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Türkische Kurdengebiete
Der lange Arm Ankaras

Die Kommunalwahlen im Frühjahr markierten das Ende der Zwangsverwaltung vieler kurdischer Kommunen in der Türkei. Sie war 2016 nach Kämpfen zwischen Armee und PKK verhängt worden. Doch die Hoffnungen vieler Kurden haben sich nicht erfüllt. Ankara setzt sich über den Wahlsieg der Kurdenpartei HDP hinweg.

Von Susanne Güsten |
Menschen in der Stadt Diyarbakir im südosten der Türkei schwenken Fahnen der kurdischen Partei HDP
Die Freude nach dem Wahlsieg der HDP in Diyarbakir währte nicht lange. Schon im Sommer setzte die türkische Regierung den gewählten Bürgermeister wieder ab. (imago/Diego Cupolo)
Jubel und Freudenschüsse in der Kurdenmetropole Diyarbakir am 31. März dieses Jahres. Die Kurdenpartei HDP ist mit 63 Prozent der Stimmen ins Rathaus zurück gewählt worden. Der Zwangsverwalter aus Ankara räumt sein Büro im Rathaus, ein kurdischer Bürgermeister zieht ein und lässt als erste Amtshandlung die kitschige Luxusausstattung der Amtsräume fotografieren und filmen, um sie dem Volk zu zeigen.
Eine schwere Zeit gehe zu Ende, so glauben die Menschen in Diyarbakir in diesem Frühjahr: Nach Jahren von Kämpfen, Zerstörung und Zwangsverwaltung habe die Demokratie gesiegt.
Zwangsverwalter übernehmen
Die Freude währte nicht lange. Schon im Sommer setzte die türkische Regierung den Bürgermeister wieder ab und ließ ihn verhaften; ein neuer Zwangsverwalter aus Ankara übernahm die Amtsgeschäfte - sehr zum Unmut der meisten Bewohner von Diyarbakir, wie diese HDP-Wählerin sagt:
"Das kann man wohl niemandem in Deutschland vermitteln, wie sich das anfühlt, wenn einem die Stimme geraubt wird, wie uns die Achtung vor unserem Wählerwillen verweigert wird. Das ist kein schönes Gefühl, soviel kann ich sagen. Wut, das ist vielleicht noch der beste Ausdruck dafür: nur Wut."
Die erste Intervention aus Ankara im Jahr 2016 habe man ja noch rechtfertigen können, sagt eine andere Wählerin – sie folgte damals auf schwere Kämpfe in der Stadt, bei denen viele Menschen starben und die Altstadt verwüstet wurde. Diesmal könne es jedoch keinerlei Rechtfertigung dafür geben, gewählte Volksvertreter einfach abzusetzen. Die türkische Regierung sei nun zu weit gegangen, meint auch dieser HDP-Wähler:
"Seit zwei Wahlperioden werden wir nicht mehr von den Volksvertretern regiert, die wir gewählt haben. Unsere Wählerstimmen werden in den Müll geschmissen, und wir werden von jemandem regiert, den das Regime uns einfach vorsetzt. Das hat das Vertrauen in die Demokratie beschädigt. Wir erleben hier einen emotionalen Bruch mit der Türkei und das wachsende Gefühl, dass wir keine Bürger dieses Landes sind."
Debatte über demokratischen Weg
Nicht nur in Diyarbakir: In zwei Dutzend Städten und Gemeinden im kurdisch besiedelten Südosten der Türkei hat Ankara die gewählten Volksvertreter seit der Wahl vom Frühjahr wieder abgesetzt und überwiegend eingesperrt. Außerdem sitzen Dutzende weitere HDP-Kommunalpolitiker, mehrere Parlamentsabgeordnete und tausende HDP-Mitglieder hinter Gittern. Innerhalb der HDP wird die Frage laut, ob es in der Türkei überhaupt noch einen Zweck habe, auf demokratischem Weg Politik zu machen, wie die HDP-Bezirksvorsitzende von Diyarbakir, Hülya Alökmen Uyanik, einräumt:
"Sicher, es bringt derzeit wenig im Parlament zu arbeiten, oder in der Kommunalpolitik. Es gibt durchaus Forderungen aus unserem Volk, uns daraus zurückzuziehen. Darüber wird auch diskutiert. Aber für uns steht fest: Wir werden uns nicht aus der Politik drängen lassen. Wir sind fest entschlossen, unseren Kampf auch weiterhin in der Politik fortzusetzen."
Eine entsprechende Entscheidung fällte die HDP-Führung kürzlich nach einer Klausurtagung, bei der über einen geschlossenen Rückzug aus dem Parlament und aus den Kommunen nachgedacht wurde: Die HDP bleibt in der Politik, entschied der Parteivorstand – und die Basis will ihm darin folgen, wie diese Wählerin in Diyarbakir sagt:
"Wir werden weiter wählen gehen, weil wir an die Demokratie glauben und an Menschenrechte - da können die so oft Zwangsverwalter einsetzen, wie sie wollen. Bei den nächsten Wahlen werden die Menschen in Diyarbakir wieder die HDP wählen und zwar mit noch mehr Stimmen als zuvor, das ist sicher."