Genannt sind in der Anklageschrift die Marxistisch Leninistische Kommunistische Partei MLKP und die FESK – die sogenannten bewaffneten Streitkräfte der Armen und Unterdrückten. Darauf stehen im Extremfall 15 bis 20 Jahre Haft. Kader Tonc ist die Anwältin der 33-Jährigen. Aus ihrer Sicht sind die Vorwürfe haltlos:
"Wir hoffen natürlich auf einen Freispruch. Und wäre die Justiz unabhängig, dann wäre es gar nicht erst möglich gewesen, sie überhaupt festzunehmen. Aber wenn man sich die Entwicklungen in der Türkei in der letzten Zeit anschaut, dann kann man das wohl nicht erwarten. Es ist eher ein politisches Verfahren. Und so wird sie politische Lage wird auch diesen Prozess beeinflussen."
Gemeinsam mit dem zweijährigen Sohn inhaftiert
Seit Ende April sitzt Mesale Tolu in Istanbul hinter Gittern, gemeinsam mit ihrem zweijährigen Sohn im Frauengefängnis Bakirköy. Da sie ausschließlich deutsche Staatsbürgerin ist, müssen die Behörden regelmäßigen Besuch von Mitarbeitern des deutschen Konsulats ermöglichen. Darüber hinaus kümmert sich ihr Vater Ali Riza Tolu um seine Tochter und deren Sohn:
"Bakirköy ist etwas besser als andere Gefängnisse. Insgesamt sind 18 Frauen mit meiner Tochter und meinem Enkel im selben Zellentrakt. Ich habe sie gefragt und sie hat gesagt, dass sie keine körperlichen Probleme hat, also etwa Folter. Aber ich habe Wünsche: Ich kann zum Beispiel meinem Enkel kein Spielzeug mitbringen. Ein Kind braucht Spielzeug und muss an einem anderen Ort aufwachsen. Hätten sie meine Tochter nicht gefangengenommen, wäre auch mein Enkel jetzt in Freiheit."
Mesale Tolus Ehemann war wenige Wochen vor ihr aus ähnlichen Gründen festgenommen worden. Ihr Vater kümmert sich um Tochter, Enkel und Schwiegersohn und den Kontakt mit den Medien. Die Anklageschrift kritisiert er als lückenhaft und konstruiert:
"Ich lebe seit über 40 Jahren in Europa, doch so etwas habe ich noch nie erlebt. Erst nehmen sie jemanden fest, erst danach suchen sie nach Beweisen. Wenn das keine Vorverurteilung ist!"
Auch ein Opfer der schlechten deutsch-türkischen Beziehungen
Zweifellos stand die in Ulm aufgewachsene Mesale Tolu dem linken Spektrum in der Türkei nahe. Doch wie nahe? Und: War sie Journalistin und Übersetzerin oder doch Aktivistin? Die Nachrichtenagentur Etha, für die sie in der Türkei gelegentlich arbeitete, ist eindeutig dem sehr linken Spektrum zuzuordnen. Etha-Nachrichtenchefin Derya Otakan sagt, ihre Agentur sei sozialistisch aber unabhängig. Und darum gehe es in dem Prozess:
"Die Staatsanwaltschaft zielt mit der Anklageschrift auf die freie Presse. Denn die Regierung benutzt die Justiz, um die Presse noch weiter unter Druck zu setzen. Es werden Anklagen vorbereit, die sogar den türkischen Gesetzen widersprechen. Auch hier liegt uns ein rechtswidriges Schriftstück vor. Die Anklageschrift nennt keinerlei konkrete Beweise. Stattdessen beruft sich die Staatsanwaltschaft auf eine unwahre, anonyme Zeugenaussage."
In der Anklageschrift wird Mesale Tolu unter anderem beschuldigt, an Gedenkveranstaltungen für linke Aktivistinnen teilgenommen zu haben, die im Feuergefecht mit der Polizei erschossen wurden. In einem Falle – und das scheint der konkreteste Vorwurf zu sein - soll die Ulmerin eine Flagge der verbotenen Sozialistischen Partei der Unterdrückten getragen haben. Trotzdem meint Anwältin Kader Tonc:
"Sie hat mit ihrer Arbeit nicht gegen geltendes Recht verstoßen. Deswegen hoffen wir auf Freispruch. Ich glaube aber, dass in den ersten Verhandlungstagen kein Urteil fallen wird. Der Prozess wird sich länger hinziehen."
Letztendlich sei Mesale Tolu auch ein Opfer der angespannten deutsch-türkischen Beziehungen, meint Anwältin Tonc. Zunächst sind zwei Verhandlungstage angesetzt. Außer Mesale Tolu stehen im selben Prozess 17 Angeklagte wegen ähnlicher Vorwürfe vor Gericht.