach Europa? Oder nach Amerika? Aber dann bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass es nicht richtig wäre, fortzugehen. Denn selbst wenn ich physisch fortgehen würde– innerlich würde ich doch hierbleiben, mit meinem Denken und Fühlen. Mein künstlerisches Schaffen ernährt sich von diesem Land und dieser Stadt."
    Und der Nährboden für die Kunst ist in Istanbul reicher denn je, sagt Kunstkritiker Genc:
    "Was hier politisch passiert, das schafft viel Material für die Kunst. Istanbul hat so viel erlitten in diesem Jahr: den Putschversuch, die Panzer in den Straßen, die Bombenanschläge – wenn nun Godzilla käme oder ein UFO, würde uns das nicht mehr überraschen. Und das ist gut für die Kunst, denn Künstler leben von unsicheren Umständen - das ist es, woraus sie schöpfen."
    Im Istanbuler Szeneviertel Beyoglu pulsiert weiterhin das Leben
    Unsicherheiten gibt es für Künstler in der Türkei derzeit mehr als genug. Bei der Contemporary Istanbul protestierten im vergangenen Monat nationalistische Demonstranten gegen eine Plastik von Ali Elmaci, einem Freund von Huo, weil sie das Konterfei eines osmanischen Sultans und Kalifen auf dem Badeanzug einer Frau zeigte. Das Kunstwerk musste vorübergehend aus der Ausstellung entfernt werden. Solche Ereignisse seien natürlich beunruhigend, sagt Huo:
    "Aber auf der anderen Seite und wenn wir in die Kunstgeschichte blicken: Wenn ich ein Künstler bin und etwas zu sagen habe, dann kann ich das auf 50 verschiedene Weisen sagen. Dabei muss ich bedenken, wie das von der Gesellschaft aufgenommen wird - hierzulande kommt es schnell zu physischer Aggression. Wenn ich etwas erzählen will, dann tue ich das also auf andere Weise – weil das in meiner Umwelt notwendig ist."
    Im Istanbuler Szeneviertel Beyoglu pulsiert jedenfalls weiterhin das Leben, auch ohne ausländische Kunstliebhaber. Eine neue Energie liegt in der Luft, meint Kunstkritiker Genc:
    "Früher ging’s in der Istanbuler Kunstszene um Champagner und Kanapees. Alle haben darüber geredet, wie der Kunstmarkt wächst und wie viel Geld damit zu verdienen ist. Aber es war eine Seifenblase: Es gab zu viel Geld und zu viel satte und behagliche Kunst. Man konnte sehen, dass viele Werke nicht aus echter, gelebter Erfahrung entstanden waren, die Arbeiten waren rein rhetorisch und blieben abstrakt. Aber jetzt sind die Künstler mittendrin in der Gefahr. Ich denke, wir werden in diesem Zeitalter kritischere, lebendigere, direktere Kunst zu sehen bekommen."