Türkei
Bringt der Waffenstillstand der PKK den Kurden Frieden?

Nach einem Appell ihres Gründers Abdullah Öcalan hat die PKK eine Waffenruhe verkündet. Was heißt das für die Kurden in der Türkei, aber auch in Syrien und im Irak? Und welche Ziele verfolgt der türkische Präsident Erdogan?

    Eine Straßenszene in Diyarbakir in der Türkei: Eine ältere mutmaßliche Kurdin mit weißem Kopftuch und einem orange Tuch in den Händen tanzt neben anderen ähnlich  gekleideten Frauen und blickt erwartungsvoll nach vorn.
    Aussicht auf Frieden? Im kurdisch geprägten Diyarbakir im Südosten der Türkei verfolgten Menschen den vorgelesenen Aufruf Abdullah Öcalans an die PKK, die Waffen niederzulegen. (imago / ZUMA Press Wire / Mehmet Masum Suer)
    Es könnte das Ende eines vier Jahrzehnte dauernden Konflikts sein, der Zehntausende Menschen das Leben gekostet hat: Die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, hat eine Waffenruhe mit der Türkei verkündet. Zuvor hatte ihr inhaftierter Anführer Abdullah Öcalan seine Anhänger dazu aufgerufen, sich zu entwaffnen und die Organisation aufzulösen.
    Seit den 1980er-Jahren kämpfte die PKK für einen kurdischen Staat oder ein Autonomiegebiet im Südosten der Türkei. Die türkische Armee reagierte ihrerseits mit Härte. Bis in die jüngste Zeit hinein griff sie kurdische Stellungen auch jenseits der Grenzen an, in Syrien und im Irak.
    In der Türkei, der EU und in den USA ist die PKK als Terrororganisation eingestuft.
    Was bringt Öcalans Aufruf für die Kurden und für die gesamte Region? Und welches Interesse könnte Präsident Erdogan an einer Aussöhnung haben?

    Überblick


    Wird die PKK ihren bewaffneten Kampf beenden?

    Die PKK hat angekündigt, sie werde Abdullah Öcalans Aufruf zur Beendigung des bewaffneten Kampfes folgen. Sie erklärte nach dessen Appell vom 27. Februar 2025 eine Waffenruhe mit der Türkei. Alle Feindseligkeiten werde sie sofort einstellen – es sei denn, sie werde angegriffen.
    Einfach so will die PKK aber offenbar die Forderungen Öcalans nicht umsetzen. So könne man die Waffen nur unter dessen Führung niederlegen. Es müssten auch die notwendigen politischen und demokratischen Bedingungen für einen erfolgreichen Ablauf geschaffen werden. Der seit 1999 inhaftierte PKK-Chef müsse frei leben und arbeiten können.
    Öcalan hatte in seiner Botschaft geschrieben: „Beruft euren Kongress ein und fasst einen Beschluss zur Integration in den Staat und die Gesellschaft, wie es jede moderne Gesellschaft und Partei, deren Existenz nicht durch Gewalt beendet wurde, freiwillig tun würden. Alle Gruppen müssen die Waffen niederlegen und die PKK muss sich auflösen.“
    Noch ist unklar, ob sein Aufruf von allen befolgt wird, gerade im Irak und in Syrien. Denn de facto existiert die PKK in der Türkei nicht mehr – sieht man von einzelnen Kämpfern ab, die angeblich ohne Befehl von oben noch Anschläge verübt haben.
    Wenn, dann operiert die PKK von Nordsyrien oder dem Nordirak aus. Dort hat sie ihr Hauptquartier in den Kandil-Bergen. Von dieser Seite kamen die positiven Signale. In Nordsyrien aber betonten die kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), Öcalans Aufruf habe nichts mit ihren Truppen zu tun.
    Die türkische Regierungspartei AKP von Präsident Erdogan fordert die Auflösung aller Kurdenmilizen, auch im Irak und in Syrien. Sie seien Ableger der PKK und damit ebenfalls Terrororganisationen.

    Wie stehen die Chancen auf einen echten Friedensprozess?

    Heute leben schätzungsweise 14 Millionen Kurden in der Türkei. Seitdem sie in den vergangenen Jahren unter der Erdogan-Regierung mehr kulturelle Rechte bekommen haben – zum Beispiel ihre eigene Sprache zu sprechen – wollen die meisten keinen Krieg mehr mit dem türkischen Militär. Einen autonomen kurdischen Staat befürworteten laut einer Umfrage schon 2020 nur noch gut 17 Prozent der Befragten.
    Nach Ansicht des Politologen Ismail Küpeli hat sich die kurdische Seite nach Öcalans Aufruf einen „großen Schritt“ in Richtung Friedensprozess bewegt. Bis heute gehe allerdings die türkische Regierung repressiv gegen die kurdische Opposition vor, die Verhaftungen kurdischer Politiker dauerten an. Genauso wie Angriffe im Norden Syriens gegen die dortigen kurdischen Kräfte. Es sei offen, ob die türkische Seite für einen „wirklichen Friedensprozess“ bereit sei, sagt Küpeli. Der letzte scheiterte 2015, nachdem zwei Jahre zuvor eine Waffenruhe ausgerufen worden war.
    Präsident Erdogan selbst hatte Öcalans Aufruf zunächst als „historische Gelegenheit“ begrüßt. Später warnte er, dass der Staat sein militärisches Vorgehen fortsetzen werde, wenn die Versprechen nicht eingehalten würden.
    Von tatsächlichen Gegenleistungen für Öcalans Aufruf ist bisher nichts bekannt.

