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Türkei und EU
Van Aken für Ende von PKK-Verbot in Europa

Der Linken-Politiker Jan van Aken hat angesichts der Entwicklung in der Türkei verlangt, das Verbot der kurdischen PKK in Europa aufzuheben. Dafür gebe es "keinen objektiven Grund mehr, außer man stellt sich politisch an die Seite der türkischen Regierung", sagte er im DLF.

Jan van Aken im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Jan van Aken (Die Linke)
    Jan van Aken (Linke) (dpa/picture alliance/Paul Zinken)
    "Alle wissen in Deutschland, dass die PKK keine Terrororganisation ist", erklärte van Aken. Angesprochen auf Anschläge, zu denen sich die Organisation bekannt habe, meinte er, die PKK habe seit 20 Jahren in Europa jeglicher Gewalt abgeschworen. Es sei klar, dass die PKK in der Türkei eine andere Rolle habe, aber: "Anschläge auf Zivilisten finden hier nicht statt durch die PKK". In dem Land finde ein Bürgerkrieg satt. Diesen kritisiere er, auch ihm seien die Friedensverhandlungen der vergangenen Jahre lieber gewesen. Aber eine Einstufung der PKK als Terrororganistaion in Europa, "das ist völlig albern".
    Der Linken-Politiker forderte zudem die Bundesregierung auf, die Geheimdienstzusammenarbeit mit der Türkei auszusetzen und die Stationierung von Bundeswehrsoldaten in Incirlik zu überdenken. In den letzten Monaten kenne die Repression in der Türkei überhaupt keine Grenzen mehr. Das Land befinde sich auf dem Weg in die Diktatur.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei hat es zehntausende Entlassungen gegeben, zehntausende Festnahmen. Andersdenkende, Regierungskritiker, Oppositionelle werden massenhaft von ihren Beamtenjobs entlassen oder sogar strafrechtlich verfolgt. Strafrechtlich verfolgt wird auch der Fußballer Deniz Naki, auch wenn sein Fall auf die Zeit vor dem Putschversuch zurückgeht. Fußballfans kennen ihn als U21-Nationalspieler, als früheren Profi von St. Pauli.
    Aber seit dem vergangenen Sommer spielt der Deutsche mit kurdischen Wurzeln für einen Club im türkischen Diyarbakir. Der Verein ist so was wie eine inoffizielle kurdische Nationalmannschaft. Einen überraschenden Sieg seines Clubs gegen den früheren türkischen Meister Bursaspor widmete Naki dann im Januar den Opfern der türkischen Militäroperation gegen kurdische Rebellen und dafür steht er jetzt vor Gericht. Der Prozess beginnt heute in Diyarbakir und der Linken-Bundestagsabgeordnete und Außenpolitiker Jan van Aken ist nach Diyarbakir gereist, um das Verfahren zu beobachten, und ist jetzt am Telefon. Guten Morgen.
    Jan van Aken: Einen schönen guten Morgen.
    Schulz: Herr van Aken, die Frage vielleicht vorab. Zu den deutschen Bundeswehrsoldaten nach Incirlik, da lässt man Sie im Moment ja nicht. Ihre Einreise jetzt lief aber ganz ohne Probleme?
    van Aken: Ja. Gestern in Istanbul am Flughafen gab es überhaupt keine Probleme bei der Einreise. Die Frage zum NATO-Stützpunkt Incirlik ist ja eine andere, nicht ob ich ins Land darf, sondern ob ich auf diesen NATO-Stützpunkt darf, und da warte ich jetzt mittlerweile fast vier Wochen auf eine Erlaubnis. Die ist immer noch nicht da.
