Archiv

Türkei und Russland
"Präsident Erdogan ist nur der Juniorpartner"

Präsident Erdogan habe mit der Wiederannäherung an Russland "eine Art realpolitische Rückkehr vollzogen", sagte Kristian Brakel von der Heinrich-Böll Stiftung im DLF. Durch die russischen Sanktionen sei die türkische Wirtschaft ins Straucheln geraten. Das habe die Machtposition von Präsident Erdogan gefährdet.

Kristian Brakel im Gespräch mit Marina Schweizer |
    Russlands Präsident Wladimir Putin und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan auf dem Weltenergiekongress am 10.10.20916 in Istanbul.
    Eine Partnerschaft im beiderseitigen Interesse: Der türkische Präsident Erdogan und der russische Präsident Putin auf dem Weltenergiekongress 2016. (dpa/Sputnik/Alexei Druzhinin)
    Marina Schweizer: Ist das der Beginn einer neuen Männerfreundschaft, die einigen schon jetzt Sorgen machen muss? Darüber habe ich mit Kristian Brakel gesprochen. Er leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Istanbul. Aus welcher Richtung kommt die Schamoffensive, Putin, Erdogan oder von beiden?
    Kristian Brakel: Es ist ein Zweckbündnis. Russland hat ein großes Interesse daran, sein Gas zu exportieren. Es hat ein großes Interesse daran, das auch auf die europäischen Märkte zu tun. Wir sehen ja auch gerade die Kontraktion dieser Northstream-II-Pipeline, an der ja Gerhard Schröder unter anderem mitgeholfen hat, nach Deutschland. Das ist jetzt ein weiterer Absatzweg, den die Russen brauchen, um wieder endlich mehr Geld ins Land zu schaffen. Und die Türken brauchen es, denn die Türkei hat einen unglaublichen Energiehunger und den muss man aus verschiedenen Quellen befriedigen, und Russland ist da zumindest für die Gasimporte der wichtigste Partner.
    "Ohne russische Hilfe gerät die türkische Wirtschaft ins Straucheln"
    Schweizer: Also eine Zweckfreundschaft, die es sich gönnen kann, die große Frage aus reinem Pragmatismus auszuklammern. Beide Länder haben ja konträre Interessen in Syrien: Die Türkei will Assad stürzen, Russland stützt ihn.
    Brakel: Ja, zumindest für die Türkei. Ich denke, die Russen haben klar bewiesen, dass sie ihre Interessen durchsetzen können. Man hat mit den Türken jetzt einen Modus Vivendi gefunden, wo wieder ganz klar ist, wo auch Präsident Erdogan klar geworden ist, dass er nur der Juniorpartner ist und dass es nicht um eine Partnerschaft auf Augenhöhe geht. Das ist eine bittere Pille, die Erdogan schlucken musste, aber er hat es getan. Er hat es ja schon im Sommer getan, vor dem Putschversuch, weil er gesehen hat, dass es einfach ohne die russische Hilfe beziehungsweise mit den russischen Sanktionen die türkische Wirtschaft noch intensiver ins Straucheln gerät, als sie es ohnehin schon vorher war.
    Schweizer: Trotzdem, um noch mal auf dieses Zweckbündnis einzugehen. Es wollen ja beide, so verlautete aus dem Treffen, auch die militärische Zusammenarbeit intensivieren. Es geht tatsächlich nicht nur um die Wirtschaft. Wie kann das denn aussehen in dieser inhaltlichen eher Pattsituation?
    Brakel: Ich denke, es ist relativ unklar. Aber die Türkei hat mit dieser Wiederannäherung an Russland, aber auch mit der Wiederannäherung an Israel schon im Sommer so eine Art realpolitische Rückkehr vollzogen in einen Bereich der Außenpolitik, wo man zu ambitionierte Ziele als unrealistisch aufgegeben hat. Dazu gehört unter anderem der Sturz des Assad-Regimes in Syrien. Man ist noch nicht bereit und ich glaube, das liegt hauptsächlich an Präsident Erdogan, sich das so einzugestehen. Man ist auch nicht bereit, den Russen da völlig entgegenzukommen. Aber wenn es eine russisch-amerikanische Verhandlungslösung geben sollte, dann wäre man wahrscheinlich bereit, zumindest Assad eine Übergangszeit zu gestatten. Dass es wirklich zu militärischer Zusammenarbeit kommt, die darüber hinausgeht, was jetzt schon passiert, nämlich dass die Russen den Türken gestatten, in einem gewissen Bereich von Syrien frei zu operieren, das halte ich im Moment noch für sehr unwahrscheinlich.
    "Es stehen knallharte realpolitische Interessen im Vordergrund"
    Schweizer: Was sind denn aus Ihrer Sicht die ausschlaggebenden Gemeinsamkeiten, die Abgrenzung da zu den USA, oder doch der Regierungsstil?
