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Türkei
Roth: Lichtjahre von einer europäischen Perspektive entfernt

Die Türkei versuche, im Fall Deniz Yücel ein politisches Signal zu setzen, sagte Michael Roth (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, im Dlf. Eine Rückkehr zu freundschaftlichen Beziehungen mit der Türkei sei momentan nur vorstellbar, wenn der deutsch-türkische Journalist freigelassen werde.

Michael Roth im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Außenamts-Staatsminister Michael Roth spricht am 04.04.2017 auf einer Pressekonferenz im Generalkonsulat in Istanbul. Roth äußerte sich zum Fall Deniz Yücel und zu den deutsch-türkischen Beziehungen. Die türkischen Behörden hatten dem Auswärtigen Amt nach wochenlangem Ringen einen Besuch des deutsch-türkischen Journalisten gestattet. Am Dienstag traf Generalkonsul Georg Birgelen im Gefängnis in Silivri westlich von Istanbul mit Yücel zusammen.
    Außenamts-Staatsminister Michael Roth spricht am 04.04.2017 auf einer Pressekonferenz im Generalkonsulat in Istanbul zum Fall Deniz Yücel. (dpa / picture alliance / Can Merey)
    Jasper Barenberg: Die Grenzen des Erträglichen sah Außenminister Sigmar Gabriel kürzlich erreicht, und das Verhältnis zur Türkei in schwerem Fahrwasser. Armenien-Resolution, Nazi-Vergleiche vor dem türkischen Referendum, die Verhaftung des Journalisten Deniz Yücel, schließlich der offene Konflikt um das Besuchsrecht für deutsche Bundestagsabgeordnete in Incirlik und die Entscheidung zum Abzug. Und doch machen Außenminister wie Kanzlerin Angela Merkel immer wieder deutlich, dass die Bundesregierung im Gespräch mit Ankara bleiben will. Dieses Ziel darf man auch unterstellen, wenn Michael Roth als Staatsminister im Auswärtigen Amt jetzt in der Türkei Gespräche führt, zumal an einem Tag, an dem zum ersten Mal Deutschlands Botschafter in der Türkei Deniz Yücel im Gefängnis besuchen darf. Michael Roth ist jetzt in Istanbul am Telefon. Einen schönen guten Morgen dorthin!
    Michael Roth: Guten Morgen, Herr Barenberg, guten Morgen nach Deutschland!
    "Müssen wieder miteinander reden"
    Barenberg: Herr Roth, war das Verhältnis zwischen der Türkei und Deutschland jemals so schlecht wie zurzeit?
    Roth: Ich fürchte, nein. Wir gehen momentan durch ein schweres Gewitter. Die Beziehungen sind nicht gut, sind nicht vertrauensvoll, aber wir wollen uns damit nicht abfinden. Das ist einer langen Partnerschaft geschuldet, das hat aber auch damit etwas zu tun, dass in Deutschland drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln leben, sie sind Teil unseres Landes, sie bereichern uns, die gehören dazu. Wir brauchen die Türkei als einen verlässlichen Partner auch zur Lösung vieler internationaler Konflikte. Wir haben es mit einer sehr fragilen Region zu tun. Umso wichtiger ist es, dass wir nicht nur übereinander, sondern auch miteinander reden.
    Barenberg: Manche Beobachter gehen ja schon so weit, dass das Fundament der Beziehungen ihnen gebrochen oder geborsten erscheint. Ist das für Sie nicht der Fall?
    Roth: Das sehe ich nicht so. Wir sind ja trotz der Schwierigkeiten nach wie vor im Gespräch, und wir sind ja auch deutlich und klar in unseren Aussagen. Wenn Demokratie unter Druck gerät, wenn die Rechtsstaatlichkeit in Zweifel gerät, wenn die Unabhängigkeit der Justiz, die Medienfreiheit, die Meinungsfreiheit stark eingeschränkt wird, dann müssen wir unsere Stimme erheben. Aber es ist wichtig, dass wir eben auch den Verantwortlichen in der Türkei im persönlichen Gespräch, im direkten Austausch freundlich, aber klar unsere Position übermitteln. Denn schließlich erhebt die Türkei nach wie vor den Anspruch, Mitglied der Europäischen Union zu werden. Das ist eine Wertegemeinschaft. Und sie gehört seit vielen Jahrzehnten dem Europarat an, und auch daraus ergeben sich unmittelbare Verpflichtungen.
