Da staunte die türkische Öffentlichkeit nicht schlecht: Vor wenigen Tagen meldeten die Hauptnachrichten, Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan habe sich mit Abgesandten einflussreicher jüdischer Organisationen aus den USA getroffen. Es habe sich um einen Meinungsaustausch in freundlicher Atmosphäre gehandelt, hieß es hinterher. Über den Inhalt der Gespräche wurde weiter nichts bekannt.
Erdogan als Israel-Kritiker
Aber nur wenige Wochen zuvor, hatten israelische Medien überraschend gemeldet, Vertreter Israels und der Türkei hätten sich in der Schweiz nach monatelangen Verhandlungen darauf geeinigt, ihre Beziehungen wieder zu normalisieren. Und dies, obwohl Erdogan bis dahin keine Gelegenheit ausgelassen hatte, Israel wegen seiner Politik gegenüber den Palästinensern sehr heftig zu kritisieren. Mehrfach hatte er sogar dabei das Wort "Staatsterror" verwendet. Unverzeihlich nannte Ankara stets die Erstürmung des türkischen Hilfsschiffes Mavi Marmara durch israelische Soldaten vor fast sechs Jahren, im Mai 2010.
Neun türkische Staatsbürger kamen dabei ums Leben. Sie wollten Hilfsgüter in den Gaza-Streifen bringen. Israel seinerseits beschuldigte die Türkei den islamistischen Terror zu unterstützen. Doch obwohl beide Botschafter abgezogen worden waren, habe man die Kontakte nie völlig gekappt, sagt der Istanbuler Politologe Ilter Turan:
"Trotz dieser Schwierigkeiten ist der türkisch-israelische Handel die ganze Zeit gewachsen und auch die Anzahl der israelischen Touristen, die in die Türkei kommen, steigt wieder. Beide Länder sind daran interessiert Syrien zu stabilisieren, sie wollen beide nicht, dass Russland seinen Einfluss dort weiter ausbaut, und beide wollen verhindern, dass der Iran Atomwaffen besitzt. Und schließlich möchten beide rasch die Energievorkommen im östlichen Mittelmeer ausbeuten."
Krieg in Syrien bringt beide zusammen
Mit anderen Worten: Der Krieg in Syrien und die Energiefrage habe beide Staaten wieder zusammengebracht. So hat sich Israel bereit erklärt, 20 Millionen US-Dollar in einen Fonds zu zahlen, mit dem jene Familien entschädigt werden sollen, deren Angehörige beim Sturm auf die Mavi Maramara verletzt oder getötet worden waren. Im Gegenzug erklärt sich die Türkei bereit, ihre Forderung nach einer Strafverfolgung der beteiligten Offiziere fallen zu lassen. Beide Seiten haben angekündigt, möglichst bald wieder Botschafter nach Ankara respektive Jerusalem entsenden zu wollen. Der türkische Außenminister Cavusoglu vermag keinen Gesichtsverlust für sein Land zu erkennen:
"Der Siedlungsbau in der Westbank und in Ost-Jerusalem muss umgehend eingestellt werden. Der Friedensprozess muss wieder aufgenommen werden. In dieser Hinsicht stehen wir an der Seite unserer palästinensischen Brüder. Für eine Normalisierung unserer Beziehungen zu Israel haben wir drei Bedingungen gestellt. Der Regierungschef sollte sich entschuldigen, was er inzwischen getan hat. Jetzt erwarten wir noch, dass die beiden anderen Bedingungen erfüllt werden."
Bereits 2013 hatte sich Israels Premier Netanjahu auf Vermittlung von US-Präsident Obama für den Mavi-Marmara-Einsatz entschuldigt. Doch Erdogan hatte zunächst ein Blockade-Ende des Gaza-Streifens und seiner 1,8 Millionen Palästinenser zur Bedingung gemacht, bevor man die Beziehungen vollständig normalisieren könne. Doch dazu zeigt sich die Regierung Netanjahu angesichts der anhaltenden gewaltsamen Auseinandersetzungen mit den Palästinensern nicht bereit. Immerhin genehmigte sie deutlich mehr türkische Hilfslieferungen nach Gaza - in diesem Jahr könnten sie knapp 200 Millionen Euro wert sein. Und auch ein Besuch des türkischen Staatsoberhaupts Erdogan in Gaza ist offenbar im Gespräch.
Energieversorgung in Gefahr
Doch vor allem bringt die Energiefrage beide Länder wieder einander näher. Seit sich Ankara mit dem russischen Präsidenten Putin wegen des Abschusses eines russischen Kampfflugzeugs an der syrisch-türkischen Grenze überworfen hat, fürchtet die türkische Führung um die Versorgung mit russischem Erdgas. Gleichzeitig treibt Israel die Ausbeutung von Gasfeldern im östlichen Mittelmeer voran. Und es weiß: der einzig wirtschaftlich lohnende Weg des Gases zu den Verbrauchern in Europa läuft über die Türkei.
Und nicht zuletzt: Die beiden einzigen - mindestens formal - parlamentarischen Demokratien der Region fühlen sich gleichermaßen bedroht durch den Terror und den Krieg in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Dies aber könnte, so Ilter Turan, auch eine andere einst enge Kooperation wieder beleben:
"Beide Länder pflegten früher eine äußerst enge militärische Zusammenarbeit. Die israelische Luftwaffe durfte Anatolien zu Übungsflügen nutzen, die Türkei wiederum ließ ihre Panzer in Israel modernisieren und kaufte dort Hightech ein. Wer weiß, ob diese gegenseitig nützlichen Militärbeziehungen nicht schon bald wieder hergestellt werden, weil die Lage es erfordert?"