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Türkei
Mehr Frauen in die Moschee!

Der türkische Staatspräsident Erdogan hat Musliminnen aufgefordert, am Freitagsgebet teilzunehmen. Das heißt auch: Männer müssen Platz machen. Konservative Gläubige protestieren: Es genüge, wenn Frauen daheim beten, sagen sie.

Von Kristina Karasu |
    Männer beim Gebet in der Sultan-Ahmed-Moschee in Istanbul.
    Wie hier in der Sultan-Ahmed-Moschee in Istanbul findet das Gebet streng nach Geschlechtern getrennt statt. (Deutschlandradio / Tim Bieler)
    Freitagmittag im konservativen Istanbuler Stadtteil Üsküdar. Die Muezzine rufen zum Freitagsgebet – das wichtigste Gebet der Muslime. Hausfrau Fatma eilt zur kleinen Bulgurlu Moschee, sie will hier beten. Am Eingang steht in großen Lettern "Frauenbereich vorhanden". Doch an der Tür wird sie von zwei Männern abgehalten.
    "Sie können hier nicht rein. Zum Freitagsgebet sind keine Frauen zugelassen, weil es so voll wird."
    Fatma bleibt nichts anders übrig, als umzukehren. Dabei beginnt schon in wenigen Minuten die Zeremonie.
    "Jetzt muss ich schnell eine Moschee finden. Ich gehe wohl ins Rathaus und bete dort."
    Beten in der Abstellkammer
    Fatmas Erlebnis ist kein Einzelfall. Freitagsmittags wird in vielen kleinen Moscheen in der Türkei auch der Frauenbereich den Männern zugeteilt. Die Begründung: das Freitagsgebet sei für Männer verpflichtend, für Frauen aber nicht. Auch an anderen Wochentagen findet man in den Gotteshäusern nur vereinzelt Frauen. Türkische Moscheen sind männerdominierte Zonen. Seit einem Jahr versucht die Istanbuler Initiative "Frauen in Moscheen" auf diese Missstände aufmerksam zu machen. Die Initiative wurde von jungen, gebildeten Musliminnen gegründet, die ihren Platz in der Gemeinde einfordern. Doch das ist ein zäher Kampf, erklärt eine von ihnen im türkischen Fernsehen:
    "In den Moscheen werden uns Frauen in der Regel die Abstellkammern zugewiesen, die Orte wo Staubsauger und kaputte Möbel aufbewahrt werden und es keine Klimaanlagen oder Heizungen gibt. Das ist sehr unangenehm. Dadurch fühlt man sich ausgegrenzt und nicht als Teil der Gemeinde."
    Willkommenskultur für Musliminnen
    Nun bekommen sie prominente Unterstützung: vom türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan persönlich. Er will mehr Frauen in die Moscheen locken -wohlwissend, dass viele seine Wählerinnen religiöse Türkinnen sind. Bei der Eröffnung der Ditib-Zentralmoschee in Köln Ende September präsentierte er sich als Streiter für die Rechte frommer Frauen:
    "Man sagt den Frauen: du kannst nicht zum Freitagsgebet oder Feiertagsgebet kommen. Sie halten Frauen davon ab, in die Moscheen zu kommen. Aber warum sollen sie nicht kommen? Wenn wir uns starke Moscheen wünschen, müssen wir auch Frauen miteinbeziehen."
    Seither versprechen Erdoğan-nahe Theologen und die Religionsbehörde Diyanet, die Bedingungen in den Moscheen zu verbessern. Man wolle eine Willkommenskultur für Frauen schaffen, etwa Frauenbereiche ausbauen und die Damentoiletten für rituelle Waschungen renovieren.
    "Sie wollen Frauen aus ihren Nestern reißen"
    Doch ultrareligiöse Türken protestieren gegen Erdoğans Vorstoß. Mehr Frauen in den Moscheen – für sie eine Schreckensvorstellung. Einer der Kritiker ist Vehbi Kara, Kolumnist der islamistischen Tageszeitung Yeni Akit. Er sieht die traditionellen Familienstrukturen bedroht, erklärt er bei einem Treffen in einem Istanbuler Mittagslokal:
    "Es geht der Regierung gar nicht darum, dass Frauen und Männer gemeinsam in der Moschee beten. Ihnen geht es darum, Frauen zu Spielzeugen und Sklaven des Kapitalismus zu machen. Sie wollen Frauen aus ihren Nestern reißen und sie von ihren Kindern trennen. Statt ihre Kinder großzuziehen sollen sie wie Sklaven in der Arbeitswelt schuften. Doch damit werden ungesunde Generationen herangezogen."
    Eine alte, schwarz verschleierte Dame hat die Rede des Kolumnisten mit angehört und bedankt sich überschwänglich für seine Worte. Kara ist mit seiner Meinung nicht allein – unter religiösen Türken stellt man das althergebrachte Frauenbild nur ungern in Frage. So auch eine junge Mutter, die mit ihrem Baby gegenüber vor der prachtvollen, historischen Süyleman Moschee wartet. Sie hat gerade hier gebetet, weil sie heute in der Stadt unterwegs ist. Doch das ist eine Ausnahme, betont sie:
    "In unserer Religion hält man es für richtiger, wenn Frauen zuhause beten. Damit Männer und Frauen sich nicht streiten und sich nicht in der Moschee begegnen."
    Der regelmäßiger Moscheebesucher und Ingenieur Roni pflichtet ihr bei:
    "In der islamischen Kultur sind Frauen sehr wertvoll und heilig. Deswegen sollten sie von den Männern und ihren Augen ferngehalten werden. Beim Gebet etwa, wenn Frauen sich niederbeugen, treten ihre Körperteile sehr zutage, dass sollten Männer besser nicht sehen. Deswegen sollten Frauen lieber zuhause beten."
    Zu Mohammeds Zeiten teilte ein Vorhang den Raum
    Der Islamgelehrte und für seine liberalen Ideen bekannte Autor Ihsan Eliaçık schüttelt über solche Aussagen nur den Kopf. Sie entbehrten jeder theologischen Grundlage, betont er:
    "Zu Zeiten des Propheten Mohammed kamen auch Frauen in die Moscheen, und zwar ständig. Zum Gebet wurde der Raum mit einem Vorhang in genau zwei Teile geteilt – auf der einen Seite die Frauen, auf der anderen die Männern. Im Koran steht nichts, was den Frauen verbietet, in die Moschee zu kommen. Die heutigen Bräuche, Frauen insbesondere vom Freitagsgebet abzuhalten, sind nichts anderes als Tradition. Eine Ausgeburt der patriarchal-feudalen Kultur. Männer, die ihre Augen nicht im Zaum halten können, sollen sie lieber selbst zuhause bleiben und dort beten."
    Eliaçık träumt von einer lebendigen Moschee, die nicht nur Gebetsstätte ist, sondern auch Treffpunkt, Kulturzentrum und Tagungsort zugleich – für Frauen ebenso wie für Männer. Er stellt viele Traditionen in Frage, fordert weibliche Imame. Zugleich äußert er sich öffentlich regierungskritisch. Für die Herrschenden geht das zu weit. Im Frühling wurde Eliaçık zu sechs Jahren und drei Monaten Haft wegen angeblicher Terrorpropaganda verurteilt. Bis das Urteil rechtskräftig ist, darf er Istanbul nicht verlassen. Liberale religiöse Geister wie er haben es in der heutigen Türkei zunehmend schwer – auch wenn sie beim Thema Frauen in der Moschee ausnahmsweise mit Präsident Erdoğan einer Meinung sind.