Immer wieder sonntags - kommt die Ermahnung aus Bayern. Nachdem sich die Kommunikation via Briefpost als eher langwierig herausgestellt hat, schlägt CSU-Chef Horst Seehofer nun regelmäßig den Weg über die Medien ein, um die Vorsitzende der Schwesterpartei CDU zu erreichen - und zu ermahnen: Merkel dürfe wegen des Flüchtlingsabkommens mit der EU nicht zu nachsichtig mit der Regierung in Ankara sein, der Zweck heilige nicht alle Mittel, sagte Seehofer im Bericht aus Berlin der ARD. Aus der Türkei gebe es derzeit wöchentlich "betrübliche Nachrichten" zu Rechtsstaatlichkeit, Presse- und Religionsfreiheit. Mit Blick auf die Aufhebung der Immunität von Abgeordneten im türkischen Parlament sagte der CSU-Chef: "Da müsste die ganze Welt aufschreien."
Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan führe die Türkei weg von europäischen Werten, kritisierte auch der FDP-Vorsitzende Christian Lindner via Twitter. Verhandlungen über einen EU-Beitritt des Landes hält er deshalb nicht mehr für ratsam:
Ähnlich äußerte sich die Menschenrechtsbeauftragte der Union, Erika Steinbach:
Doch sowohl Merkel als auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier verteidigten die Zusammenarbeit mit der türkischen Regierung: Das Flüchtlingsabkommen sei nach ihrer festen Überzeugung im Interesse Europas, der Türkei und der vielen Flüchtlinge, die dadurch nicht mehr in die Arme krimineller Schlepper getrieben würden, sagte Merkel der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Die Türkei sei ein wichtiger Partner in Europas direkter Nachbarschaft. Beide Seiten hielten sich bislang an das Abkommen, betonte Steinmeier in der "Rheinischen Post".
Der SPD-Politiker räumte ein, dass es in Fragen der Grundrechte gleichwohl Gesprächsbedarf gebe. Merkel kündigte an, bei ihrem Treffen mit Erdogan auch die vom Westen scharf kritisierten Gesetzesverschärfungen in der Türkei anzusprechen. Merkel will in Istanbul zunächst Vertreter der Zivilgesellschaft treffen, am Montag dann Erdogan.
Ob es zu einer Begegnung mit den beiden - zu langen Haftstrafen verurteilten - Cumhuriyet-Journalisten Can Dündar und Erdem Gül kommt, wie sie die Organisation Reporter ohne Grenzen fordert, ist nicht bekannt.
Die Türkei hat mit Binali Yildirim einen neuen Regierungschef. Und bereits vor seiner offiziellen Wahl zum neuen AKP-Vorsitzenden am Sonntagnachmittag erklärte Yildirim die Einführung eines Präsidialsystems zur "Priorität". In der Türkei existiere bereits jetzt "de facto" ein Präsidialsystem, dieses müsse nun rasch durch eine Verfassungsänderung legalisiert werden, sagte der Erdogan-Vertraute.
Am Sonntagabend wurde Yildirim von Erdogan formal mit der Regierungsbildung beauftragt. Der bisherige Ministerpsräsident Ahmet Davutoglu reichte wie erwartet seinen Rücktritt ein.
Ärzte ohne Grenzen sagen Gipfelteilnahme ab
Und das von den Vereinten Nationen unterstützte Gipfeltreffen für humanitäre Hilfe in Istanbul? UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon bezeichnete die zweitägige Veranstaltung vor dem Hintergrund andauernder Kriege von 60 Millionen Flüchtlingen weltweit im Vorfeld als "einzigartige Möglichkeit", der derzeit zu beobachtenden "Erosion der Menschlichkeit" entgegenzutreten. In Istanbul werden rund 5.000 Vertreter aus Politik, Wirtschaft und von Nichtregierungsorganisationen erwartet.
Doch nicht alle glauben an einen Erfolg: Die UNO sei "leider in mancherlei Hinsicht ein zahnloser Tiger", sagte ein Sprecher des Kinderhilfswerks terre des hommes.
Und die maßgeblich an der Vorbereitung des Gipfels beteiligte internationale Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen wird gar nicht erst teilnehmen. Die Wahl der türkischen Metropole als Tagungsort habe Symbolcharakter für die "Schwächen der humanitären Reaktion auf akute Notstände", hieß es in der Begründung: Die Türkei beherberge mehr als 2,7 Millionen der geschätzten 4,8 Millionen Menschen, die bislang vor dem Konflikt in Syrien geflohen seien. Jenseits der Metallabsperrungen des luxuriösen Konferenzzentrums würden Gipfeldelegierte an vielen Ecken der Stadt auf verzweifelte syrische Flüchtlinge stoßen, die bettelten, um zu überleben.
(bor/kis)