Mehmet sitzt vor seinem Haus in Kasaba auf einer kleinen Terrasse und trinkt Tee. Es ist nicht wirklich idyllisch. Die Durchgangsstraße führt direkt vorbei. Das Dorf Kasaba ist etwa 20 Kilometer vom Meer und damit auch vom Urlaubsort Kaş in der Provinz Antalya entfernt. Corona hat hier erst keine große Rolle gespielt, erzählt der 49-jährige:
"Am Anfang hatten wir keine Angst. Da haben wir alle gesagt, wegen einem Fall … da passiert doch nichts. Aber dann hat‘s plötzlich nicht nur Fälle in Istanbul gegeben, sondern auch in Antalya. Jetzt haben alle Angst. Es geht ja um unser Leben."
Seine Mutter, die mit Mehmets beiden Kindern und seiner Frau mit im Haus lebt, kommt in Pantoffeln aus der Türe. Sie darf eigentlich nicht raus – zumindest nicht vom Grundstück runter. In der Türkei gilt eine Ausgangssperre für alle über 65. "Ich habe Hühner in meinem Garten", sagt sie, "da wird mir nicht langweilig."
Angst um die Alten
Anfangs musste Mehmet sie noch zwingen, zu Hause zu bleiben, sagt er. Inzwischen hat sie eingesehen, dass es zu gefährlich ist – auch wenn es ihr schwer fällt: "Ich hab eine Schwester in Kaş. Sie ist sehr krank, ich kann nicht zu ihr und sie besuchen. Das ist da einzige. Es könnten ihre letzten Tage sein. Sie hat Krebs", erklärt sie und verschwindet hinter dem Haus.
Sie haben hier im Ort sogar einen Arzt, erzählt Mehmet. Der kommt, wenn nötig, auch zu Hausbesuchen. Allerdings ist seine Praxis nicht gut ausgestattet. "Mir ist neulich was ins Auge gekommen. Ich musste nach Kaş. Aber da wollte ich eigentlich nicht hin. Ich habe Angst vor dem Krankenhaus da, ich mag es wenn's kleiner ist."
50 Krankenhausbetten und vorbereitet für Corona
Das staatliche Krankenhaus in Kaş ist erst fünf Jahre alt und hat rund 50 Betten mit Platz für mehr. Sie sind hier vorbereitet für den ersten Fall von Corona, sagt die Ärztin Dr. Munise Ozan:
"Wir haben eine Intensivstation und Beatmungsgeräte, natürlich nur in sehr begrenzter Zahl. Es ist ja nur ein kleines Krankenhaus. Wenn wir jetzt hier einen Coronapatienten mit einem relativ milden Verlauf hätten, könnte man den hier auf der Intensivstation betreuen."
Sonst würde er wohl nach Antalya gebracht, was knapp 200 Kilometer weit weg ist. Dr. Ozan war früher selbst im Staatsdienst. Jetzt hat die Allgemeinärztin eine kleine Praxis in Kaş. Im Moment nimmt sie aber nur Notfälle an, und keine Corona-Verdachtsfälle. Die melden sich aber bei ihr. Dann berät sie am Telefon:
"Wenn Du keine starken Symptome hast, kann auch keiner was genaues diagnostizieren. Ich sag dann, warte und beobachte wie es sich entwickelt. Wenn Du nur schwer atmen kannst, Fieber kriegst und Dich schwach fühlst..."
Dann sollen sie ins Krankenhaus gehen. Man habe inzwischen Schnelltests auch in Kaş. Abdullah lebt in Göceören, einem anderen kleinen Dorf in den Bergen ebenfalls in der Nähe von Kaş. Hier sind die Straßen wie ausgestorben.
Nur ein paar Hühner tapsen über einen Schotterweg. An dessen Ende steht der 73-jährige Abdullah und hält ein Schwätzchen mit seinem Nachbarn – auf einigermaßen sicherer Distanz:
"Wir kommen ja nicht mal unseren Kindern und Nachbarn zu nahe. Vielleicht haben sie Corona und ich nicht, oder ich hab's und sie nicht. Eigentlich ist es gar nicht erlaubt, dass ich gerade hier draußen bin. Unsere Abwehrkräfte sind schwächer als die der jungen Leute."
Die Polizei kommt selten in das abgelegene Dorf
Er ist in Rufweite von Zuhause. Die Polizei kommt selten hier hoch, um die Ausgangssperre zu kontrollieren. Und er hat gar keinen Anlass runter nach Kaş zu gehen. In seinem Garten wächst alles: Paprika, Tomaten, Knoblauch, Äpfel, Kräuter, zählt Abdullah auf.
Die Hühner auf dem Kiesweg sind seine, anderes Fleisch kriegt er vom Nachbarn. Das abgelegene Göceören hat keinen eigenen Arzt: "In Kaş gibt’s ein Gesundheitszentrum, hier nicht. Von da kommen Hausärzte einmal die Woche vorbei und kümmern sich um die, die einen Arzt brauchen. Dann gehen sie wieder."
Auch Kaş selbst ist alles andere als trubelig, wie normalerweise um diese Zeit. Da wäre der Küstenort schon voller Touristen. Aber die Saison soll bald anfangen, trotz Corona, zumindest für inländische Urlauber, erzählt Dr. Ozan: "Wenn die Leute aus Istanbul ans Meer kommen, in unsren oder einen anderen Ort, dann kann das riskant sein für die Leute hier."
Sie haben Angst, dass sie das Virus aus dem Corona-Hotspot Istanbul einschleppen.
Für Mehmet hat Corona auch etwas Positives gebracht
In Kasaba, dem Dorf an der Durchgangsstraße, ist es am frühen Abend etwas ruhiger geworden. Mehmet ist Landwirt und damit viel draußen unterwegs – nach wie vor. Für ihn hat Corona aber auch was Positives gebracht:
"Die Natur erholt sich. Verschiedene Tiere kommen jetzt raus. Als ich neulich unterwegs war, hab‘ ganz viele Hasen gesehen. Weil kaum Autos fahren, haben sie keine Angst mehr."
Seine Mutter kommt aus dem Garten von den Hühnern zurück und verschwindet im Haus. Das bisschen Ausgang muss für heute reichen.