Büüsker: Man kann sich seine Partner also nicht aussuchen. Das gilt jedenfalls für die EU. Ob das auch für die Türkei gilt, scheint mit Blick auf diese Woche durchaus etwas fraglich. Etwas überlagert vom Anschlag am Atatürk-Flughafen hat sich in der türkischen Außenpolitik Erstaunliches getan. Es gab eine Annäherung zwischen Russland und der Türkei. Das Verhältnis war ja seit dem Anschuss eines Militärjets durch die Türken eher suboptimal. Nun gab es eine Entschuldigung von Erdogan, und Putin hat sie angenommen. Darüber möchte ich mit Jan Techau sprechen. Er ist Direktor von Carnegie Europe. Guten Morgen, Herr Techau!
Jan Techau: Hallo, guten Morgen!
Büüsker: Erdogan soll sich entschuldigt haben. Das mag man bei seinem Gehabe ja eigentlich kaum glauben. Wie erklären Sie sich diesen Schritt?
Techau: Im Grunde, was wir erleben, ist ein Befreiungsschlag, ein diplomatischer Befreiungsschlag der Türkei heraus aus einer Isolation, die sie im Grunde zu weiten Teilen selbst verursacht hat. Die Außenpolitik von Erdogan und seines erst Außenministers und dann Premierministers Davutoglu hat die Türkei im Grunde genau von all den strategischen Interessen, die es eigentlich in erster Linie verfolgen will, weit entfernt. Und die Wiederannäherung an Russland ist eigentlich so ungewöhnlich nicht, denn die strategischen Beziehungen zwischen der Türkei und Russland war eigentlich vor dem Abschuss dieses russischen Flugzeugs durch die Türkei im November letzten Jahres schon auf einem Weg hin zu einer wirklich sehr engen strategischen Partnerschaft. Das lebt jetzt wieder auf. Da knüpft man also an etwas an, was ohnehin vorher schon über längere Zeit auch gepflegt wurde. Und die Hauptbeweggründe dafür liegen auf der Hand: Es geht einmal um den Kampf gegen den Terrorismus, das ist ein ganz starkes gemeinsames Interesse. Es geht um die Eindämmung Irans in der Region, und es geht natürlich auch um wirtschaftliche Fragen, um Energie, um Tourismusfragen. All das zusammen hat jetzt dazu geführt, dass die Türkei sich wieder näher an Russland heranbegeben muss.
"Putin sucht ganz dringend Abnehmer für sein Gas"
Büüsker: Schauen wir uns die andere Seite an, Russland. Welches Interesse hat Putin an einer Zusammenarbeit mit der Türkei?
Techau: Drei der Faktoren, die ich gerade genannt habe, liegen auf der russischen Seite genauso vor. Auch da geht es einmal um ein geostrategisches Spiel. Den wieder aufwachenden und stärker werdenden Iran im Grunde auch einzudämmen, einzuhegen mit einer Koalition, die dafür sorgt, dass der Iran nicht zu stark wird. Energieprojekte, genau das gleiche: Putin sucht ganz dringend nach Abnehmern für sein Gas. Eine Pipeline durch das Schwarze Meer zwischen Russland und der Türkei ist in der Planung gewesen. Dieses Projekt wird jetzt wieder aus der Versenkung geholt, im Wortsinne. Und dann gibt es auch noch ein Atomkraftwerkprojekt, das die Russen in der Türkei vorantreiben. Und dann gibt es natürlich auch noch ein ganz starkes Interesse daran, das die Russen haben, nämlich mit dem NATO-Partner Türkei einen starken Fuß in die Tür zu bekommen, auch in die Allianz hinein. Je besser die Beziehung zwischen den Russen und den Türken ist, desto stärker hat Russland jedenfalls indirekt auch die Möglichkeit, auf die NATO einzuwirken. Und das ist natürlich ganz offensichtlich, dass das sehr stark im Interesse auch Russlands ist.
"Die Bedrohungslage durch den Islamischen Staat ist viel stärker geworden"
Büüsker: Wir haben ja so ein bisschen eine merkwürdige Gleichzeitigkeit der Ereignisse: Einerseits nähern sich Russland und die Türkei an. Unmittelbar danach, nämlich am Dienstag, gab es einen Anschlag in Istanbul, wo die Täter aus Russland, Usbekistan und Kirgistan kommen sollen. Mag es da einen Zusammenhang geben?
Techau: Ja, es gibt einen Zusammenhang. Die Wiederannäherung ist schon vorher eingefädelt worden. Das hat mit dem Anschlag nicht unmittelbar etwas zu tun, aber es verstärkt den Teil, den Terrorismusteil dieser Annäherung, wenn man so will. Der Kampf gegen den Islamischen Staat ist mittlerweile für die Türkei zur Priorität geworden. Man hat ja sehr lange Zeit von Ankara aus der Sache eigentlich mehr so passiv zugeschaut, wenn nicht sogar heimlich ein bisschen unterstützt. Das ändert sich jetzt gerade, weil die Bedrohungslage durch den Islamischen Staat in der Türkei sehr viel stärker geworden ist. Und jetzt gibt es eben auch zusätzlich noch da diese Russland-Connection, weil einige dieser Islamischer-Staat-Terroristen, die da zugeschlagen haben, eben aus Russland und russischen Republiken kommen. Und ohnehin hat ja der Islamische Staat relativ stark auf russischem Gebiet und aus dem Kaukasus heraus rekrutiert. Da gibt es also ein sehr starkes gemeinsames Interesse von Russland und der Türkei, zusammen diesen Komplex auch anzugehen. Deswegen ja, der Zusammenhang ist da, aber die Zusammenarbeit und dieses Wiederauflebenlassen, das wir jetzt erleben, das reicht schon in die Zeit davor zurück, das ist jetzt länger eingefädelt worden, wird natürlich dadurch jetzt noch bestärkt. Das ist klar.
