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Türkei
Mütter mit Kindern hinter Gittern

Knapp 700 Kleinkinder müssen mit ihren Müttern in türkischen Gefängnissen leben, schätzen Menschenrechtsorganisationen. Die Gefängnisse sind jedoch nicht kindgerecht ausgestattet. Sie sind ohnehin überfüllt.

Von Gunnar Köhne |
Aufnahme des Gefängnisses. Vorne eine grüne Wiese.
Inhaftierte Frauen leben mit ihren Kindern hinter Gittern (Christian Buttkereit, ARD Istanbul)
Am Wochenende hat der kleine Miraz Freigang. Dann holt ihn sein Vater Cengiz Akbaba aus dem Gefängnis Gebze westlich von Istanbul ab, und als erstes will der Dreijährige dann einen Spielplatz besuchen. Wenigstens für ein paar Stunden normales Kinderleben. Denn der Junge lebt seit zwei Jahren überwiegend mit seiner Mutter Gülistan in einer Großzelle, die sie sich mit einem Dutzend anderer Frauen teilen müssen. Gülistan Akbaba hatte sich für die kurdennahe Oppositionspartei HDP eingesetzt. Dafür wurde sie nach den gefürchteten Anti-Terror-Gesetzen zu vier Jahren Haft verurteilt, erzählt Cengiz Akbaba während er seinem Sohn auf der Schaukel Anschwung gibt.
"Seine Mutter hat sich bemüht, die Zelle ein wenig wie ein Kinderzimmer einzurichten. Zum Glück hat er neuerdings einen Spielkameraden. Der hat noch nicht so lange Gefängniserfahrung wie Miraz. Weil er im selben Block lebt, kann er ihn ab und zu besuchen."
Bedürfnisse der Kinder zählen nicht
Die Familie war sich einig, dass das Kind weiter mit seiner Mutter aufwachsen sollte – selbst im Gefängnis. Bis zum sechsten Lebensjahr ist das in der Türkei möglich. Die Istanbuler Gefangenenhilfsorganisation CISST schätzt, dass über 700 Mütter mit ihren Kindern in türkischen Gefängnissen leben. Deren Sprecherin Cansu Sekerci beklagt, dass sich der Staat für diese Kinder kaum interessiere:
"Das Gefängnispersonal ist überhaupt nicht ausgebildet, um auf die Bedürfnisse eines Kleinkindes reagieren zu können. Und die Regierung konnte uns nicht einmal beantworten, in welchen Gefängnissen sich wie viele Kinder befinden."
Vorwurf: Mütter instrumentalisieren ihre Kinder
Denn die türkischen Gefängnisse sind überfüllt. Über 60.000 Menschen sollen in den vergangenen zwei Jahren aus politischen Gründen inhaftiert worden sein. Die Regierung plane den Bau von neuen Megagefängnissen, loben die Anhänger des Staatspräsidenten Erdogan. Einige von ihnen vermuten hinter der Kritik an den Mutter-Kind-Gefängnissen die betroffenen Frauen selbst. So, wie Abdurrahman Dilipak, Kolumnist bei der AKP-nahen Zeitung "Akit":
"Man sollte doch mal überprüfen, ob diese Frauen nicht bewusst erst schwanger und dann strafbar geworden sind, um danach ihre Situation zu Propagandazwecken gegen die Regierung zu nutzen."
Solche Verschwörungstheorien versucht der Vater des kleinen Miraz, Cengiz Akbaba, zu ignorieren. Seine Sorge gilt dem Sohn: Noch gut ein Jahr muss der mit der Trennung seiner Eltern leben.
"Er soll nicht denken, dass ihn seine Mutter allein lässt. Er versteht ja nicht, dass sie nicht mitkommen kann. Wir können nur hoffen, dass aus dieser Zeit beim Kind später nichts zurückbleibt."
Renas will über die Zeit im Gefängnis nicht reden
Doch das wäre ein Wunder, sagen ihm Väter, mit denen er sich regelmäßig trifft und deren Kinder den Alptraum Gefängnis bereits hinter sich haben. Der heute zehnjährige Renas etwa verbrachte drei Jahre seines Lebens mit seiner Mutter hinter Gittern. Und er könne über diese Zeit nicht reden, sagt sein Vater Osman Kurum:
"Im Flur lassen wir heute noch nachts das Licht brennen, weil er sich fürchtet. Er erschrickt auch bei lauten Geräuschen. Und wenn er auf Toilette geht, soll ich vor der Tür warten."
Zwei Tage später fährt Cengiz Akbaba seinen Sohn Miraz wieder zurück ins Gefängnis zur Mutter. Auf dem Weg dorthin kommen die Sorgen: Was wird seinen Sohn dieses Mal hinter Gittern erwarten?
"Sie sind von der Toleranz der Mithäftlinge abhängig. Die könnten sich ja auch beschweren, wenn das Kind nachts weint. Da schlafen ja bis zu 15 Frauen in so einer Zelle. Solche Dinge beschäftigen einen."
Ankunft am Gefängnis in Gebze. Cengiz Akbaba steckt seinem Sohn noch zwei Schokoüberraschungseier zu. Hinter dem Gefängnistor übergibt er den kleinen Miraz dann einem Wärter.