Ditib müsse auch benennen, welche Imame des Dachverbandes Anhänger der Bewegung des islamischen Predigers Gülen bespitzelt hätten und auf jeden Fall Konsequenzen ziehen, sagte Sofuoglu. Es gehe auch um das Vertrauensverhältnis. Zugleich warnte Sofuoglu vor einem Generalverdacht gegen den Verband oder einen Pauschalabbruch der Beziehungen zu Ditib. Es gebe viele Personen bei Ditib, die den Verband von innen verändern wollten. "Es geht darum, die Gemäßigten zu stärken", sagte er.
Ditib-Generalsekretär Bekir Alboga hatte zunächst bestätigt, dass einzelne Imame Informationen an das Religionsamt der Türkei weitergeleitet haben. Gestern teilte er schriftlich mit, er habe nur sagen wollen, dass Ditib die Vorwürfe ernst nehme und prüfe. Er verwahrte sich aber gegen den Begriff der Bespitzelung. Dem Deutschlandfunk sagte Alboga, nur drei von hunderten Imamen seien fälschlicherweise einer schriftlichen Anweisung des Amtes gefolgt. Sie sei aber nicht an Ditib gerichtet gewesen.
Das Interview in voller Länge:
Martin Zagatta: DITIB, das ist der größte Islamverband in Deutschland, der hierzulande mehr als 900 Moscheen betreibt und auch direkt oder indirekt am Islamunterricht an deutschen Schulen beteiligt ist. Der von Ankara gesteuerte DITIB ist schon seit Längerem im Zwielicht und steht jetzt massiv unter Druck, weil Imame an DITIB-Moscheen auf Anweisung aus der Türkei Erdogan-Gegner, Anhänger der Gülen-Bewegung ausspioniert und denunziert haben sollen. Das beschäftigt die deutschen Ermittlungsbehörden, und aus der Politik kommen Forderungen, die Zusammenarbeit mit DITIB einzustellen. Kemal Hür mit den neuesten Informationen.
Ein Bericht von Kemal Hür, der sich genauso vergeblich um ein Gespräch mit der DITIB-Führung bemüht hat wie wir auch. Auch uns hat man das jetzt verweigert, trotz der massiven Vorwürfe, die das ohnehin angespannte deutsch-türkische Verhältnis noch weiter belasten und auch für die Türken hierzulande ein Problem sein dürften. Gökay Sofuoglu ist der Bundesvorsitzende der türkischen Gemeinde in Deutschland. Guten Morgen, Herr Sofuoglu!
Gökay Sofuoglu: Guten Morgen, Herr Zagatta!
Zagatta: Herr Sofuoglu, wir haben das in dem Bericht ja gerade gehört – wie beurteilen Sie denn diesen Vorgang, dass von der Türkei bezahlte Imame im Auftrag Ankaras vermeintliche Erdogan-Gegner ausspionieren in Deutschland, in oder an Moscheen, die vom DITIB betrieben werden. Wie bewerten Sie das?
Sofuoglu: Das ist etwas, was auf jeden Fall von DITIB-Seite aufgeklärt werden muss, also lückenlos aufgeklärt werden muss. So was ist in Deutschland strafbar, man kann nicht spionieren, und als Imame sowieso gar nicht. Deswegen, wenn so etwas passiert ist, muss DITIB das lückenlos aufklären, um noch mal ein Vertrauensverhältnis zu gewinnen.
Zagatta: Und auch die Namen der Imame nennen, wie das in dem Bericht jetzt gefordert wurde aus den Reihen der deutschen Politik?
Sofuoglu: Aufklären heißt ja, dass man auch benennt, wer es gemacht hat, damit nicht alle unter Generalverdacht stehen. Diejenigen, die es getan haben, müssen auf jeden Fall die Konsequenzen ziehen.
"Von der Organisationsstruktur her muss einiges getan werden"
Zagatta: Ist das denn realistisch, dass DITIB das machen wird? Wir erleben ja jetzt, dass diese Vorwürfe erst bestritten wurden, dann hat man sie eingeräumt, dann hat man das wieder dementiert. Man will sich nicht öffentlich äußern, man muss, wie unser Korrespondent das getan hat, beim Amtsgericht nachfragen, um überhaupt an die Satzung heranzukommen von DITIB.
