Mirjam Kid: Wer ein autoritäres Regime aufbauen und die Axt an die Demokratie anlegen will, der macht sich im ersten Schritt traditionell daran den freien Journalismus abzuschaffen – oder zumindest einzuschränken. Reporter die sich mit Meinungsfreiheit und Menschenrechten beschäftigen oder über die Rechte von Frauen oder Minderheiten wie Schwulen und Lesben berichten, sind in einem solchen System ganz besonders ungern gesehen.
Einer von diesen Reportern ist der Türkei-Vorsitzende von Reporter ohne Grenzen, Erol Önderoglu. Seit mehr als 20 Jahren kämpft er in der Türkei für die Pressefreiheit – und schreibt zudem für das unabhängige türkische Onlineportal "Bianet". Gemeinsam mit über 30 weiteren Journalistinnen und Journalisten steht Önderoglu wegen der Teilnahme an einer Solidaritätskampagne für die inzwischen geschlossene prokurdische Tageszeitung "Özgür Gündem" seit nunmehr zweieinhalb Jahren in Istanbul vor Gericht – der Vorwurf: Terrorpropaganda. Heute ging der Prozess gegen ihn weiter, aber das Urteil wurde abermals vertagt.
Kurz vor der Sendung konnte ich mit Erol Önderoglu sprechen. Und ich habe ihn zunächst gebeten mir seine Eindrücke vom heutigen Prozesstag zu schildern, bei dem er sich das erste Mal seit über zwei Jahren vor Gericht selbst ausführlich zu den Anschuldigungen äußern konnte.
Erol Önderoglu: Es war natürlich eine Erleichterung, vor Gericht zu stehen und die Möglichkeit zu bekommen, mich dort zu äußern. Ich wollte sicherstellen, dass das Gericht versteht, dass es legitim ist, Kollegen beizustehen. Und das im Namen von Medienvielfalt, dem Respekt gegenüber politischen Werten und journalistischer Praxis. Ich habe diese solidarische Kampagne symbolisch unterstützt.
Ich war in der Türkei nur Vertreter der Reporter ohne Grenzen. Ich war kein Chefredakteur des Magazins, dessen Unterstützung sie mir vorwerfen. Ich erwarte allerdings nicht, dass das Gericht auf mich hören wird, denn die heutige Rechtsprechung wird von der Politik extrem beeinflusst und motiviert. Ich denke, dass das Gericht von der Regierung klare Anweisungen bekommt. Es gab gar nicht die Möglichkeit, meine Rechte zu verteidigen.
"Zufall, dass ich wegen drei Artikeln angeklagt wurde"
Kid: Beschreiben Sie uns doch noch einmal, worum es genau bei dieser Solidaritäts-Aktion für die prokurdische Tageszeitung "Özgür Gündem" damals ging.
Önderoglu: Vor drei Jahren hat diese prokurdische Zeitung eine Kampagne gestartet, um die Schikane gegen die Zeitung anzuprangern. Fast hundert Journalisten, Gewerkschafter, Autoren und Intellektuelle nahmen an dieser Solidaritätskampagne teil. Einer von ihnen war ich. An dem Tag, an dem wir bei der Staatsanwaltschaft erschienen, wurden wir verhaftet und ins Gefängnis geworfen.
Sie haben uns für die Inhalte der Zeitung verantwortlich gemacht, nachdem wir den Chefredakteur symbolisch unterstützt hatten. Sie sagten: Wenn Ihr an Redaktionssitzungen der Zeitung teilnehmt, dann seid ihr auch für die Artikel in der Zeitung verantwortlich. Es war ein Zufall, dass ich wegen genau drei Artikeln angeklagt wurde, die ich erst später gelesen habe. Selbstverständlich war ich für sie nicht verantwortlich. Ich habe keine redaktionellen Absprachen mit den anderen Teilnehmern dieser Solidaritätsaktion getroffen.
"Ich glaube nicht, dass es Taktik ist"
Kid: 2016 wurden Sie wurden des Vorwurfs der Terrorpropagada im Zusammenhang mit "Özgür Gündem" das erste mal verhaftet. Der Prozess wurde dann auf Januar 2017 vertagt, das hatten Sie eben erwähnt, und mindestens acht mal verschoben. Warum wurde der Prozess denn so oft vertagt? Ist das eine Art Taktik?
Önderoglu: Es war genau vor dem Ausnahmezustand und dem Putschversuch. Glücklicherweise kamen wir vor dem Putschversuch in Untersuchungshaft. Es wäre sehr viel schwieriger gewesen, nach dem Militärputsch freizukommen, wenn wir im Gefängnis gewesen wären.
Ich glaube nicht, dass es Taktik ist. Es ist ein Mechanismus der Justiz und die Strukturen funktionieren so. Es gibt sehr viele Prozeduren, die erfüllt werden müssen.
"Gewissheit, dass ich im Recht bin"
Kid: Trotz der Anklage haben Sie sich in Interviews immer wieder sehr entschlossen und kämpferisch geäußert. "Ich habe keinen Plan B", hat eine Journalistin Sie einmal zitiert. Woher nehmen Sie diesen Optimismus? Haben sie keine Angst?
Önderoglu: 24 Jahre lang habe ich mich mit vielen Journalisten solidarisch erklärt, die unterschiedliche politische Positionen vertreten. Natürlich hatte ich viele Kollegen, die wegen ihrer Veröffentlichungen oder ihrer Überzeugung ins Gefängnis gegangen sind. Aber für mich waren es nur zehn Tage. Andere Kollegen müssen das über Monate oder Jahre durchstehen.
Ich bin sicher: Die beste Unterstützung für mich ist die Gewissheit, dass ich im Recht bin und dass ich nichts falsch gemacht habe. Das Eintreten für Pressefreiheit sollte in keiner demokratischen Gesellschaft kriminell sein.
Kid: Der Türkei-Vorsitzende von Reporter Ohne Grenzen Erol Önderoglu. Seit mehr als 2 Jahrzehnten setzt er sich für die Pressefreiheit in der Türkei ein. Weil er an einer einer Solidaritätsaktion für eine pro-kurdische Tageszeitung teilnahm, steht er in der Türkei wegen des Vorwurfs der Terrorpropaganda vor Gericht. Der Prozess gegen ihn geht am 17 Juli weiter.
In der Türkei ist der Prozess gegen den Vertreter der Organisation "Reporter ohne Grenzen", Önderoglu, erneut vertagt worden. Das Gericht in Istanbul legte den nächsten Verhandlungstag auf den 17. Juli fest. Önderoglu, dem Terrorpropaganda vorgeworfen wird, hielt heute seine Verteidigungsrede. Zur Nachricht.