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Türkei
Schlammschlacht in der AKP

Ein öffentlicher Streit dominiert zurzeit die türkische Regierungspartei AKP. Zunächst ging Ankaras Bürgermeister Gökcek den stellvertretenden Ministerpräsidenten Arinc an. Letzterer wiederum beschuldigte Gökcek der Korruption. Auch von einer Palastrevolte gegen Erdogan ist die Rede.

Von Gunnar Köhne |
    Zerrissenes Wahlplakat des türkischen Politikers Recep Tayyip Erdogan
    Der innerparteiliche Zwist könnte die AKP vor den Parlamentswahlen im Juni weiter schwächen und Erdogans Ziel eines starken Präsidenten nach amerikanischen Vorbild in weite Ferne rücken. (dpa / picture alliance / Tolga Bozoglu)
    Es hätte für die AKP nicht schlimmer kommen können. Fast zeitgleich mit der Veröffentlichung einer Meinungsumfrage, nach der die türkische Regierungspartei in der Wählergunst von zuletzt 48 auf 40 Prozent abgerutscht ist, liefern sich zwei AKP-Spitzenfunktionäre vor laufenden Kameras eine üble Schlammschlacht. Zunächst geht der Bürgermeister der Hauptstadt Ankara, Melih Gökcek, den stellvertretenden Ministerpräsidenten über Twitter mit den Worten an: "Wir wollen dich nicht mehr haben, Bülent Arinc". Arinc, zugleich Regierungssprecher, tritt daraufhin vor die Presse und schlägt zurück. Er beschuldigt Gökcek der Korruption im Auftrag der Gülen-Bewegung:
    "Damit verfolgt Gökcek nur zwei Ziele: Er will anderen gefällig sein und seinem Sohn einen Parlamentssitz bei den nächsten Wahlen sichern. Um Bürgermeister von Ankara zu werden, hat er im Namen dieser Organisation Grundstück für Grundstück verkauft. Die Rechnung für seine Angriffe auf mich werde ich ihm nach den Wahlen am 8. Juni präsentieren."
    Arinc hatte dem Staatspräsidenten öffentlich widersprochen
    Gökcek droht daraufhin, Arinc zu verklagen. Der Bürgermeister war schon in der Vergangenheit mit agressiven Twitterkommentaren gegen Erdogan-Gegner aufgefallen. Viele vermuten, dass Gökcek von noch höherer Stelle, möglicherweise aus dem Präsidentenpalast heraus zu den Attacken gegen Arinc angestiftet worden ist. Denn Arinc, ein alter Weggefährte Erdogans und Mitbegründer der AKP, hatte zuvor etwas gewagt, was man nicht für möglich gehalten hätte: Er hatte dem Staatspräsidenten öffentlich widersprochen. Erdogan hatte sich am vergangenen Wochenende darüber mokiert, dass er über die Kurdenpolitik der Regierung nicht ausreichend informiert gewesen sei. Während Ministerpräsident Davutoglu jede Konfrontation mit Erdogan scheut, erinnerte Arinc daran, dass die Kurdenpolitik nicht Sache des Präsidenten sei und dass es "dafür eine Regierung" gebe. Die Türkei hält seitdem den Atem an: Bahnt sich etwa eine Palastrevolte gegen Erdogan und dessen absoluten Führungsanspruch an? Der Journalist Hadi Özisik verortet die parteiinternen Spannungen besonders bei einem Thema:
    "Nachdem Meinungsumfragen gezeigt haben, dass die Mehrheit der Bevölkerung das von Erdogan angestrebte Präsidialsystem ablehnt, trauen sich auch innerhalb der AKP die Gegner einer solchen Verfassungsänderung aus der Deckung. Da gibt es tiefe Gräben innerhalb der AKP, und was man aus Ankara hört, gibt es Bestrebungen, Erdogan in diesem Punkt zu isolieren."
    Wirtschaftsboom droht ein Ende zu nehmen
    Der innerparteiliche Zwist könnte die AKP vor den Parlamentswahlen im Juni weiter schwächen und Erdogans Ziel eines starken Präsidenten nach amerikanischen Vorbild in weite Ferne rücken. Denn dafür braucht er im Parlament eine Zweidrittelmehrheit. Ungünstig für die Partei ist auch die schwächelnde Wirtschaft. Die türkische Lira ist so weich wie seit Jahren nicht mehr - der Wirtschaftsboom, der der AKP seit zwölf Jahren die Macht sichert, droht ein Ende zu nehmen.
    Erst nach zwei Tagen griff der als farblos und entscheidungsschwach verspottete Ministerpräsident Davutoglu in den innerparteilichen Streit ein und kritisierte sowohl seinen Vize Arinc als auch Bürgermeister Gökcek:
    "Diejenigen, die an den zuständigen Gremien der Partei vorbei - aus welchen Gründen auch immer - öffentlich streiten und damit die Partei zerstören, werden keinen Erfolg haben."
    Die Staatsanwaltschaft Ankara hat gegen die beiden Streithähne ein Verfahren wegen "Missbrauch im Amt" eingeleitet. Ob die Meinungsverschiedenheiten über den Kurs der AKP damit wieder unter einer Decke verschwinden werden können, bleibt abzuwarten. Derweil sorgt eine andere Nachricht für Nervosität im Regierungslager: Der bei der Bevölkerung beliebte Ex-Präsident Abdullah Gül soll einem Gerücht zufolge eine Konkurrenzpartei zur AKP gründen wollen.