    Kein Grund für eine Inhaftierung Yücels
    Barenberg: Zeigt aber nicht gerade die Inhaftierung von Deniz Yücel und auch der Journalistin Mesale Tolu und anderen deutschen Staatsangehörigen, dass man bei Menschenrechten und gerade beim Thema Rechtsstaat, das sie gerade angesprochen haben, gar nicht mehr zusammenfinden kann?
    Roth: Derzeit kommen wir nicht zusammen, aber wir lassen ja nicht locker. Für uns ist der Fall Deniz Yücel ja nur die Spitze des Eisberges. Es sind ja auch eine Reihe von anderen Journalistinnen und Journalisten in Haft, man spricht von über 160, und das ist mit den Werteprinzipien Europas nicht vereinbar. Journalistinnen und Journalisten müssen ihre Arbeit frei ausüben können, und wir können überhaupt nicht nachvollziehen, warum Deniz Yücel über so einen langen Zeitraum inhaftiert wird. Dafür sehen wir keinen Grund. Wir erwarten ein rechtsstaatliches Verfahren so schnell wie irgend möglich. Aber deswegen besucht ja auch unser Botschafter Deniz Yücel, deshalb stehen wir in einem engen Kontakt mit den Anwälten, mit der Familie. Unser Generalkonsul hat Deniz Yücel mehrfach im Gefängnis besucht. Wir nehmen da auch unsere Verpflichtungen wahr, weil es sich bei Deniz Yücel nicht nur um einen türkischen, sondern vor allem auch um einen deutschen Staatsbürger handelt.
    Barenberg: Haben Sie irgendwelche Zweifel in der Bundesregierung, dass es sich bei der Inhaftierung von Deniz Yücel um so etwas wie eine politische Geiselnahme handelt?
    Roth: Wenn wir um Offenheit und Fairness im Umgang mit Deniz Yücel bitten, wird immer darauf hingewiesen, dass es ja eine unabhängige Justiz in der Türkei sei und man keine Einflussnahme vornehmen könne. Gleichzeitig erleben wir, dass politische Verantwortliche Yücel öffentlich vorverurteilen, ihn als Spion bezeichnen, ihn als potenziellen Terroristen bezeichnen. Das passt ja alles überhaupt nicht zusammen.
    Barenberg: Sie sprechen vom Staatspräsidenten.
    Roth: Ja. Daraus kann ich nur schließen, dass es nicht wirklich um die Straftaten geht, sondern dass es natürlich um ein politisches Signal geht, das man setzen möchte. Und das wird dem Journalisten Deniz Yücel nicht gerecht, das wird aber auch den deutsch-türkischen Beziehungen nicht gerecht. Und hier müssen wir schnellstmöglich zu anderen Verhältnissen kommen. Deswegen bin ich ja auch hier, deswegen war der Außenminister Sigmar Gabriel hier, und viele andere zeigen hier Flagge. Und ich bin immer wieder auch schwer beeindruckt, wie groß die Solidarität in der Bevölkerung ist in ganz Europa, und ich hoffe, dass diese Signale endlich auch in Ankara verstanden werden.
    Barenberg: Wenn es denn so ist, dass die Bundesregierung keine auch nur in irgendeiner Weise gearteten substanziellen Gründe für die Haft von Yücel sieht, muss dann der Umgang der Türkei mit Deniz Yücel so etwas werden wie eine Messlatte für alle Möglichkeiten der künftigen Beziehungen, des Austauschs miteinander?
    Roth: Ich kann ja eine Rückkehr zu vertrauensvollen, freundschaftlichen Beziehungen, wie sie seit Jahrzehnten bestanden haben, nur vorstellen, wenn Deniz Yücel freigelassen wird und wenn es zu einem rechtsstaatlichen Verfahren kommt, einem Verfahren, einem Gerichtsverfahren, das wirklich strengen rechtsstaatlichen Prinzipien Genüge tut. Das ist eine ganz klare Erwartungshaltung. Ich will aber noch mal unterstreichen, es geht ja nicht allein nur um Deniz Yücel. Es geht um die Medienfreiheit, um die unabhängige Arbeit von Journalistinnen und Journalisten generell, und die ist eben derzeit stark eingeschränkt. Und wenn man einem Journalisten etwas vorwirft, dann muss man das auch konkret belegen können. Und deswegen drängen wir ja auch darauf und drängt ja auch Deniz Yücel darauf, dass es schnell auch zu einem Verfahren kommt, wo man auch diese Vorwürfe klären kann. Denn wir sehen diese Vorwürfe als grundlos an, aber wir wollen uns da nicht weiter einmischen, denn wir müssen sehen, dass natürlich auch im Lichte eines hoffentlich rechtsstaatlichen Prinzipien entsprechenden Gerichtsverfahrens. Und das steht noch aus. Er ist ja zurzeit in Untersuchungshaft, und das schon viel zu lange, und es gibt dafür keinen Anlass.
