"Mein Vater ist vor die Botschaft gegangen. Und die haben da geschrien für Erdoğan. Und ich war auch da mit meiner Familie. Natürlich".
Eine junge Frau, 18 Jahre alt, in Berlin geboren, Kopftuchträgerin, Erdoğan-Anhängerin. Recep Tayyip Erdoğan sei ihr Präsident, sagt sie. Als in der Nacht auf Samstag ein Putschversuch gegen ihn unternommen wurde, ging sie mit ihrem Vater vor die türkische Botschaft in Berlin, um für ihren Präsidenten zu demonstrieren. Auch in anderen deutschen Städten fanden Sympathie-Kundgebungen für Erdoğan statt. Ohne größere Vorkommnisse. Anders in der Türkei. Dort folgten Tausende Erdoğans Aufruf, sich den Putschisten entgegenzustellen. Sie verprügelten die am Putschversuch beteiligten Soldaten, verletzten viele, töteten einige.
Entlassung von mehr als 13.000 Staatsbediensteten
Zwei Männer, beide etwa Mitte 40, in einem Imbiss in Kreuzberg. Die Putschisten sollen die Höchststrafe bekommen, sagen sie.
"Ich bin für die Todesstrafe. Sie ist schon überfällig. Hätten wir die Todesstrafe nicht abgeschafft, wäre es gar nicht erst soweit gekommen. Sie muss wieder eingeführt werden. Die USA sind eine Supermacht und haben die Todesstrafe. Warum sollte es sie nicht in der Türkei geben?"
Gestern wurde bekannt, dass das Innenministerium mehr als 13.000 Staatsbedienstete entlassen werde, darunter Polizisten und Justizbeamte. Nochmal so viele Soldaten und andere Verdächtige waren unmittelbar nach dem Umsturzversuch festgenommen worden. Eine Cafébetreiberin in Kreuzberg, die sich zum sozialdemokratischen Lager zählt, hat Angst, dass Erdoğan mit diesen Säuberungsaktionen so lange weiter machen werde, bis er sein erwünschtes Präsidialsystem aufbaue.
"Ich habe einfach Angst, einfach total große Angst und gar keine Hoffnung mehr für die Türkei, Angst darum, dass immer mehr Blut vergossen wird, immer mehr Menschen, die sich für Demokratie einsetzen, verletzt und getötet werden, immer mehr Blut vergossen wird. Und für einen demokratischen Weg habe ich überhaupt keine Hoffnung mehr".
Angst vor offener Kritik in der Türkei
So offen und kritisch äußern sich Erdoğans Gegner in der Türkei nicht mehr. Sie haben nicht nur Angst um ihre Arbeitsplätze, viele fürchten um ihr Leben. Erdoğan hat seine Anhänger mehrmals aufgefordert, so lange auf den Straßen und Plätzen zu bleiben, bis er sie wieder nach Hause schickt. Diesem Aufruf folgen aber keine Verteidiger der Demokratie, es sind brutale, teilweise bewaffnete Männer, die seit dem Ende des Umsturzversuchs mit Allah-u Akbar-Rufen durch Stadtteile und Viertel ziehen, wo AKP-Gegner leben. Besonders betroffen sind Aleviten, die gestern wieder in Istanbul und anderen Städten angegriffen wurden. Nach dem niedergeschlagenen Militärputsch führe Erdoğan einen zivilen Umsturz durch, sagt Ali Ertan Toprak, Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde in Deutschland.
"Die Rechtstaatlichkeit ist aufgehoben, Gewaltenteilung ist aufgehoben. Die Pressefreiheit besteht nicht mehr. Die Medien in der Türkei sind gleichgeschaltet. Und auch die Immunität der Opposition ist nicht mehr gewährleistet. Also drei wichtige Komponenten eines demokratischen Rechtstaates sind in der Türkei schon längst nicht mehr gegeben."
In Deutschland sei die türkeistämmige Gesellschaft politisch ohnehin gespalten gewesen. Erdoğan führe aber die Bevölkerung nicht zusammen, sondern polarisiere sie weiter.