    Schulz: Wie blicken Sie jetzt auf den Fall Naki und dem Prozess entgegen?
    van Aken: Im Fall Naki kann man eigentlich sehen, was hier gerade in der Türkei in den letzten Wochen und Monaten passiert. Das ist ja eine Repression, die überhaupt keine Grenzen mehr kennt. Die halbe Opposition sitzt im Knast, fast die gesamte freie Presse sitzt im Gefängnis, ist dichtgemacht worden. Man spricht hier mittlerweile auch von offizieller Botschaftsseite davon, dass die Presse fast durchgehend gleichgeschaltet ist. Das ist ein Land, das sich mitten hinein im Weg auf die Diktatur befindet, und an Deniz Naki sieht man, was das heißt. Er hat im Januar im Internet gepostet, einen Sieg sozusagen den Opfern dieser türkischen Angriffe gewidmet, und das ist heute schon Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Ihm drohen tatsächlich fünf Jahre Gefängnis.
    "Sein Ziel ist Frieden und Freiheit."
    Schulz: Hatten Sie schon Kontakt zu ihm? Können Sie sagen, wie es ihm geht?
    van Aken: Ja, wir haben uns gestern Abend getroffen, zusammen mit seinem Anwalt, und er ist gut drauf, muss man sagen. Er ist guten Mutes, sagt, er kann sich eigentlich nicht vorstellen, dass er verurteilt wird. Und wenn er verurteilt wird, dann ist das so, dann geht er hier auch in den Knast. Er möchte nicht nach Deutschland fliehen, wo ja noch seine Familie wohnt - er ist in Düren aufgewachsen -, sondern er möchte hier bleiben. Er geht dann in den Knast und sagt, dann hat er da eben Zeit, sich fortzubilden - auch ein bisschen Galgenhumor, aber er sagt auch, er steht völlig zu dem, was er damals gesagt und geschrieben hat, denn sein Ziel ist Frieden und Freiheit und dagegen kann doch eigentlich kein Mensch etwas haben.
    Schulz: Können Sie die Einschätzung nachvollziehen? Er sagt, das sei unvorstellbar, dass er dafür jetzt in den Knast wandert, wie Sie sagen. Aber es gibt ja nun unzählige Fälle, in denen das vielleicht aus deutscher Perspektive unvorstellbar ist, dass das strafbar sein soll, in denen das aber gerade die türkische Justiz ja nun ganz anders sieht.
    van Aken: Ja und ich glaube, das hat sich auch etwas verschoben. Anfang des Jahres gab es für ihn dafür noch, ich glaube, mehrere Tage Spielsperre. Er durfte nicht Fußball spielen. Und nicht mal ein ganzes Jahr später droht plötzlich Gefängnis. Ich glaube, da verschiebt sich so viel, das keiner hier einschätzen kann. Wir haben auch den Anwalt gefragt gestern, was seine Einschätzung ist, und der sagt, er kann es überhaupt nicht sagen nach dem, was in der letzten Woche passiert ist, die Festnahmen der HDP-Politiker und auch die Haftbefehle gegen die Journalisten von "Cumhuriyet". Das heißt, es ist völlig offen, wie die Gerichte im Moment entscheiden. Aber der Druck wird immer größer und deswegen finde ich es nicht ausgeschlossen, dass es eine Verurteilung gibt.
    Schulz: Er ist ja deutscher Staatsbürger. Warum zieht er das türkische Gefängnis der Freiheit in Deutschland vor?
    van Aken: Das war ja für Deniz Naki auch eine ganz bewusste Entscheidung, jetzt hier in Diyarbakir bei Bursaspor zu spielen, die, wie Sie gesagt haben, inoffizielle kurdische Nationalmannschaft. Er ist Sohn kurdischer Eltern, ist von Anfang an auch in Deutschland aufgewachsen mit der ganzen kurdischen Frage und hat sich dann, nachdem er bei einem Erstligisten in Ankara gespielt hat und dort angefeindet worden ist wegen seiner Äußerungen zu Kurdistan, bewusst entschieden und hat gesagt, er möchte seinem Volk, seinen Menschen hier in Kurdistan helfen, sie unterstützen, möchte ihnen Freude machen mit dem Fußball, und spielt deswegen hier in der dritten Liga. Er könnte locker auch in der zweiten oder ersten Liga in der Türkei spielen. Das möchte er nicht. Und er sagt, wenn er jetzt geht, dann lässt er die Menschen alleine. Er hat so viel Leid gesehen gerade Anfang des Jahres, als die Städte hier bombardiert wurden vom türkischen Militär, sehr viel zerstört worden ist. Auch hier in Diyarbakir sieht man unfassbare Zerstörungsspuren. Und er sagt, die Menschen möchte er nicht alleine lassen, und wenn das bedeutet, dass er in den Knast muss, dann tut er das.
