Ein paar Münzen, gerade genug um Brot zu kaufen – die zeigt ein Arbeitsloser in die Kamera. Mehr hat er nicht, zum Arbeitsamt ist er gelaufen, verzweifelt auf der Suche nach einem Job. Schicksale wie diese zeigen die türkischen Fox-Nachrichten in diesen Tagen häufig. Moderator Fatih Portakal kommentiert dazu pausenlos:
"Finden Sie unseren Finanzminister Albayrak, Schwiegersohn von Präsident Erdogan, erfolgreich? Also wenn Sie mich fragen – ich finde ihn nicht erfolgreich. Denn ich beurteile ihn danach, wie viel Geld die Leute in der Tasche haben."
Fatih Portakals ist der populärste Nachrichtenmoderator der Türkei, seine Sendung hat regelmäßig die höchsten Einschaltquoten des Abends. Auch die Istanbuler Hausfrau Gül schaut die Sendung fast immer. Ihre Söhne sind seit der Corona-Epidemie arbeitslos, ihr Mann war es schon davor. Moderator Portakal sagt offen, wie es wirklich um die Türkei steht, findet sie:
"Er ist ein furchtloser Journalist, er thematisiert alles, hat vor niemandem Angst und sagt, was zu sagen ist. Deswegen lieben wir ihn sehr."
Zuschauer identifizieren sich mit Portakal
Portakal lässt Menschen zu Wort kommen, die in anderen Sendern schon lange nicht mehr reden dürfen: oppositionelle Bürgermeister, Kurdenpolitiker, Naturschützer oder kritische Ärzte. Dazu kommt ein ungewöhnlicher Moderationsstil, betont Medienwissenschaftler Ceren Sözeri von der Galatasaray-Universität Istanbul:
"Portakal erklärt in sehr einfachen Worten, fragt ganz grundsätzliche Fragen. Manchmal liest er Fragen und Kommentare vor, die Zuschauer ihm zugesandt haben, und versucht sie zu beantworten. Seine Sendung ist mehr eine Nachrichtenshow als eine klassische Nachrichtensendung. Oft kommentiert er Nachrichtenstücke auf ähnliche Weise, wie es wohl der Zuschauer gerade auf seinem Sofa tut. Dadurch können sie sich gut mit ihm identifizieren."
Drohungen und Strafen von Erdogan
Portakals Erfolg ist Erdogan schon lange ein Dorn im Auge. Am 30. April wurde ein Verfahren gegen den Journalisten eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft fordert bis zu drei Jahre Haft, weil er auf Twitter eine Spendenkampagne Erdogans kritisiert hatte. Die Rundfunkbehörde verhängte dazu Strafen gegen Fox, weil Portakal mit seiner Corona-Berichterstattung "Hass und Feindseligkeit angestachelt" habe. Bei einem weiterem "Vergehen" droht die Behörde damit, den Sender zu schließen. Gleichzeitig teilt Erdogan rhetorisch aus:
"Statt einen Beitrag zu leisten zu dem Kampf, den unser Land in diesen kritischen Zeiten führt, speien sie mit Lügen oder falschen Informationen Hass. Das ist ein Zeichen für eine Krankheit, die gefährlicher ist als das Virus selbst."
Seit Jahren versucht Erdogan, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Mittlerweile berichten über 95 Prozent der türkischen Medien regierungsnah. Fast alle gehören großen Konzernen, die auch im Bau-, Energie- oder Finanzsektor tätig sind. In der Hoffnung auf lukrative Staatsaufträge loben sie in ihrem Programm pausenlos die Regierung und feuern Journalisten, die zu kritisch sind.
Zu populär fürs Gefängnis
Fox Türkei ist von diesen wirtschaftlichen Banden unabhängig. Der Sender gehört zu Fox International, einst gegründet vom Medienmongul Rupert Murdoch, seit 2018 in der Hand von Disney. In den USA ist Fox erzkonservativ und regierungsnah, der Lieblingssender von Präsident Trump. In der Türkei dagegen hat Fox mit seiner liberalen, kritischen Linie eine Marktlücke gefunden, erklärt Erol Önderoglu, Türkei-Vertreter von Reporter ohne Grenzen:
"Solange es im Mainstream-Mediensektor überhaupt keine andere kritische Berichterstattung gibt, solange du ein bisschen kritisch bist, einen moderaten Standpunkt vertrittst und als Gesprächspartner den Bürger auf der Straße mit seinen alltäglichen Sorgen hast, dann ist das in der heutigen Medienlandschaft eine wunderbare Möglichkeit, um Profit zu machen."
Ein Profit mit Risiko – dem ist sich Moderator Portakal bewusst. Seit den Strafen gegen seinen Sender ist er vorsichtiger geworden, augenzwinkernd thematisiert er das in seinem Programm. Den Moderator ins Gefängnis zu werfen, birgt aber auch für Erdogan Risiken – dafür ist der Moderator einfach zu populär.