Sie treten zur besten Sendezeit im Fernsehen auf. Ihre Veranstaltungen finden live vor Publikum statt oder Zuschauer werden am Telefon zugeschaltet. Alles kann zum Thema werden. Die TV-Prediger oder Hodschas, wie in der Türkei die Imame genannt werden, reden über Gott und die Welt und tun dabei ihre Sicht der Dinge kund. Und in der Gesellschaft hat ihr Wort Gewicht.
Antworten auf Alltagsprobleme
Eine ältere Frau aus dem Publikum erzählt dem Hodscha, dass sie gerne ein Kopftuch tragen würde, aber ihr Mann erlaube das nicht. Nun will sie wissen, was sie tun soll. Der Hodscha antwortet: "Wenn du ein Kopftuch tragen willst, dann tu es. Lass dich nicht von deinem Mann beeinflussen, der versündigt sich. Ist er überhaupt hier?" Die Frau antwortet: "Er ist bereits im Grab. Er ist tot." Darauf sagt der Hodscha: "Wenn er tot ist, wer hindert dich denn dann noch?"
Ähnlich wie dieser Dialog verlaufen viele Gespräche, in denen sich Ratsuchende an einen Hodscha wenden. Meistens geht es um Alltagsprobleme und um das Zusammenleben von Männern und Frauen. Beispielsweise fragt eine Zuhörerin: "Wenn ich zu Gott bete, dass mein Geliebter sich in mich verliebt, aber er seinerseits zu Gott betet, dass seine Geliebte sich in ihn verliebt, wessen Gebet wird dann erhört?" Auch Kinder stellen den Hodschas knifflige Fragen. Ein Junge will wissen, ob es eine Sünde ist, Internetseiten zu hacken.
Der populärste Fernseh-Hodscha der Türkei heißt Nihat Hatipoglu. Seine Shows sind restlos ausverkauft. Dadurch ist er zu einer Autorität geworden und hat Einfluss. Die Menschen drängen sich, um von Hatipoglu einen Rat zu bekommen. Seine Auftritte sind effektvoll inszeniert. Sobald er zu sprechen beginnt, wird emotionale Musik eingespielt.
Anders als bei Predigten in der Moschee hat bei den Auftritten der TV-Hodschas der direkte Kontakt mit dem Publikum einen besonderen Stellenwert. Die Antworten der Fernsehprediger werden von vielen Gläubigen ernst genommen. Der Frankfurter Islamwissenschaftler Serdar Günes beschäftigt sich seit einigen Jahren mit dem Einfluss der TV-Hodschas in der Türkei:
"Der Bildungsgrad in der türkischen Bevölkerung ist eher niedrig. Leute mit einem höheren Abschluss und Wissen genießen einen gewissen Respekt. Dieser Respekt ist umso größer, wenn es ein religiöser Mensch ist. Das heißt, die Leute schauen immer auf jemanden auf, der mit einer gewissen Autorität überzeugen kann."
Das gilt besonders für den populären TV-Hodscha Nihat Hatipoglu.
Ein junger Mann fragt den Hodscha Hatipoglu, ob er als Muslim eine christliche Frau heiraten kann. Seine Freunde seien der Meinung, eine Frau mit einer anderen Religion zu heiraten sei Sünde. Darauf antwortet Hodscha Hatipoglu: "Das ist doch Unsinn. Da gibt es kein Problem. Heirate sie. Vielleicht nimmt sie ja irgendwann auch deinen Glauben an."
Kritik an der Bezahlung der TV-Hodschas
Es kommt auch vor, dass einer der Hodschas sich im Ton vergreift oder extreme Meinungen vertritt. Zum Beispiel, wenn ein Hodscha jemanden aus dem Publikum oder einen Anrufer beleidigt. Dazu der Islamwissenschaftler Serdar Günes:
"Das Problem bei diesen Predigern oder bei dieser Kommunikation, ist, dass das zwar Theologen sind, aber sie sind nicht Experten für jeden menschlichen Bereich. Das sind auch keine Experten für Psychologie oder Soziologie. Aber trotzdem stellen die Leute Fragen, die in diese Bereiche gehören und erwarten natürlich eine Antwort. Mehr oder weniger bekommen sie dann eine inkompetente Antwort."
Für Kritik sorgt auch die angebliche Bezahlung der TV-Hodschas. Absoluter Top-Verdiener ist verschiedenen Medienberichten zufolge Hatipoglu, der vom Sender ATV monatlich umgerechnet etwa 200.000 Euro erhalten soll. Er selbst bestreitet das. Serdar Günes sieht die Bezahlung dennoch kritisch:
"Es ist natürlich auch die Diskrepanz, die dadurch entsteht, dass diese Leute Genügsamkeit predigen, aber selbst in ihrem persönlichen Leben gar nicht so auftreten. Ein Beispiel sind die hohen Gagen, die Nihat Hatipoglu zum Beispiel bekommt, während er natürlich dem normalen Volks sagt, es soll genügsam und demütig sein. Es ist natürlich leicht, wenn es einem gut geht, so etwas zu predigen."
Gefahr der politischen Instrumentalisierung
In den vergangenen Jahren sind die populären TV-Hodschas auch für Politiker interessant geworden. Sie bewegen Massen - und das weckt Begehrlichkeiten. Vereinzelt lassen sich die TV-Prediger politisch instrumentalisieren. Nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei vor einigen Monaten hat etwa Ömer Döngeloglu den Prediger Fethullah Gülen massiv beschimpft. Gülen war in der Türkei zum Staatsfeind erklärt worden.
"Dieser Hund Amerikas, er ist wie eine Schlange, er hat schlechtes Blut, er hat keinen Glauben, dieser Abtrünnige. Dieser Ungläubige mit einem Schweinegesicht."
Für den Islamwissenschaftler Serdar Günes hat der TV-Hodscha seine Position hier für politische Propaganda missbraucht.
"Eigentlich müssten solche Persönlichkeiten auf eine Gesellschaft natürlich beruhigend wirken. Besonders wenn die Stimmung sehr aufgeheizt ist. Aber es ist natürlich ein Phänomen, dass sowohl die politische Führung, als auch gewisse Autoritäten, sei es in der Politik oder in der Religion, eher versucht sind, die Stimmung noch mehr anzuheizen, anstatt zu besänftigen. Das kann natürlich auch sein, dass so Leute wie Döngeloglu hier einen Auftrag sehen, da mitzumischen und die politische Führung oder was auch immer zu unterstützen."