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Türkei und Russland
"Es ist eine Entspannung, keine Annäherung"

Die Türkei und Russland sprechen wieder miteinander, verfolgen in Syrien laut Volker Perthes jedoch unterschiedliche Interessen. "Beide sind Unterstützer der wesentlichen Konfliktparteien in Syrien, und das hat sich nicht geändert", sagte der Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik im DLF.

Volker Perthes im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Volker Perthes, Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik am 31.01.2014
    Volker Perthes, Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (imago stock&people)
    Jürgen Zurheide: Wir wollen von einem Schauplatz der Auseinandersetzungen zum nächsten wechseln. Wir haben es gerade schon angesprochen, auch im Nahen Osten, in Syrien, ist die Lage mehr als katastrophal. Wenn man in diesen Minuten und Stunden über Aleppo redet, gibt es kein anderes Wort. Assad und seine Gegner kämpfen dort außerordentlich erbittert. Auf der anderen Seite sind die syrischen Rebellen vorgerückt auf Manbidsch. Da gibt es an der türkischen Grenze möglicherweise neue Entwicklungen. Und auf dem diplomatischen Parkett fragen wir uns: Was bedeutet das, dass Russland und die Türkei sich angenähert haben, welche Konsequenzen hat das für den Konflikt. Damit habe ich den Rahmen beschrieben, über den wir reden wollen mit Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik, den ich jetzt ganz herzlich am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Perthes!
    Volker Perthes: Schönen guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Perthes, wie hat sich denn die Lage verändert? Wenn wir damit beginnen sollen, dass Russland und die Türkei sich angenähert haben, was heißt das für das Setting im Moment auf dem Battleground? Anders kann man das ja drüben nicht bezeichnen.
    Perthes: Ich wäre mit dem Wort Annäherung erst mal vorsichtig und würde von einer Entspannung reden. Wir haben ja ein ausgesprochen gespanntes Verhältnis gehabt zwischen Ankara und Moskau seit dem Abschuss des russischen Jets durch die türkische Flugabwehr im letzten November. Beide, Russland und Türkei, sind, und damit bin ich bei Ihrer Frage, sind Unterstützer der wesentlichen Konfliktparteien in Syrien, und das hat sich nicht geändert. Also auch bei der Schlacht um Aleppo, die wir derzeit ja noch erleben, ist es so, dass Russland die Seite der syrischen Regierung und die Türkei die Seite der Rebellen weiter unterstützt hat und unterstützt. Was wir jetzt sehen, ist, dass eine dieser Konfliktkonstellationen um Syrien herum, also der Konflikt zwischen Russland und Türkei sich entspannt. Das ist potenziell gut, weil man dann überhaupt anfangen kann, darüber zu reden, ob man politische Lösungen auch für Syrien findet beziehungsweise ob diese beiden Parteien sich aktiv beteiligen bei der Suche nach einer solchen Lösung.
    Zurheide: Über die Lösung wollen wir gleich reden. Ich will das noch mal zugespitzt sagen, das heißt, aus Ihrer Sicht ist diese Annäherung zwischen den beiden ausschließlich bezogen auf das offiziell deklarierte Ziel, wir kämpfen gemeinsam gegen IS, und bei dem Rest bleibt man auch bei unterschiedlichen Auffassungen?
    "Russland und die Türkei sind weiter auf unterschiedlichen Seiten in Syrien engagiert"
    Perthes: Es ist sogar noch ein bisschen komplizierter. Also, richtig ist, beide sagen, ja, der IS muss bekämpft werden. Die Türkei hat gesehen, wie gefährlich der IS ist durch die Anschläge, die der IS auch in der Türkei selbst durchgeführt hat. Für Russland ist der Kampf gegen den IS wie auch für die amerikanisch geführte Koalition ein erklärtes Ziel seit Langem. Aber man muss auch sagen, dass sowohl für die Türkei wie auch für Russland der IS nicht die wichtigste, nicht die primäre Herausforderung in Syrien ist. Vereinfacht gesagt, Russland ist interessiert an einem stabilen Regime, das Russland gegenüber freundlich ist, und zurzeit sieht es in Präsident Assad und seiner Regierung da zwar keine besonders gute, aber die beste Garantie für dieses Interesse. Die Türkei ist vor allem daran interessiert, dass kein Kurdenstaat, schon gar kein Kurdenstaat, der unter der Schwesterorganisation der PKK steht, an seiner Grenze entsteht. Und dann haben wir noch den IS und andere radikale Islamisten und Fragen der politischen Transformation im Nahen Osten und vieles andere, was dann sozusagen die Linie herunterkommt. Aber Russland und die Türkei sind weiter auf unterschiedlichen Seiten in Syrien engagiert, haben aber beschlossen, dass sie ihren eigenen Konflikt nicht, ihren bilateralen Konflikt in Syrien nicht weiter am Rande eines Krieges austragen wollen.
    Zurheide: Ich will noch die Parenthese ein wenig weiter öffnen. Die Türkei war ja im Kampf gegen den IS nicht immer so ganz eindeutig. Wir erinnern uns alle, dass nicht zuletzt durch die Veröffentlichungen auch von Can Dündar bei Cum Hürriyet das bekannt geworden ist, dass aus der Türkei mindestens der IS unterstützt worden ist. Glauben Sie, dass das inzwischen beendet worden ist, eben, weil es Terroranschläge gegeben hat? War die Reihenfolge so richtig?