    Brakel: Der Regierungsstil ist sicherlich in vielen Dingen ähnlich, beziehungsweise die Situation in der Türkei nähert sich immer stärker dem an, was wir in Russland schon haben, einer gelenkten Demokratie. Aber im Prinzip stehen knallharte realpolitische Interessen im Vordergrund. Die Türkei hat einfach gesehen, dass das letzte Jahr ein verheerendes für sie war, sowohl in wirtschaftlicher Hinsicht, aber auch, was die Sicherheitslage angeht. Das Land ist sehr nahe an einer wirklich verheerenden Destabilisierung und das bedeutet natürlich auch, dass die Machtposition der AKP-Regierung von Präsident Erdogan gefährdet ist, und da hat man einfach zurückgerudert, hat auf einen gewissen Pragmatismus gesetzt und ich denke, das ist das, was die beiden Partner im Moment verbindet, nämlich dass die Türken eingesehen haben, dass sie ihre hochtrabenden Ziele nicht durchsetzen können, und dass die Russen sich bewusst sind, dass sie diejenigen sind, die in dieser Partnerschaft diktieren können, in welche Richtung es hauptsächlich geht.
    Und ich vermute, die großen Interessensunterschiede, die bleiben vermutlich weiterhin ausgeklammert beziehungsweise die wird man nicht lösen können. Aber anscheinend begnügt sich die Türkei im Moment damit, dass die Russen ihnen zumindest gestatten, das kurdische Projekt im Norden Syriens zu vereiteln, dass sie ihnen erlauben, gegen den Islamischen Staat vorzugehen. Das scheint zumindest jetzt erst mal genug zu sein für die Türken.
    Türkei sei ein wichtiger Absatzmarkt für Russlands Gaslieferungen
    Schweizer: Wenn Sie sagen, dass Putin, dass Russland da den Ton angibt, wie weit denken Sie denn werden sich da die Türken beugen?
    Brakel: Im Vordergrund steht der Machterhalt für Präsident Erdogan. Nach dem gescheiterten Putschversuch ist die türkische Regierung in einer Situation, wo man von äußerster Paranoia getrieben wird, wo man sehr unsicher ist, auf wen man von alten Freunden und Weggenossen man im Land überhaupt noch setzen kann. Das bedeutet: Die Sicherung der eigenen Pfründe, der eigenen Macht, das ist das, was im Moment im Vordergrund steht für Erdogan, und da mischt sich Russland nicht besonders stark ein. Das ist für Russland kein Thema, solange die Türkei nicht versucht, andere Interessen etwa in Syrien durchzusetzen, oder, was es ja vorher ausgelöst hat, sich militärisch in irgendeiner Weise gegen die Russen stellen. Es ist ein reines Zweckbündnis, aber es wird vermutlich erst einmal halten.
    Und die Russen haben ja auch keine besonders großen Forderungen an Erdogan. Sie haben die Forderung, dass er ein Wirtschaftspartner ist, dass er ihnen das Gas abnimmt, dass er ihnen einen Weg für das Gas in die EU ebnet und dass er sich, was die Krim und was Syrien angeht, zumindest relativ ruhig verhält. Ich glaube nicht, dass sie auf militärische Kooperation im großen Stil hoffen, aber zumindest, dass man klar gemacht hat, dass es mit den außenpolitischen Ambitionen der Türkei erst mal vorbei ist.
    Russland könne die NATO nicht ersetzen
    Schweizer: Denken Sie, dass der Westen nervös sein muss ob dieser Annäherung, oder ist das einfach jetzt wieder hochgeköchelt, hat sich erwärmt auf die normale diplomatische Betriebstemperatur?
    Brakel: Ich glaube, für den "Westen" oder vor allem natürlich für die NATO-Staaten ist sehr tröstlich zu sehen, dass das Szenario, dass eine weitere Konfrontation mit Russland an der Südostflanke der NATO ausbricht, dass das erst mal vom Tisch ist, beruhigt auf jeden Fall erst mal die Strategen in Brüssel. Das andere ist: Natürlich möchte man die Türkei nicht näher am russischen Einfluss-Sektor sehen, als das schon der Fall ist, aber ich glaube, auch da sind viele in der EU, sind viele in der NATO relativ ruhig, denn sie wissen, dass der zentrale Ankerpunkt oder die beiden zentralen Ankerpunkte, die es gibt, nämlich einmal die Wirtschaftspräferenzen, die wirtschaftliche Partnerschaft, die die Türkei mit der EU hat, die kann Russland, auch wenn es ein wichtiger wirtschaftlicher Partner ist, nicht ersetzen, allein schon, weil die Wirtschaft Russland ebenfalls ins Straucheln geraten ist.
    Und das andere ist die Sicherheitspartnerschaft und da bleibt die NATO der zentrale Pfeiler der türkischen Sicherheitsarchitektur. Denn das, was die NATO bietet, diesen Schutz, das kann Russland nicht bieten. Ganz im Gegenteil! Die Türkei ist inzwischen von drei Seiten direkt von russischen Truppen oder Truppenstützpunkten eingekreist. Der türkische strategische Raum ist durch die russische Truppenpräsenz sehr stark beschnitten. Da wird sich nicht in nächster Zeit etwas entwickeln, wo die Türkei in die Arme Russlands läuft und dafür die NATO-Bindung aufgeben würde. Von daher, glaube ich, sind im Moment noch nicht so viele Leute oder noch nicht so viele Strategen bei der NATO, bei der EU beunruhigt.
    Schweizer: Kristian Brakel war das, Leiter des Istanbuler Büros der Heinrich-Böll-Stiftung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.