    Vorwürfe gegen Yücel schnell klären
    Barenberg: Gelten diese Bedingungen, die Sie gerade skizziert haben, also all das, was sie von der Türkei erwarten, gilt das auch mit Blick, sagen wir, auf die Zollunion der Europäischen Union, wo die Türkei ja sich eine Ausweitung wünscht und die Ausweitung auf weitere Bereiche, was wirtschaftliche Vorteile für die Türkei bedeuten würde. Dass man also sagt, solange es nicht demokratische Standards gibt, brauchen wir darüber gar nicht zu sprechen?
    Roth: Die Türkei ist ja ein tief gespaltenes Land. Das hat ja nicht zuletzt auch das Verfassungsreferendum gezeigt, wo es in den großen Städten, in Izmir, in Ankara und in Istanbul überhaupt keine Mehrheit für die Vorschläge von Staatspräsident Erdogan gab. Und diesen Menschen fühlen wir uns natürlich in erster Linie verpflichtet, und deswegen sollten wir auch nicht den Fehler machen, die Türkei gleichzusetzen mit der türkischen Regierung. Es gibt hier eine lebendige junge, vielfältige, auch kritische Zivilgesellschaft, und die haben auch genauso verdient, von uns wertgeschätzt zu werden. Und deshalb arbeiten wir ja auch nach wie vor an einer europäischen Perspektive für die Türkei. Aber sie ist derzeit Lichtjahre davon entfernt, weil sie die notwendigen Werteprinzipien nicht einhält. Und es sollte der Türkei auch klar sein, dass unsere Türen offenstehen und dass wir noch enger, auch politisch, wirtschaftlich, kulturell mit der Türkei zusammenarbeiten wollen. Aber dafür müssen eben auch entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden, sonst kann es keine engere Kooperation geben. Die wirtschaftliche Kooperation, die Sie eben angesprochen haben, bezogen auf die Zollunion, muss ja in einem unmittelbaren Zusammenhang gesehen werden mit der Zusammenarbeit in Demokratie, in Wertefragen, in kulturellen Fragen. Und das, hoffe ich, wird von unseren Partnern auch hier in Ankara und in der Türkei verstanden.
    Barenberg: Das heißt, Herr Roth, wenn es darum geht, Brücken zu bauen, und die Frage, welche Brücken das sein könnten, dann würden Sie für den Moment jedenfalls sagen, die andere Türkei, also die Gespräche mit Vertretern der Zivilgesellschaft, all das hat Vorrang vor den offiziellen Gesprächen mit Regierung und auch Staatspräsident Erdogan?
    Roth: Nein, überhaupt nicht. Beides ist wichtig. Kürzlich war ja der Außenminister hier und hat Gespräche mit dem türkischen Staatspräsidenten und mit seinem türkischen Amtskollegen geführt. Jetzt bin ich hier, um vor allem auch in Istanbul das Gespräch zu suchen mit Repräsentantinnen und Repräsentanten der Zivilgesellschaft. Ich habe mich gerade mit der Geschäftsführerin von Amnesty International getroffen, auch das ist ein klares Zeichen der Solidarität. Wir wollen ja auch hören, wie sieht die Lage aus, wie empfinden Bürgerinnen und Bürger die derzeitigen Verhältnisse. Aber man sollte diese engen Kontakte zur Zivilgesellschaft nicht ausschließen oder aufheben gegenüber notwendigen Gesprächen mit der Regierung. Beides ist wichtig. Das Schlimmste wäre, wenn wir jetzt nur noch übereinander redeten und nicht miteinander den Dialog führten. Gerade in den schwierigen Zeiten zeigt sich ja die Notwendigkeit von Diplomatie.
    Barenberg: Sagt Michael Roth von der SPD, der Staatsminister im Auswärtigen Amt. Danke für das Gespräch heute Morgen hier im Deutschlandfunk, Herr Roth!
    Roth: Ich danke Ihnen. Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.