"Es ist das blanke Elend hier", klagt Ladenbesitzer Abdullah in der umkämpften Stadt Cizre, während im Hintergrund pausenlos das Geschützfeuer donnert: "Kranke können nicht zum Arzt", sagt er. "Verletzte behandeln sich selbst und sterben. Apotheken sind geschlossen; wir haben nicht einmal Brot. Der Staat bombardiert uns hier völlig rücksichtslos."
Allein in der 100.000-Einwohner-Stadt Cizre dicht an der syrischen Grenze hat die Armee in den vergangenen zwei Wochen 139 PKK-Kämpfer getötet. Viele Einwohner aus Cizre widersprechen und sagen: Nein, das waren nicht nur Kämpfer, viele der Getöteten waren Zivilisten, auch Kinder. Ministerpräsident Ahmed Davutoglu aber gibt der PKK die alleinige Schuld: "In Diyarbakir, in Mardin, in Sirnak – überall verübt die Terror-Organisation Anschläge und schert sich nicht um das Leben der Zivilbevölkerung. Die Terroristen heben mitten in den Städten Schützengräben aus und bauen Barrikaden. Sie setzen Schulen und Moscheen in Brand und missbrauchen Zivilisten als lebende Schutzschilder. Sie hetzen die Leute gegen die Sicherheitskräfte auf."
Ganze Straßenzüge mit Einschusslöchern durchsiebt
Gestern, am helllichten Tag, griffen PKK-Kämpfer das staatliche Kultur-Zentrum in der Stadt Sirnak an. Sie warfen Brandbomben ins Gebäude. Vier Studenten und zwei Angestellte erlitten Rauchvergiftungen. Sirnak, die Nachbarstadt von Cizre, war bislang von heftigen Kämpfen verschont geblieben. Die türkische Armee befürchtet, die PKK wolle den Kampf auf noch mehr Städte ausweiten; deshalb schlägt die Armee mit aller Gewalt zurück: Panzer patrouillieren durch Wohnstraßen und feuern Granaten auf PKK-Kämpfer, die sich in Wohnungen verschanzen. Ganze Straßenzüge mit Einschusslöchern durchsiebt; Zigtausende Einwohner sind geflüchtet oder sie harren in Kellern aus.
Abdullah, der Ladenbesitzer aus Cizre, widerspricht dem Ministerpräsidenten. Abdullah gibt nicht der PKK die Hauptschuld, sondern der türkischen Regierung und der Armee: "Die feuern wild um sich. Die werfen Bomben, als wären sie in einem feindlichen Land. Aber sie greifen uns an. Ein Staat darf doch nicht seine eigenen Bürger angreifen!"
Trauerzug für sechs getötete PKK-Kämpfer
Gestern in Diyarbakir: der Trauerzug für sechs getötete PKK-Kämpfer wird zum Protestmarsch gegen die Regierung. Die Polizei schießt Tränengas in die Menge und löst den Trauerzug mit Wasserwerfern auf. Zurück bleibt blanker Hass. Vor einem halben Jahr noch, so erinnert sich Ladenbesitzer Abdullah, sei die Stimmung völlig anders gewesen: "Wir hatten doch schon Gleichheit erreicht mit unseren türkischen Brüdern. Niemand fühlte sich ausgegrenzt."
Doch im Sommer kündigte Präsident Erdogan den Friedensprozess auf; nach zwei Jahren Waffenstillstand bekämpfen sich Armee und PKK seither wieder. Die türkische Regierungspartei AKP hat nun angekündigt, sie wolle die jetzt laufende Militäroperation gegen die PKK spätestens bis zum Frühjahr beenden. Das bedeutet, dass die Kämpfe im Südosten der Türkei noch monatelang weitergehen könnten. Ministerpräsident Davutoglu will die PKK endgültig besiegen.
Die vergangenen dreißig Jahre haben allerdings gezeigt, dass dieses Ziel mit Waffen nicht erreicht werden kann. Denn immer wieder hatte sich gezeigt: je härter die Armee zuschlägt, desto leichter fällt es der PKK, neue Kämpfer anzuwerben. So dreht sich die Spirale der Gewalt im Südosten der Türkei immer weiter.
Die vergangenen dreißig Jahre haben allerdings gezeigt, dass dieses Ziel mit Waffen nicht erreicht werden kann. Denn immer wieder hatte sich gezeigt: je härter die Armee zuschlägt, desto leichter fällt es der PKK, neue Kämpfer anzuwerben. So dreht sich die Spirale der Gewalt im Südosten der Türkei immer weiter.