Eine Million Menschen sollen es sein. Dicht gedrängt stehen sie auf dem riesigen Platz, den Recep Tayyip Erdoğan im Marmara-Meer vor der alten Stadtmauer von Istanbul hat aufschütten lassen. Auf Arabisch dankt er seinem Gott für die Eroberung Konstantinopels durch osmanische Truppen vor 562 Jahren. Auf Türkisch spricht er ein Bittgebet. "Möge uns Gott, der Allmächtige, einen Sieg wie damals schenken", fleht der 61-jährige Staatspräsident.
"Ich bin parteiisch." Es werde behauptet, er sei parteiisch, hat er wenige Tage zuvor einer anderen begeisterten Menge zugerufen. Ja, das sei er wirklich, bekennt er offenherzig im Stile eines absolutistischen Herrschers: "Ich bin parteiisch. Ich bin parteiisch für mein Volk. Ich wahre zu jeder politischen Partei die gleiche Distanz. Diese anderen Parteien sind alle gleich: Sie vertreten eine faschistische Gesinnung. Sie pinkeln an die Wand von Moscheen."
Im August 2001 hat Recep Tayyip Erdoğan die AKP gegründet und sie groß gemacht. Die Partei steht am Sonntag zur Wahl. Er nicht. Dennoch dreht sich im Wahlkampf der AKP alles um den 61-jährigen Präsideten, der laut Verfassung neutral sein soll. Die AKP hofft auf eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, um die Verfassung zu ändern, erklärt Regierungschef Ahmet Davutoğlu.
"Wir halten die Neugestaltung des Regierungssystems hin zu einem Präsidialsystem für notwendig, um die Unordnung in Verantwortungsbereichen zu klären und die Rechenschaftspflicht zu stärken."
Umfragen nicht eindeutig
Noch mehr Macht und Einfluss sowie dauerhafte Immunität für den starken Mann Erdoğan, der sich noch kürzlich gewaltigen Korruptionsvorwürfen ausgesetzt sah. Erdoğan betrachtet die Parlamentswahl am 7. Juni als Sprungbrett. Doch das türkische Volk wählt am 7. Juni keinen Diktator, König, Sultan, Emir oder Schah. Die Umfragen sind je nach Auftraggeber widersprüchlich. Manche prophezeien der AKP Gewinne, andere deutliche Verluste.
Erdoğans Ziel sei es, für wenigstens ein weiteres Jahrzehnt an der Macht zu bleiben, analysiert der Publizist Mustafa Akyol. "Er glaubt, er kann die Türkei zu einer Weltmacht und zum Führer der muslimischen Welt machen durch die Wiederbelebung der Rolle des Osmanischen Reiches. Dafür braucht er aus seiner Sicht einfach mehr Macht."
Sieben Wahlen hat Erdoğan in Folge mit seiner Partei errungen. "Je mehr Macht er hat, umso mehr reagiert die Opposition. Diese Reaktionen deutet er als Verschwörung, weshalb er noch mehr Macht will. Das ist ein gewisser Teufelskreis."
Mehr Neo-Liberalismus in der Wirtschaft, mehr Konsum, mehr Großprojekte, mehr religiöse Bildung und mehr Islam - das sind Erdoğans Rezepte zur Gestaltung der von ihm ausgerufenen neuen Türkei.
"Wird die Türkei zu einem zweiten Iran?", fragt der liberal-konservative Publizist Mustafa Akyol.
"Ich glaube nicht. Aber die Türkei kann zu einem zweiten Russland werden. Das ist die wahre Gefahr."
Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan hätten mehr Gemeinsamkeiten, als der Türkei lieb sein könne.
"Wird die Türkei zu einem zweiten Iran?", fragt der liberal-konservative Publizist Mustafa Akyol.
"Ich glaube nicht. Aber die Türkei kann zu einem zweiten Russland werden. Das ist die wahre Gefahr."
Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan hätten mehr Gemeinsamkeiten, als der Türkei lieb sein könne.