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Türkei
Protest ohne Publikum

Die prokurdische HDP demonstriert derzeit mit "Gerechtigkeitswachen" gegen die Politik von Präsident Erdogan. Doch sie schafft es kaum, Menschen zu mobilisieren. Nicht nur, weil die Regierung alles dafür tut, um die drittgrößte Kraft im Parlament zu isolieren, sondern auch weil der Ruf der HDP gelitten hat.

Von Luise Sammann |
    Eine kurdische Frau hält eine Flagge mit dem Logo der Partei HDP
    Im Yoğurtçu Park haben sich Abgeordnete der prokurdischen Partei HDP zu einer Mahnwache gegen die aktuellen Zustände in der Türkei versammelt. (AFP)
    Der Yoğurtçu Park im asiatischen Teil Istanbuls ist eigentlich wenig aufsehenerregend. Ein Spielplatz und ein Teegarten mit Springbrunnen in der Mitte, rundherum Wiesen und Bäume. Doch in diesen Tagen verschwindet die kleine Idylle hinter Polizeibarrikaden. Dutzende Einsatzwagen säumen den Park, Wasserwerfer und Uniformierte mit Schutzschildern und schusssicheren Westen stehen Tag und Nacht bereit.
    "Ich bin hier in der Gegend geboren und aufgewachsen. Noch nie habe ich diesen Park so gesehen."
    …sagt ein Passant kopfschüttelnd. Der Grund für die Polizeipräsenz: Im Park haben sich Abgeordnete der prokurdischen Partei HDP zu einer Mahnwache gegen die aktuellen Zustände in der Türkei versammelt. Wer sie treffen will, muss von Beamten seine Personalien kontrollieren lassen, ein Labyrinth aus Zäunen passieren, Taschen öffnen, Erklärungen abgeben.
    Die Demonstranten werden im Park abgeschottet
    "Haben die sie gut behandelt?" fragt Mithat Sancar, ein vielleicht 60-jähriger Juraprofessor mit Hornbrille mit Blick auf die Polizisten. Er wartet auf einem eingezäunten Stück Wiese im Innersten des Parks, wo er und seine Mitstreiter sich seit einer Woche jeden Tag treffen. Unter ihnen Künstler und Intellektuelle, gefeuerte Wissenschaftler, Feministinnen und Minderheitenvertreter. 60 Menschen dürfen sich hier laut Polizeiansage gleichzeitig aufhalten. Wenn einer rein will, muss vorher einer raus.
    "Vom ersten Tag an haben sie uns derart abgeschottet, der ganze Park wird blockiert. Das Ausmaß zeigt, dass es hier nicht wirklich um Sicherheit geht. Die Regierung weiß, dass sie es international nur schwer begründen könnte, wenn sie eine derartig friedliche Aktion wie die unsere verbietet. Also lässt sie sie zu, tut aber gleichzeitig alles, damit wir möglichst niemanden erreichen."
    Genau das aber, der persönliche Kontakt mit Bürgern, ist das Ziel der HDP, die seit Monaten von den türkischen Medien boykottiert wird, deren Abgeordnete verhaftet und von Regierungsvertretern als "Terroristen" hingestellt werden. Die in seinen Augen grotesken Sicherheitsvorkehrungen, so glaubt Mithat Sancar, sollen das Image als "gefährliche Schurkenpartei" noch verstärken. Die Strategie geht auf.
    "Die sollen sich erstmal ordentlich von der PKK lossagen!"
    Was machen die da überhaupt in unserem Park, schimpft etwa ein Ladenbesitzer, dem die Absperrungen und Barrikaden seit Tagen das Geschäft vermiesen. Wie viele andere Türken auch findet er: "Die sollen sich erstmal ordentlich von der PKK lossagen. Ich vertraue denen kein Stück."
    Im Park kommt jetzt Bewegung auf. In wenigen Minuten wollen die HDPler einen Marsch zum Bosporus Ufer starten. Wieder hat es zwar kein offizielles Verbot gegeben. Doch an der gesamten Strecke sollen bereits Wasserwerfer und Einsatzkommandos warten. Die Stimmung ist angespannt. "Lasst euch vor allem nicht provozieren", warnt eine Frau. "Das wichtigste ist, dass sie uns nicht gleich verhaften". Und wenn doch?
    "Wir haben keine Angst mehr. Wer hierhergekommen ist, weiß, dass sein Name registriert und sein Hintergrund durchleuchtet wird. Aber wer trotzdem hier ist, hat eine Entscheidung getroffen. Wir werden uns nicht einschüchtern lassen. Denn das ist genau das, was sie wollen."
    Dann geht es los. Zunächst schweigend bahnt sich der Zug seinen Weg durch das Labyrinth aus Absperrungen.
    Angst vor Kontrollverlust?
    Draußen empfangen Hunderte Uniformierte die 60 Demonstranten in Hemden und Sommerkleidern, eskortieren sie schubsend und brüllend auf ihrem Marsch durch das naheliegende Einkaufsviertel. Neugierige Passanten werden von den Polizisten weggestoßen. Ein älterer Mann stürzt auf den Bürgersteig.
    "Sie versuchen wieder mit allen Mitteln uns zu isolieren."
    …ist sich Jurist Mithat Sancar sicher.
    "Sie wollen nicht, dass es zu einer größeren Demo kommt. Wenn sich Leute uns anschließen, Slogans gerufen und Lieder gesungen werden, könnten sie die Kontrolle verlieren. Deswegen haben sie alle Seitenstraßen entlang der Route geschlossen."
    Einige Schaulustige wagen es schließlich dennoch zu applaudieren. Die meisten aber bleiben stumm, schauen reglos zu oder ziehen sich in Hauseingänge und Geschäfte zurück. Das Viertel Kadıköy gilt als einer der liberalsten Stadtteile Istanbuls. 80 Prozent der Bewohner hier stimmten gegen das Präsidialsystem von Präsident Erdogan.
    Doch nach zwölf Monaten Ausnahmezustand hat auch hier kaum noch jemand den Mut, zu demonstrieren. Geschweige denn, sich mit der verrufenen HDP zu solidarisieren, die einst immerhin mehr als zehn Prozent der Wählerstimmen auf sich verbuchen konnte.