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Türkei
Pressefreiheit nur zum Teil

Die Türkei steht immer wieder wegen mangelnder Pressefreiheit in der Kritik. Zuletzt machten Journalistenverhaftungen und Kontrollen bei der Zeitung "Cumhuriyet" Schlagzeilen. "Es herrscht ein ständiger Druck", beklagen Redakteure.

Von Luise Sammann |
    Polizisten und Sicherheitsleute vor dem Redaktionsgebäude der Zeitung "Cumhuriyet" in Istanbul, die Auszüge aus der "Charlie Hebdo"-Sonderausgabe nachgedruckt hatte
    Polizisten und Sicherheitsleute vor dem Redaktionsgebäude der Zeitung "Cumhuriyet" in Istanbul, die Auszüge aus der "Charlie Hebdo"-Sonderausgabe nach dem Attentat in Paris nachgedruckt hatte. (AFP/ Ozan Kose)
    Chefredakteur Ekrem Dumanli aus Istanbul erinnert sich an seine Verhaftung vor sechs Wochen, als sei es gestern gewesen.
    "Sie wollten mit 800 Polizisten kommen, um mich zu holen. Eine Razzia auf eine Tageszeitung, was für eine verrückte Idee! Am Anfang wussten wir nicht einmal, warum wir festgenommen wurden."
    "Terror" lautete schließlich das Stichwort. Die "Zaman", für die Ekrem Dumanli arbeitet, ist nicht irgendeine Zeitung. Das Blatt gilt als Sprachrohr des Predigers Fetullah Gülen – seit gut einem Jahr Erzfeind von Präsident Erdogan. Als Chefredakteur der "Zaman" habe Dumanli eine "Organisationsstruktur" aufbauen wollen, die der Souveränität der türkischen Regierung schaden sollte, so die Staatsanwaltschaft. Journalist Dumanli ist inzwischen wieder frei. Doch sein Verfahren läuft noch.
    "Es herrscht ein ständiger Druck auf alle. Ich wurde gefragt: Warum haben Sie ein Stück mit dem Titel 'Ein offener Brief an den Ministerpräsidenten' geschrieben? Dabei ist das Artikel- und Kommentarschreiben doch unser Job!"
    Als einen "Tag der Prüfung" sollte der türkische Ministerpräsident Davutoglu den Tag, an dem Dumanli verhaftet wurde, später bezeichnen. Für viele Kritiker im In- und Ausland war es eher ein Beweis dafür, wie schlecht es um die Pressefreiheit in der Türkei steht. Platz 154 von 180 belegt das Land in der jährlichen Rangliste von Reporter ohne Grenzen. Mehr als 20 Journalisten – meist Kurden – sitzen in türkischen Gefängnissen. Und mehrfach flog inzwischen durch heimliche Mitschnitte auf, wie sich Regierungsmitglieder durch Anrufe in Chefredaktionen in die Arbeit von Zeitung und Fernsehen einmischen. Kritische Berichterstattung, so wirkt es, ist in der Türkei nicht mehr möglich.
    "Nicht jede kritische Stimme landet im Gefängnis"
    "Natürlich gibt es oppositionelle Medien in der Türkei!"
    Widerspricht Ceren Sözeri, Medienwissenschaftlerin an der Istanbuler Galatasaray-Universität.
    "Dass wir in Sachen Pressefreiheit weit hinten liegen, heißt nicht, dass hier niemand mehr seine Meinung sagt und jede kritische Stimme im Gefängnis landet."
    Das bestätigt ein Blick in einen der zahlreichen Istanbuler Zeitungskioske:
    "Tayyip sechs, setzen!"
    "Erdogan macht aus der Türkei ein autoritäres Regime"
    "Sogar Tayyips Klo kostet 10.000 Lira"

    Das sind nur einige Schlagzeilen der letzten Wochen. Im Gefängnis landeten ihre Verfasser nicht. Ein Widerspruch? Im Gegenteil, spekuliert Orhan Bursali, Redakteur bei der kemalistischen und damit Erdogan-kritischen Zeitung "Cumhuriyet":
    "Es ist sogar zu Erdogans Vorteil, wenn er kleine Oppositionsmedien wie uns sprechen lässt. Er kann dann sagen: Seht her, bei uns darf jeder seine Meinung äußern. Aber wir erreichen dabei auch nur 60.000 bis 70.000 Menschen."
    "Nirgendwo sind die Medien so frei wie in unserem Land" behauptete der türkische Präsident erst vor wenigen Wochen. Sein Land werde in diesem Punkt immer wieder "ungerechter Kritik" ausgesetzt. Doch trotz der tatsächlich existierenden Vielfalt: Pressefreiheit gibt es am Ende eben nur ganz oder gar nicht, betont Medienwissenschaftlerin Ceren Sözeri.
    "Wir können natürlich nicht danach gehen, wie viele Journalisten nun in der Türkei frei sprechen können und wie viele nicht. Auch wenn nur gegen einen einzigen Journalisten ermittelt wird oder wenn ein einziger Journalist angeklagt wird, weil er einen Politiker kritisiert hat, dann muss das unsere Messlatte sein."
    Vorsicht bis zur Selbstzensur
    Die aktuellen Verfahren gegen Zaman-Chefredakteur Ekrem Dumanli oder Karikaturist Musa Kart – für den die Staatsanwaltschaft zehn Jahre Haft wegen einer Erdogan-kritischen Zeichnung fordert – verfolgt die Medienwissenschaftlerin deswegen genau. Auch ein neues Internetgesetz, das dem Parlament in Ankara zurzeit vorliegt, macht viele Beobachter nervös: Demnach sollen der türkische Premier und seine Minister in Zukunft unliebsame Webseiten eigenmächtig sperren lassen können. Erst 24 Stunden später muss ein richterlicher Beschluss eingeholt werden.
    Auch Journalisten und Blogger, die bisher nicht unter Druck geraten sind, lassen solche Entwicklungen nicht kalt. Selbst bei der traditionell kritischen "Cumhuriyet" ist man vorsichtig geworden, gesteht Redakteur Orhan Bursali:
    "Wenn ich einen Artikel fertig habe, dann lese ich ihn noch einmal durch und frage mich dabei, ob sie mich dafür anzeigen können. Wenn etwas bedenklich ist, dann streiche ich es. Oder wir setzen einen kritischen Artikel von der ersten Seite nach ganz hinten. Das ist eine Art Selbstzensur."