    Perthes: Die türkische Führung hat hier ganz sicher dazugelernt. Sie hat den IS nicht besonders ernst genommen am Anfang, jedenfalls nicht als Gefahr für sich selbst, und mittlerweile festgestellt, der IS ist auch eine Gefahr für die Türkei. Es bleibt, denke ich, so, das der IS für die Türkei nicht die erste Priorität in Syrien ist, aber man nimmt ihn ernster, und man reiht sich ein in die Reihen der auch militärisch aktiven Gegner des IS.
    Zurheide: Kommen wir zu Aleppo. Der deutsche Bundesaußenminister hat heute gefordert, dass es möglicherweise eine Luftbrücke gegen sollte und muss, um die Menschen humanitär zu versorgen. Ist das der Stand und die einzige Möglichkeit, diese Tragödie, dieses Abschlachten, das wir da tagtäglich erleben, mindestens etwas abzufedern, abzumildern?
    Perthes: Nein, die Luftbrücke ist natürlich nicht die einzige Möglichkeit, sondern sie ist eine zweit- oder drittbeste Möglichkeit, wenn man es nicht schafft, die Straßen zu öffnen. Das wäre ja viel leichter. Wenn es so, wie die Vereinten Nationen fordern, offene Versorgungsrouten in die Stadt, und zwar in die beiden großen Teile der Stadt gäbe, offene Versorgungsrouten, die nicht umkämpft werden, die nicht beschossen würden und die humanitäre Versorgung möglich machen würden. Es ist ja nicht so, dass es in Syrien keine Lebensmittel gibt. Oder es ist ja nicht so, dass es in Syrien keine medizinischen Versorgungsmöglichkeiten gibt. Das ist alles viel schlechter geworden über den Krieg, aber die Lage in Aleppo ist eben so katastrophal, weil die beiden großen Teile der Stadt jeweils unter Belagerung feindlicher Kräfte sind.
    Zurheide: Was kann man tun, um das abzumildern und den Menschen zu helfen? Wie kommt man dahin, dass man zu der erstbesten Lösung kommt, die Sie gerade skizziert haben? Wer müsste was tun und wann?
    "Ende des Mordens in Aleppo Voraussetzung für Wiederaufnahme politischer Gespräche"
    Perthes: Es müssten die Konfliktparteien, also die originären Konfliktparteien, das ist die syrische Regierung, und das sind die Rebellen, dazu gebracht werden – und das ist letztlich eine politische Frage und eine Frage des politischen Einflusses –, die Menschen in Aleppo nicht zu Geiseln zu machen. Wir haben ja starke Unterstützer der Konfliktparteien. Russland gegenüber der Regierung in Syrien, Saudi-Arabien, die Türkei, in geringerem Maße auch die USA, Frankreich und andere westliche Staaten, was die Rebellen angeht. Hier ist die Verantwortung dieser internationalen Spieler gefragt. Einen Teil dieser Verantwortung versuchen einige dieser Akteure wahrzunehmen. Es gibt, darauf hat der UNO-Sondergesandte gestern, vorgestern in einer Pressekonferenz hingewiesen, es gibt sehr aktive Gespräche zwischen russischen und amerikanischen Militärs, die versuchen, eine Lösung zu finden, bei der der Kampf gegen terroristische Organisationen fortgesetzt werden könnte, ohne dass die Bevölkerung einer großen Stadt wir Aleppo zur Geisel gemacht wird.
    Zurheide: Sehen Sie denn, oder haben Sie die Hoffnung, dass das gelingen kann? Die Frage stelle ich wahrscheinlich gar nicht zum ersten Mal, weil die Menschen weiter leiden, ich glaube, wir haben es ausreichend beschrieben und beschworen.
    Perthes: Es ist so, dass diese Lösung möglich ist. Und deshalb muss ich ganz pragmatisch auch die Hoffnung haben, dass die Akteure, die hier etwas zu sagen haben, in erster Linie USA und Russland, auch in der Lage sind, sich zu einigen. Denn nur, wenn wir einen Fortschritt haben bei dieser großen humanitären Frage, wenn wir es schaffen, dass Aleppo wieder versorgt wird, die Bevölkerung in Aleppo wieder versorgt wird, schaffen wir auch eine Atmosphäre, die es möglich macht, die politischen Gespräche über eine Lösung in Syrien wieder zu beginnen. Darum geht es ja letztlich. Humanitäre Versorgung ist wichtig, aber die große Frage ist, ob man den Krieg in Syrien beenden kann, und dafür brauchen wir ernsthafte politische Gespräche, dafür brauchen wir eine Form der Machtteilung in Syrien, die alle Kräfte einschließt. Und diese Gespräche sind seit einigen Monaten blockiert, eben weil das Kämpfen, das Morden, das Töten anhält und eskaliert. Also, das, wonach wir hier fragen, können wir das Morden in Aleppo stoppen, können wir eine große humanitäre Katastrophe stoppen, ist an sich wichtig, aber auch Voraussetzung für eine Wiederaufnahme politischer Gespräche.
    Zurheide: Volker Perthes war das von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Deutschlandfunk um 8:20 Uhr. Ich bedanke mich herzlich für das Gespräch. Danke schön, auf Wiederhören!
    Perthes: Ich bedanke mich auch. Tschüs, Herr Zurheide!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Das vollständige Gespräch können Sie in Kürze hier nachhören.