    "Die Bundesregierung muss endlich auch mal Taten folgen lassen."
    Schulz: Jetzt ist der Fall Naki wie gesagt einer von Zehntausenden von Menschen, von Regierungsgegnern, von Unterstützern der Kurden, die Repressionen ausgesetzt sind. Welche Konsequenzen muss Europa ziehen?
    van Aken: Ich denke, die Zeit für Worte ist vorbei. Ich denke, die Bundesregierung muss endlich auch mal Taten folgen lassen. Und da rede ich jetzt gar nicht über Sanktionen oder allen möglichen Druck, sondern einfach mal anfangen, die politische Unterstützung für Erdogan und die türkische Regierung zu entziehen. Denn man muss sich vorstellen, dass es bis heute trotz der ganzen Unterdrückung hier eine massive Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheitskräfte, Militär und Polizei gibt, und ich finde, damit muss Schluss sein.
    Schulz: Was genau meinen Sie damit?
    van Aken: Es gibt verschiedene Punkte. Das eine wäre zum Beispiel das PKK-Verbot. Alle wissen in Deutschland, auch Steinmeier und Merkel, dass die PKK keine Terrororganisation ist. Das ist eine reine politische Unterstützung für Erdogan, dieses Verbot aufrecht zu erhalten in Europa. Oder die Bundeswehrsoldaten in Incirlik. Es ist ja nun eine Frage, dass die nicht besucht werden dürfen von Bundestagsabgeordneten. Aber auch die sind eine politische Unterstützung. Und das andere sind natürlich die Geheimdienstzusammenarbeiten. Ich finde, das muss eingestellt werden. Wenn der türkische Geheimdienst hier in der Türkei eingesetzt wird, um freie Presse zu unterdrücken, um Abgeordnete festzunehmen und zu verurteilen, dann darf es dort keine Zukunft geben.
    Schulz: Herr van Aken, ganz kurz zu Ihrem ersten Punkt, weil der ja sehr umstritten ist: die Aufhebung des PKK-Verbots. Machen Sie da nicht genau das, was Ihnen auch von türkischer Seite vorgeworfen wird? Machen Sie sich da nicht gemein mit Terroristen, die ja nachweislich Anschläge, zu denen sie sich auch bekennen, begehen?
    van Aken: Na ja. Ich muss sagen, in den 90er-Jahren hatte die PKK in Europa tatsächlich eine andere Rolle. Die haben seit 20 Jahren in Europa jeglicher Gewalt abgeschworen. Das sagen alle, mit denen Sie reden, egal welcher Partei in Berlin, dass sich die Grundlagen für das PKK-Verbot, die es möglicherweise gab Anfang der 90er, völlig geändert haben. Es gibt keinen objektiven Grund mehr, außer man stellt sich politisch an die Seite der türkischen Regierung und unterstützt sie damit. Dass die PKK hier in der Türkei eine andere Rolle hat, ist auch klar, aber Anschläge auf Zivilisten finden hier nicht statt durch die PKK. Es findet ein Bürgerkrieg statt, der von beiden Seiten geführt wird, wird von vielen Seiten kritisiert, ich kritisiere das auch. Mir waren die Friedensverhandlungen vor zwei Jahren sehr viel lieber, aber das ist die Situation hier. Aber als Terrororganisation in Europa, das ist völlig albern.
    Schulz: Die Darstellung von Jan van Aken, dem außenpolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke im Bundestag, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.