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Türkei
Rätselraten um Erdogans Präsidentschaftskandidatur

Seit Monaten brodelt die Gerüchteküche in der Türkei: Wird Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan für das Amt des Präsidenten kandidieren? Morgen soll das Geheimnis gelüftet werden. Dann will die AKP bekannt geben, ob er für sie ins Rennen geht. Nicht nur Erdogans Zukunft – auch die der Türkei dürfte dann zur Wahl stehen.

Von Luise Sammann | 30.06.2014
    Ankündigungsplakat der UETD für Erdoagns Auftritt in Köln
    Ankündigungsplakat der UETD für Erdoagns Auftritt in Köln (dpa / picture-alliance / Oliver Berg)
    Die Türken lieben Quizshows! Egal ob morgens, mittags oder abends – egal ob alte Männer im Teehaus oder Studenten auf dem WG-Sofa: Alle fiebern mit, wenn es im Fernsehen um Millionen geht. Und so passt das große Rätselraten, das die regierende AK-Partei seit Monaten um ihren Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen veranstaltet, zum Geist der Zeit.
    Am 31. Mai, so hieß es im Frühjahr, solle der Name für die Wahl im August bekannt gegeben werden. Die Spannung stieg: Regierungssprecher Arinc trat vor die Presse – doch dann die Enttäuschung:
    "Ja, heute ist der 31. Mai, aber wir sind noch nicht so weit. Oder wollen Sie, dass ich Ihnen schon mal die Anfangsbuchstaben verrate? Ich muss mich entschuldigen und um etwas mehr Geduld bitten. Der Premier hat die Kandidatenkür nun für den 15. Juni angesetzt."
    Doch auch der neue Termin verstrich. Kein Name – nur immer weitere Gerüchte folgten und schließlich sogar zuerst die Kür des gemeinsamen Oppositionskandidaten Ekmeleddin Ihsanoglu.
    Will Erdogan oder will er nicht?
    Morgen aber soll es nun endlich auch bei der AKP soweit sein. Und die Eine-Millionen-Lira-Frage ist und bleibt: Will Erdogan oder will er nicht?
    Seit zwölf Jahren ist Recep Tayyip Erdogan Ministerpräsident der Türkei, regiert mit komfortabler Mehrheit und ohne lästigen Koalitionspartner. 2015 könnte er sich zum vierten Mal wählen lassen, nur die leicht änderbare AKP-Satzung hält ihn davon ab. Warum aber nährt er stattdessen Gerüchte, Präsident werden zu wollen - ein ähnlich wie in Deutschland vor allem repräsentatives Amt?
    "Weil es ihm um die moralische Befriedigung geht",
    mutmaßt der bekannte Verfassungsrechtler Ergun Özbudun. Dass Erdogan direkt nach seiner Wahl die Verfassung ändern und die Macht des Präsidenten dadurch ausbauen könnte, schließt der Experte aus. Dennoch glaubt er an dessen Ambitionen:
    "Erdogan wollte schon 2007 Präsident werden. Doch damals gab es so großen Widerstand von Militär und Opposition, dass er nicht antrat. Jetzt will er erst recht. Denn zum allerersten Mal wird der Präsident in diesem Jahr frei gewählt. Er könnte als der erste vom Volk gewählte Präsident in die Geschichte eingehen."
    Der Jackpot für einen Machtmenschen wie Erdogan! Angst, dass ihm der politische Gegner mit seinem Kandidaten einen Strich durch die Rechnung machen könnte, braucht er dabei kaum zu haben.
    "Dessen Chancen sind gering",
    prognostizieren Wahlforscher wie Bekir Agirdir in Istanbul.
    "Dabei geht es gar nicht darum, wer das letztendlich ist. Politische Themen werden bei uns nur einfach nicht mehr ausdiskutiert, sondern nach Lagern entschieden: Die einen, die Mehrheit, finden alles richtig, was Erdogan sagt. Die anderen finden es falsch. Das heißt, jedes Ergebnis steht eigentlich schon vorher fest. So ist es wahrscheinlich, dass Erdogan eine Präsidentschaftswahl gleich in der ersten Runde gewinnen würde."
    Einführung des Präsidialsystems geplant
    Bleibt nur noch eine Hürde auf dem Weg zum Hauptgewinn: der passende Joker! Da eine Verfassungsänderung zum Präsidialsystem bei den aktuellen Mehrheitsverhältnissen nicht möglich ist, braucht es auch weiterhin einen Premier. Wer aber soll das sein?
    "Es muss jemand sein, der nicht besonders dominant ist und einem Präsidenten Erdogan das Feld überlässt",
    so Wahlforscher Agirdir - und denkt dabei wie so viele an das russische Putin-Medwedew-Modell. Wer Putins Rolle übernimmt, ist klar. Der türkische Medwedew aber wird noch gesucht. Erst recht, seit der aktuelle Präsident Abdullah Gül seine Teilnahme an einem solchen Spiel ausgeschlossen hat.
    "Das Paradox ist folgendes: Sie wollen nach den Wahlen 2015 das Präsidialsystem einzuführen. Um das zu tun, braucht die AKP mehr als 330 Abgeordnete. Der neue Premier müsste also noch mehr Stimmen einfahren, als Erdogan es bei den letzten Wahlen konnte. Auf der anderen Seite soll er eher unscheinbar sein. Diese beiden Rollen widersprechen sich."
    Und so geht das große Rätselraten weiter. Wer wird Erdogans Joker sein? Außenminister Davutoglu, der wegen seiner gescheiterten Syrienpolitik in der Kritik steht? Oder doch Gül, der sich eigentlich schon von der politischen Bühne zu verabschieden schien? Die Spannung in der Türkei ist groß vor der morgigen Kandidatenkür – wenn es wieder heißt: Tor 1, Tor 2 oder Tor 3.