Gewürzhändler Ayhan Ercan steht frierend auf einem Platz im Istanbuler Uferviertel Eminönü. Mit Einkaufstüten beladene Großfamilien, arabische Touristen und Lastenträger mit Sackkarren eilen vorbei, ein Maroni-Verkäufer preist rufend seine Ware an.
Der 48-jährige Ercan scheint das Gedränge kaum wahrzunehmen, schiebt nur das Kinn tiefer in den schwarzen Mantelkragen:
"Ich habe meine ganze Kindheit in dieser Gegend verbracht, weil schon mein Vater einen Laden hier hatte. Jeden Tag habe ich die großen Holzschiffe beobachtet, die ihre Waren aus Asien brachten oder türkische Produkte von hier aus nach Europa verschifften."
Ayhan Ercan lässt den Blick noch eine Weile über die Anlegestelle schweifen. Langsam schiebt sich gerade einer der vielen Bosporus-Dampfer ans Ufer, die täglich zwischen Istanbuls europäischer und asiatischer Seite pendeln. Holzschiffe wie in Ercans Kindheit gibt es hier schon lange nicht mehr. Seine vom Vater geerbte Begeisterung für die Gewürze und Heilkräuter der Türkei aber ist geblieben:
"In Europa gibt es etwa 7.000 medizinische Heilpflanzen. In der Türkei sind es fast doppelt so viele! Nirgendwo auf der Welt wird allein so viel Salbei, Lorbeer oder Thymian produziert wie bei uns. Das ist ein unglaublicher Reichtum, den wir unbedingt bewahren müssen."
Umschlagplatz für Produkte aus Fernost
Er fröstelt, steuert schließlich mit schnellen Schritten auf das imposante Eingangstor des Gewürzbasars zu. Eine Welle warmer, schwer duftender Luft schlägt ihm beim Betreten des 500 Jahre alten Backsteingebäudes entgegen. Kumin und Kardamom, Zimt und Kaffee mischen sich mit den Parfüm- und Schweißgerüchen all der Menschen, die sich an den bunten Ständen vorbeischieben, türkische Süßigkeiten probieren, Souvenirs einkaufen oder aufdringliche Händler abwehren. Ayhan Ercan saugt die Basarluft tief durch die Nase ein.
"Diese Farben. Und diese Gerüche! Es wird einem ganz schwindelig! Als ich meinen ersten eigenen Laden aufgemacht habe, dachte ich am Anfang: Wie kann man das den ganzen Tag ertragen? Aber inzwischen kann ich nicht mehr ohne."
Auf Ayhan Ercans eben noch durchgefrorenes Gesicht legt sich jetzt ein zufriedenes Lächeln. Rechts und links grüßend flaniert der Vorsitzende der türkischen Gewürzhändlervereinigung durch den hell erleuchteten Basar.
"Schon immer war hier DER Umschlagplatz für Produkte aus Fernost: Nelken, Anis, Muskat, Pfeffer … Nicht nur Gewürze, sondern vor allem auch Heilkräuter."
Ayhan Ercan betritt einen kleinen Laden, vor dem sich in bunten Pyramiden die Gewürze häufen. Daneben getrocknete Rosenblätter und Pistazien, von der Decke hängen an Schnüren getrocknete Auberginen, rote Paprika, grüne Okraschoten.
Tradition gegen Fortschritt?
Mit beiden Händen greift Ercan in einen Sack im hinteren Teil des Ladens:
"Dies hier ist Kardamom, perfekt bei Verdauungsproblemen oder Völlegefühl. Bei Übelkeit, auch in der Schwangerschaft, hilft dagegen ein einfacher Tee aus getrockneter Minze und frischer Zitrone. Und wer Probleme mit dem Blutzuckerspiegel hat, dem tut Thymiantee gut …"
Ayhan Ercan könnte ewig so weiter erzählen. Zwei Bücher hat er in den vergangenen Jahren über türkische Heilkräuter und -gewürze geschrieben. Eine Jahrhunderte alte Kultur, die nun allerdings in Gefahr ist: Vor allem auf Druck internationaler Pharmaunternehmen sollten Läden, wie der, in dem Ercan gerade steht und Honig aus einer Bienenwabe kostet, im vergangenen Jahr verboten werden.
Medizin gehöre allein in die Apotheke, hieß es.
Im letzten Moment wurde das Gesetz abgeändert. Doch die Angst, dass die alten Traditionen im Namen des Fortschritts aussterben, ist geblieben. "Der Westen macht uns kaputt", brummt der Ladenbesitzer, der sich sonst ein wenig griesgrämig im Hintergrund hält.
"Ohne unsere kulturelle Einzigartigkeit aufzugeben"
Ayhan Ercan schüttelt entschieden den Kopf:
"Europa ein wahnsinnig wichtiger Markt für uns. Und er könnte noch viel größer sein. Aber was wir dafür brauchen, ist mehr Bildung und technisches Know-how. Nicht nur wir Gewürzhändler. Jede betroffene Berufsgruppe in der Türkei kann da von Europa profitieren. Um höchste Qualität zu produzieren, brauchen wir die beste Technologie. Und jeder weiß doch, wo die zu finden ist."
Von der riesigen Osmanischen Moschee, die Seefahrer und Händler aus aller Welt seit Jahrhunderten im Istanbuler Basarviertel willkommen heißt, ruft jetzt der Muezzin zum Freitagsgebet. Viele der Verkäufer decken ihre Ware mit Stoffbahnen ab und eilen davon. Auch Ayhan Ercan macht sich auf den Weg zurück nach draußen. Nach Mekka zu beten, sich dabei aber auch an Europa zu orientieren, das schließt sich für den 48-Jährigen nicht aus.
"Natürlich sind wir Muslime. Aber schon der Gesandte Ali sagte: Ich mache mich zum Sklaven desjenigen, der mich auch nur einen Buchstaben lehrt. Schauen wir doch nach Japan, technologisch eines der am weitesten entwickelten Länder der Welt, aber zum Schlafen tragen sie immer noch ihren traditionellen Kimono. Ohne unsere kulturelle Einzigartigkeit aufzugeben, können und müssen wir von den guten Seiten der Moderne und damit von Europa profitieren!"