Ist das für Sie – Sie haben ja die Erfahrungen im täglichen Umgang da – ist das für Sie überhaupt eine seriöse Organisation?
Sofuoglu: Von der Organisationsstruktur her muss auf jeden Fall einiges getan werden. Ich fand es sympathisch von Bekül Albor, dass er eingeräumt hat, dass Fehler begangen worden sind. Aber dass er wieder zurückgerudert ist, das fand ich dann nicht unbedingt angebracht.
Man weiß und viele wissen, dass so etwas passiert ist, und DITIB ist, glaube ich, gut beraten, wenn sie jetzt nicht zurückrudert und wenn sie jetzt nicht von irgendwelchen Missverständnissen redet, sondern dass sie ganz konsequent an die Sache rangeht und mal wirklich die Sache lückenlos klärt, weil es wirklich auch inzwischen um das Vertrauensverhältnis von DITIB als islamische Gemeinschaft in Deutschland geht. Und ich weiß, dass es innerhalb von DITIB sehr viele Menschen gibt, die diese Vorgehensweise kritisieren, die auch die Struktur von DITIB kritisieren, dass sie das nach innen auch sehr stark vertreten. Es muss, denke ich, ein bisschen transparenter diese ganze Diskussion sein.
DITIB als Organisation ist aus meiner Sicht auch etwas problematisch, weil nicht nur die Imame aus der Türkei entsandt werden, sondern auch der Bundesvorsitzende. Es muss auf jeden Fall sehr vieles noch in Deutschland passieren.
"Pauschalen Abbruch der ganzen Beziehungen zu DITIB finde ich falsch"
Zagatta: Wie soll denn die deutsche Politik oder wie kann denn die deutsche Politik und der deutsche Staat jetzt reagieren? Da hat man sich offenbar strafbar gemacht, das ist die eine Sache. Jetzt gibt es aber auch die Forderung nach politischen Konsequenzen. Welche würden Sie da unterstützen?
Sofuoglu: Man muss auf jeden Fall sorgfältig sein. Aber dieser Generalverdacht und der pauschale Abbruch der ganzen Beziehungen zu DITIB finde ich falsch, weil ich denke, dass innerhalb von DITIB auch sehr viele Menschen und sehr viele Funktionäre gibt, die versuchen, innerhalb von DITIB diese Strukturen zu verändern. Man muss die auf jeden Fall stärken. Man darf sie nicht jetzt in dieser Situation allein lassen, weil es auch darum geht, gerade die zu stärken, die Gemäßigten zu stärken, die sich jetzt nicht von der Türkei, sage ich mal, lotsen lassen. Deswegen wäre der Politik zu raten, gerade sorgfältig umzugehen. Ich weiß zum Beispiel, manche Landesverbände jetzt mit den Vorgängen, was über DITIB geredet wird, gar nichts zu tun haben, auch sich dagegen wehren – wie gesagt, ich würde da ein bisschen differenzierter umgehen.
"Ich würde mich von diesem Schwarzweißgedanken lösen"
Zagatta: Aber es gibt ja jetzt dann die Forderung, die DITIB, so wie sie sich verhält, auf keinen Fall mehr in die deutschen Schulen zu lassen.
Sofuoglu: Deswegen würde ich mich jetzt von diesen Schwarzweißgedanken loslösen. Entweder-oder-Stimmung, was DITIB angeht, ist falsch, weil die türkeistämmigen Muslime brauchen einen Verband, einen religiösen Verband, und die DITIB ist die nächste. Wenn man jetzt DITIB auch, wenn DITIB ganz die Türen zu schließt, dann bleiben wirklich einige andere Verbände, die nicht unbedingt besser sind als DITIB. Deswegen würde ich sehr speziell auf der Ebene der Bundesländer schauen, wie die Organisation arbeitet.
Ich weiß zum Beispiel, dass in Baden-Württemberg der Landesvorstand sich sehr bemüht, jetzt an den Strukturen zu arbeiten und diese Strukturen zu ändern. Auch in anderen Bundesländern wie in Bayern muss man auf jeden Fall auch sehr sorgfältig das überprüfen.