Büüsker: Wenn die Türken von Terrorismus sprechen, dann sprechen sie auch ganz schnell von den Kurden. Welche Rolle spielt das Verhältnis zu den Kurden jetzt in dieser Annäherung? Weil Russland ja dazu neigt, Kurden zu unterstützen, gerade in Syrien.
Techau: Ja, das ist schon wiederum der nächste Punkt. Die Türkei hatte, nachdem das Flugzeug abgeschossen worden war durch die Türken, das russische Flugzeug, eigentlich keine Möglichkeit mehr, in Syrien die Operation gegen die Kurden fortzusetzen, die dort eben auch an der Unabhängigkeit eines kurdischen Staates arbeiten. Russland hat die Kurden dort vor Ort in Syrien unterstützt, teilweise, weil es ihnen opportun war, teilweise, weil es die Türken sozusagen auch geärgert hat. Und Erdogan hat eben sozusagen die Fähigkeit verloren, dort oben zu operieren. Er braucht die russische Zustimmung dafür, um da oben seinen Kampf gegen die Kurden fortzusetzen. Das ist ein weiterer Beweggrund, weswegen er unbedingt mit Russland jetzt wieder ins Boot kommen muss. Und er erhofft sich dadurch einfach wieder mehr Spielraum in einer zentralen Frage, die ja auch innenpolitisch für ihn total wichtig ist. Die Kurdenfrage ist das zentrale, bestimmende innenpolitische Thema. Erdogan hat das Kurdenthema wieder zu diesem Thema gemacht, und jetzt muss er die Freiräume sich schaffen, um auch da wieder operieren zu können.
"Das Hauptthema der EU mit der Türkei ist die Flüchtlingsfrage"
Büüsker: Was bedeutet das Ganze jetzt für die Europäische Union, gerade mit Blick auf die Verhandlungen mit der Türkei?
Techau: Der unmittelbare Bezug ist nicht so gegeben, denn das Hauptthema der Europäischen Union mit der Türkei ist natürlich die Flüchtlingsfrage. Da haben wir ja auch gerade den deutschen Innenminister gehört, der in bester realpolitischer Manier ganz klar darauf hingewiesen hat, dass man von der Türkei Informationen braucht und die Zusammenarbeit in dieser Frage und man sich deswegen sozusagen den Partner da nicht aussuchen kann. Das ist der Hauptbeweggrund. Aber in einem weiteren strategischen Kontext kann man natürlich auch sagen, dass es sich hier ein bisschen um einen Wettbewerb um Zusammenarbeit mit der Türkei handelt. Wenn man das Ganze jetzt mal sozusagen aus der Nachrichtensituation herausnimmt und sich den längeren Zeitraum anschaut, dann ist ganz klar zu sagen, dass die Türkei so oder so sich zu einer europäischen Großmacht herausbildet an der Südostflanke Europas. Hier gute Beziehungen zu haben, ist erst mal von großer Wichtigkeit für die EU, auch für Russland, auch für andere Akteure. Wer also hier es schafft, eine konstruktive Beziehung aufzubauen und in eine Partnerschaft einzutreten mit der Türkei, hat in einem größeren geopolitischen Kontext auch einen Vorteil. Und in diesem Wettbewerb befindet man sich auch.
"Türkei konnte sich ihre Partner aussuchen"
Büüsker: Das heißt aber, wenn ich Sie richtig verstehe, ist die Türkei so wichtig, dass sie sich ihre Freunde eigentlich aussuchen kann.
Techau: Ja, die Türkei war eigentlich seit längerer Zeit in dieser Position, weil allen die strategische Bedeutung der Türkei in dieser sehr speziellen Lage, in der sich die Türkei befindet – man schaue nur auf die Karte, und man erkennt ja sofort, an wie vielen verschiedenen Kreuzungspunkten internationaler Konflikte die Türkei liegt. Die Türkei war seit längerer Zeit in der Lage, sich im Grunde ihre Partner auszusuchen. Es hat eben diese Optionen sich selbst zerstört durch eine Politik, die die Partner verschreckt hat, nicht nur die Europäische Union, sondern auch die Amerikaner, die umliegenden Staaten, auch Israel, mit denen übrigens jetzt auch wieder eine Annäherung stattfindet, vor allen Dingen auch aus Energiegründen, und eben auch mit Russland. Und jetzt hat die Türkei eben verstanden, dass es die Isolation, in die es geraten war, selbst verursacht hat, und jetzt lässt es sozusagen diesen Wettbewerb wieder zu. Es ist jetzt wieder eine attraktive Braut und will auch diese attraktive Braut wieder sein, anders als vorher.
Büüsker: Ein sehr schönes Bild, Herr Techau. Jan Techau war das, Direktor vom Thinktank Carnegie Europe, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, Herr Techau!
Techau: Herzlichen Dank!
Büüsker: Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
@jan_techau
@Carnegie_Europe
Lesen Sie hier in Kürze das vollständige Gespräch mit Jan Techau.