    Warum kam Öcalans Aufruf gerade jetzt?

    Die Erklärung des PKK-Chefs wurde schon seit Monaten erwartet. Mehrfach hatten Mitglieder der pro-kurdischen DEM-Partei Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali besucht. Offenbar in einer Vermittlerfunktion.
    Zuvor hatte im Oktober 2024 Erdogans Koalitionspartner Devlet Bahceli von der ultranationalistischen MHP einen Vorschlag gemacht: Öcalan könnte auf Bewährung freigelassen werden, sollte seine Organisation der Gewalt abschwören und sich auflösen.
    Nun begründete Öcalan seine Botschaft unter anderem damit, dass es im Land Fortschritte bei der Meinungsfreiheit und der Anerkennung von unterschiedlichen Identitäten gebe. Die PKK sei nicht mehr zeitgemäß. Dabei betonte er, dass Kurden und Türken zusammengehörten. Nur so hätten sie sich in ihrer mehr als tausendjährigen Geschichte gegen Feinde von außen behauptet.
    Für Sinem Adar von der Stiftung Wissenschaft und Politik sind diese Äußerungen eine „große Überraschung“. Denn auch Bahceli habe argumentiert, dass die Türkei in dieser Umbruchszeit in der Region von so genannten anti-imperialistischen Kräften bedroht werde – vor allem von den USA. Angesichts dieser Bedrohung müssten Kurden und Türken eine Allianz eingehen.
    Einige Beobachter sehen in den Versöhnungsbemühungen ein bestimmtes Ziel: Erdogan suche indirekt über Bahceli die Unterstützung der Kurden für eine neue Verfassung. So könnte er über das Ende seiner Amtszeit im Jahr 2028 hinaus an der Macht zu bleiben.

    Welche Bedeutung hätte ein Friedensprozess mit der PKK für die Region?

    Analysten zufolge wäre ein Frieden mit der PKK im Interesse der Türkei und auch Syriens nach dem Sturz des Diktators Assad. Im Norden des Nachbarlandes verteidigt die von den USA gestützte SDF die mühsam errungene kurdische Autonomie gegen die Türkei – und gegen die neuen islamistischen Machthaber in Damaskus.
    Ein Friedensabkommen würde die Wiedervereinigung und den Aufbau eines stabileren Syriens wahrscheinlich erleichtern, sagte Anthony Skinner von der Beratungsfirma Marlow Global gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Ein stabileres Syrien sei „ein wichtiges Ziel für die türkische Regierung, die mit der anhaltenden Bedrohung durch grenzüberschreitende Massenmigration und Terrorismus“ konfrontiert sei.

    Welche Rolle spielen Öcalan und die PKK für die Kurden?

    Abdullah Öcalan war für Kurden lange ein Idol, weil er gegen ihre Unterdrückung aufbegehrte. Er gründete 1978 die PKK als marxistische Organisation – mit dem Ziel eines unabhängigen kurdischen Staates im Südosten der Türkei. 1984 begann die PKK den bewaffneten Kampf gegen die Türkei. Sie verübte zum Beispiel Anschläge auf Polizeistationen und touristische Ziele. Das türkische Militär reagierte seinerseits mit Gewalt. Zeitweise herrschte im Südosten der Türkei Krieg. Mehr als 40.000 Menschen wurden im Lauf der Jahre getötet.
    Später rückte Öcalan vom Ziel eines kurdischen Staates ab und forderte Autonomie und Anerkennung der Rechte für die Kurden. 1999 wurde er in Kenia festgenommen und in der Türkei auf der Insel Imrali im Marmarameer inhaftiert. Dort sitzt er eine lebenslange Freiheitsstrafe ab. Auch heute noch gilt er vielen als Identifikationsfigur, als Symbol für die Rechte der Kurden.
    Sein Wort hat noch Gewicht, auch bei Kurden, die nichts mit der PKK zu tun haben.

    Wo liegen die Wurzeln des Kurdenkonflikts?

    Mit mehr als 30 Millionen Menschen weltweit sind die Kurden eines der größten Völker ohne eigenen Nationalstaat. Vermutlich seit mehreren tausend Jahren leben Kurden in den Grenzregionen der Türkei, Iraks, Syriens und Irans. Historisch organisiert in Großfamilien, Clans und Stämmen, von denen viele seit ihrem Bestehen untereinander konkurrieren.
    Eine einheitliche kurdische Sprache gibt es nicht, auch keine einheitliche Religion. Die meisten sind Sunniten, andere Schiiten oder auch Aleviten. Daneben gibt es jesidische und assyrisch-christliche und jüdische Kurden, wenn auch in der Minderheit.
    Eine einheitliche Nationalbewegung konnten die so unterschiedlichen kurdischen Gruppen nicht hervorbringen. Als das Osmanische Reich, ein Vielvölkerstaat, zerfiel, wurde 1923 der türkische Nationalstaat gegründet. Die Kurden wurden als Gefahr für die nationale Idee stigmatisiert und unterdrückt, auch in Syrien, im Irak und Iran. Die Folge waren Aufstände, Kriege und Vertreibungen.
    Die Auswirkungen der ungelösten Kurdenfrage reichen bis nach Europa und Deutschland. Von den mehr als 60.000 Asylbewerbern aus der Türkei waren 2023 die meisten Kurden.

    bth