So angespannt sind die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei zur Zeit, dass schon der Termin für den heutigen Besuch von Steinmeier in Ankara eine schwere Geburt war. Einen früheren Terminvorschlag der deutschen Diplomatie sagte die türkische Seite im letzten Moment ab. Und als Steinmeier letzte Woche mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu telefonieren wollte, ließ dieser ihn zweimal vergeblich an der Strippe warten. Er habe Dringenderes zu tun gehabt, als mit dem deutschen Außenminister zu sprechen, sagte Cavusoglu der Presse in Ankara:
"Einige meiner westlichen Amtskollegen denken leider so: 'Wir sind ein großes Land, wir sind das riesengroße Deutschland - wenn ich mit einem türkischen Minister sprechen will, dann muss der springen.' Tut mir leid, so geht das nicht – ich habe hier auch zu tun. Wenn einer mit mir sprechen will, dann muss er darauf Rücksicht nehmen, wann es mir passt."
Ankara verlangt mehr Respekt von europäischer Seite
Ein Leitmotiv der türkischen Politik ist diese Beschwerde derzeit, wenn es um Deutschland geht und um Europa. Die Europäer betrachteten die Türkei als zweitklassig und behandelten sie von oben herab, beschwert sich Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan über europäischen Widerstand gegen die Auslieferung von türkischen Oppositionellen:
"Wenn wir etwas von den Europäern wollen, dann sagen die: 'Wir sind ein Rechtsstaat, wir können nicht in die Justiz eingreifen, unsere Justiz ist frei und unabhängig.' Soso, eure Justiz ist also frei und unabhängig - und unsere ist wohl ein Witz, was? Unsere Justiz ist auch frei und unabhängig. So wie wir euch respektieren, müsst ihr uns auch respektieren."
An Freiheit und Unabhängigkeit der türkischen Justiz sind derzeit zwar tatsächlich Zweifel angebracht, doch um die Fakten geht es gar nicht so sehr. Mit sicherem Gespür spricht Erdogan die latente Frustration an, die sich in der Türkei in mehr als 50-jähriger Wartezeit an der Türe Europas angestaut hat – und die sich jetzt entlädt, da klar wird, dass das Land wohl nie aufgenommen wird. Nicht einmal bei dem Putschversuch im Juli habe sich Europa für die Türken eingesetzt, sagt Ozan Ceyhun, der früher für die deutsche SPD im Europaparlament saß und sich heute in der türkischen Regierungspartei AKP engagiert:
"In jedem anderen Land, wenn die Menschen sich für Demokratie einsetzen, würde Deutschland, würde die EU das gleich begrüßen und sich solidarisch erklären. Man glaubt hier auch, dass Deutschland das Hauptland wäre, warum die Türkei kein EU-Mitglied sein darf. Und all diese Enttäuschungen spielen momentan eine wichtige Rolle."
Ankara und Berlin verbindet eine Hassliebe
Das "Ende einer Jahrhundertfreundschaft" rief eine türkische Zeitung bereits aus. Doch so leicht sind die Beziehungen nicht zu erschüttern, die aus dem starken Bevölkerungsaustausch, den engen Handelsbeziehungen und viel gemeinsamer Geschichte erwachsen sind. Von einer "love-hate-relationship”, also einer Hassliebe, spricht Ebru Turhan, Professorin für Politikwissenschaften an der deutsch-türkischen Universität in Istanbul:
"Es ist immer ein Schritt nach vorne, ein Schritt nach hinten in der Beziehung zwischen Deutschland und der Türkei, und es wird dabei bleiben, da man auf der einen Seite ganz enge Partner ist, und auf der anderen Seite fürchte ich, dass es schon eine ziemlich große Kluft gibt zwischen den Wertevorstellungen von Ankara und Berlin. Insofern, diese love-hate-relationship wird weitergehen."
Mit dem Besuch in Ankara will Bundesaußenminister Steinmeier heute nach wochenlanger Kritik und Vorwürfen auf beiden Seiten den Weg zurück zum Dialog finden. Die Türken werden dabei nicht nur auf die Inhalte hören, wie Außenminister Cavusoglu deutlich machte, sondern vor allem auf den Ton:
"Diese Einstellung unserer europäischen Freunde, dass sie erste Klasse sind und die Türkei zweite Klasse, das muss sich ändern. Ich rede mit allen Außenministern, aber sie müssen uns als gleichwertig akzeptieren und sie müssen uns respektieren."