Ein älterer Herr steht mit leerem Blick vor seinem Laden im Zentrum von Istanbul:
"Das ist richtig schlimm. Ich bin echt traurig. Sie hätten der Türkei kein größeres Übel bescheren können. 35 Tage lang haben die Bürger dieser Stadt, die ja entschieden haben, zappeln lassen. Jetzt haben sie einen Knopf drangemacht. Man verliert mit Anstand. Nicht so."
Ein türkischer Fernsehreporter hat angeblich schon erste Informationen, was zur Entscheidung der Wahlbehörde geführt hat:
"Begründet wurde diese Entscheidung überwiegend mit den Unregelmäßigkeiten bei der Zusammensetzung der Ausschüsse in den Wahllokalen; genauer gesagt damit, dass viele Verantwortliche dort keine Beamten gewesen sind, wie es das Gesetz vorschreibt. Diesen Einspruch hatten AKP und MHP erhoben."
Wahlgewinner zeigte sich demonstrativ entspannt
Ekrem Imamoglu hatte die Wahl am 31. März sehr knapp gewonnen. Nach mehreren Nachzählungen lag er mit rund 14.000 Stimmen vorne, bei rund neun Millionen abgegeben Stimmen. Kurz nach der Entscheidung der türkischen Wahlbehörde am Abend geht er bei Twitter erstmal mit einem Video online. Da sitzt er mit einer Familie beim Fastenbrechen und zeigt sich demonstrativ entspannt:
"Ich werde jetzt erst einmal die offizielle Erklärung des Hohen Wahlrats abwarten und danach - wartet ab - werde ich sehr ausführlich meine Meinung dazu sagen. Macht Euch keine Sorgen! Alles wird gut - gebt die Hoffnung nicht auf. Niemals!"
Diese junge Frau scheint das zu beherzigen. Sie schlendert mit ihrem Freund ganz entspannt an diesem milden Frühlingsabend durch ein Istanbuler Ausgehviertel. Aber plötzlich wird sie ganz ernst.
"Sie werden mogeln. Ich bin gegen eine Wahlwiederholung, ich bin gegen diese Entscheidung. Das Ergebnis wird anders ausfallen, denn sie werden mogeln."
Das hatten viele Regierungskritiker schon beim ersten Wahlgang am 31. März befürchtet. Sie hatten wenig Hoffnung, dass nicht der AKP Kandidat Binali Yildirim, der früher türkischer Ministerpräsident war, gewinnt. Umso größer war die Überraschung über den Sieg von Ekrem Imamoglu von der CHP.
Die AKP monierte Korruption und Ungereimtheiten. Präsident Erdogan selbst sprach von Diebstahl an den Urnen. Am 23. Juni sollen die rund zehn Millionen wahlberechtigen Istanbuler zum zweiten Mal ihren Bürgermeister wählen. Recep Özel von der AKP begründet das so:
"Wir wenden uns jetzt nochmal an Volkes Stimme. Egal wie es ausgeht, es hat Unregelmäßigkeiten gegeben und wir wollen eine Wahl ohne Unregelmäßigkeiten."
Proteste mit Töpfen und Pfannen
Vor einem Lokal sitzt ein älterer Herr mit Zigarette. Durch seine Finger gleitet die Gebetskette:
"Die Wahlwiederholung wird keine Probleme bereiten. Unsere Leute sind klug, sie werden halt noch einmal wählen gehen. Die Türkei wird nichts verlieren dadurch."
Ganz so entspannt ist an diesem Abend nicht jeder. Vom Nebentisch kommt eine Frau und will wissen, warum ausländische Presse sich für die Istanbuler Bürgermeisterwahl interessiert. Sie droht mit ihren Freunden von der Polizei.
Insgesamt scheinen sich Imamoglus Anhänger an seine Bitte zu halten, ruhig zu blieben. Auch der ältere Ladenbesitzer bleibt trotz seiner Enttäuschung besonnen:
"Ich wünsche mir nicht, dass es zu Protesten kommt. Das würde niemandem was bringen. Ich bin dafür, dass alles mit Vernunft und rechtmäßig abläuft."
Tatsächlich bleibt es erstmal ruhig in Istanbul – bis einige doch ihrem Unmut Luft verschaffen, auf eine typisch tückische Art. Menschen hängen an den Fenstern und klopfen auf Pfannen und Topfe – das Signal an die Nachbarn: Du bist nicht alleine mit Deiner Enttäuschung.