Die Angreifer kamen um kurz nach Mitternacht. Zu viert lauerten sie Ahmet Hakan, einem der bekanntesten Journalisten der Türkei, vor seinem Büro bei der Zeitung Hürriyet auf. Mit einer gebrochenen Nase, zwei gebrochenen Rippen und zahlreichen Prellungen landete er wenig später im Krankenhaus.
"Unsere Mediengruppe und vor allem Ahmet Hakan wurden seit Langem bedroht."
Erklärte Sedat Ergin, Hürriyet-Chefredakteur, gegen vier Uhr morgens sichtlich schockiert.
"Schon am 6. September wurde die Hürriyet-Redaktion angegriffen, Türen und Fenster wurden eingeschlagen. Zwei Tage später folgte ein weiterer Angriff. Und nun wurde einer von uns zusammengeschlagen... Was für eine Demokratie ist das, in der Journalisten morgens um vier Presseerklärungen vor einem Krankenhaus abgeben müssen?"
Tatsächlich kam der Angriff nicht von ungefähr. Mehrfach hatte Ahmet Hakan zuvor um Polizeischutz gebeten – ohne Erfolg. Grund für die wachsende Angst ist eine Art Schlammschlacht, die AKP-nahe Bürger, Medien und Politiker seit Wochen gegen Hürriyet führen. "Wie ein Schizophrenie-Kranker wähnst du dich noch immer in den Tagen, in denen die Hürriyet unser Land regierte", schrieb der Journalist Cem Kücük im September in der AKP-nahen Star-Zeitung an die Adresse des nun niedergeschlagenen Ahmet Hakans. Und weiter: "Wenn wir wollten, könnten wir dich wie eine Fliege zerquetschen. Du bist nur noch am Leben, weil wir bislang Mitleid mit dir hatten."
"Die Hürriyet ist die mächtigste Zeitung der Türkei."
Erklärt Medienwissenschaftlerin Ceren Sözeri von der Istanbuler Galatasary-Universität den offenen Hass der Erdogan-Anhänger.
"Es herrscht eine Atmosphäre der Angst"
"Sie hat so viele Leser, dass sie die Politik und den Alltag beeinflussen kann. Die AKP hätte gern die Unterstützung eines solchen Mediums, um selbst Glaubwürdigkeit zu erhalten. Aber die Dogan-Medien sind die letzten im Land, die bisher nicht "auf Linie" gebracht werden konnten. Das ist der Grund, warum sie angegriffen werden. Dogan repräsentiert eine Art uneinnehmbare Festung."
Eine Festung, die sich allerdings selbst immer wieder den Vorwurf gefallen lassen muss, einseitig zu berichten, so die Medienwissenschaftlerin. Und so ist der Krieg zwischen Recep Tayyip Erdogan und Aydin Dogan auch alles andere als neu. Vor einigen Jahren schon brachte eine umstrittene Steuerstrafe von 2,5 Milliarden Euro den Medienkonzern fast zu Fall. Doch Hürriyet und Co überlebten – und wurden nach vorübergehender Zurückhaltung in den vergangenen Monaten wieder deutlich mutiger in ihrer Kritik. Nicht ohne Folgen.
"Wir wissen, wie wir Aydin Dogan die Nägel und die Zähne ausreißen können."
Erklärte der AKP-Abgeordnete Mehmet Metiner vergangene Woche in einer Fernsehtalkshow. Worte, die selbst den 70-jährigen Turgay Olcayto noch schockieren. Nie sei der Druck auf kritische Medien am Bosporus so groß gewesen wie im Moment, so der Vorsitzende des türkischen Journalistenverbandes. Nicht nur die aktuelle Schlammschlacht, auch die Tatsache, dass neuerdings eine fast ausschließlich mit AKP-nahen Bürokraten besetzte Kommission über die Vergabe von Journalistenausweisen in der Türkei entscheidet, spreche für sich. Kritische Medienleute müssen damit rechnen, bald keine offizielle Berufserlaubnis mehr zu haben. Turgay Olcayto:
"Es herrscht eine Atmosphäre der Angst. Der Premier und der Präsident brauchen nur ein Medium oder einen Journalisten zu nennen – und sofort wächst der Druck. Die Staatsanwaltschaft beginnt zu ermitteln, es gibt Schadensersatzklagen usw. Die Regierung hat eine ganze Armee von Anwälten, die rund um die Uhr damit beschäftigt ist, Leute zu verklagen. Das alles zusammen mit den Drohungen und Attacken der letzten Wochen führt dazu, dass keiner mehr frei schreibt. Die Selbstzensur wächst."
Immerhin: Der niedergeschlagene Ahmet Hakan ließ noch im Krankenhaus verlauten, er werde sich weder von Drohungen noch von Attacken einschüchtern lassen. Doch längst nicht jeder türkische Journalist zeigt so viel Mut. Zahlreiche sind bereits verstummt. Vier Wochen vor den für den 1. November angesetzten Neuwahlen in der Türkei, dürfte es nicht wenige im Land geben, die genau darauf hoffen.