"Der türkische Staat darf DITIB nicht als verlängerten Arm nutzen"
Zagatta: Herr Sufuoglu, halten Sie denn die DITIB tatsächlich für reformierbar, also die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Frau Ösuguz, hat DITIB ja jetzt aufgefordert, sich von Ankara zu lösen. Aber ist das nicht völlig blauäugig, wenn man sieht, dass die da angegliedert ist, dass das Geld aus der Türkei kommt. Halten Sie das für möglich, diese Loslösung?
Sofuoglu: Schwierig. Das ist wirklich sehr schwierig. Da muss die Türkei natürlich auch ihren Beitrag dazu leisten. Der türkische Staat darf DITIB nicht als verlängerten Arm nutzen. DITIB wird ja eigentlich seit Gründung vom türkischen Staat bezahlt. Nur in den Anfängen wurden die Imame, so weit ich weiß, von Saudi-Arabien bezahlt. Es muss der türkische Staat auch die Bereitschaft erklären, dass jetzt die türkischen Muslime in Deutschland eigentlich ganz andere Strukturen brauchen als welche, die von der Türkei aus gesteuert werden.
Zagatta: Was würde das denn bedeuten? Es heißt ja jetzt, Imame sollen in Deutschland sollen in Deutschland ausgebildet werden, müssen Deutsch sprechen, man darf die Finanzierung aus der Türkei nicht mehr akzeptieren. Was würde das bedeuten, wenn man das jetzt durchsetzen würde, kein Geld mehr aus der Türkei. Wie könnte das dann überhaupt noch laufen?
Sofuoglu: Das wird grundsätzlich erst mal schwierig für die ganzen DITIB-Moscheen, die sind natürlich ihren eigenen Initiativen überlassen. Aber auf Dauer kann ich mir vorstellen, dass die Strukturen noch mal ganz neu aufgebaut werden. Es gibt ja auch viele andere Religionsgemeinschaften, die jetzt ihre Finanzierung selbst betreiben. Es gab auch sehr viele Diskussionen über eine Moscheesteuer und andere mögliche Dinge. Aber auch Deutschland muss langsam die Sache selbst in die Hand nehmen. Deutschland muss jetzt mehr Schulen aufmachen, in denen auch Imame ausgebildet werden. Da ist auch, denke ich, Deutschland gefragt, dass man gerade in der Ausbildung der Imame mehr Initiative ergreift. Wenn sie hier ausgebildet werden sollen, dann ist auch die deutsche Bundesregierung gefordert, entsprechend Maßnahmen zu ergreifen.
"Türkeistämmige müssen sich Gedanken darüber machen, was sie für Zukunft dieses Landes wollen"
Zagatta: Also diese Bemühungen, soweit ich das als Laie da sehe, gibt es ja. Herr Sofuoglu, eigentlich geht man ja davon aus, dass Muslime, die schon lange hier leben, also vor allem die aus der Türkei stammenden Menschen mit deutschem Pass, dass die sich immer mehr auch integrieren. Ist da eine Organisation wie die DITIB in der Praxis nicht sogar ein großes Hindernis?
Sofuoglu: Alle Organisationen, die sich jetzt die Aufgabe stellen, die Türkei-Politik nach Deutschland zu transportieren, sind problematisch für die Partizipation, für die Integration in Deutschland. DITIB gehört natürlich auch mit dazu, aber auch viele andere Organisationen. Deshalb müssen sich die Türken oder Türkeistämmigen auch Gedanken darüber machen, was sie für die Zukunft dieses Landes wollen und was sie für ihre Zukunft, für ihre eigene Zukunft wollen. Ob sie jetzt Muslime sind oder Alewiten, Sunniten, egal, welchem Kreis sie angehören, dass sie sich selbst auch Gedanken darüber machen, wie sie sich das Leben in Deutschland vorstellen, als Muslime, als Alewiten, als andere Minderheiten.
Deswegen stellt sich die Frage eher gegenüber der türkischen Community oder Community aus der Türkei, dass wir uns mit dem Leben in Deutschland ein bisschen mehr auseinandersetzen sollten als jetzt mit den ganzen Begebenheiten, die aus der Heimat transportiert werden.
Zagatta: Sagt Gökay Sofuoglu, der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland. Herr Sofuoglu, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch!
Sofuoglu: Gerne doch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.