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Türkische Politik in Deutschland
"Wenn wir es können, sollten wir einen Erdogan-Auftritt verhindern"

Wolfgang Bosbach möchte einen möglichen Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan in Deutschland verhindern. Grundsätzlich lasse sich die Bundesrepublik "in weiten Teilen" zu viel bieten, sagte der CDU-Innenpolitiker im DLF.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach.
    Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach. (imago / Sven Simon)
    "Wir sind in einem Maße tolerant, dass man meinen könne, wir übertreiben es", kritisierte Bosbach mit Blick auf den politischen Umgang mit türkischen Angelegenheiten in Deutschland. "Alles lassen wir uns aber auch nicht bieten", betonte der 64-jährige Unionspolitiker mit dem Verweis auf das Verbot einer Videoschalte Erdogans bei einer Demonstration in Köln im vergangenen Sommer.
    Um die offiziell noch nicht bestätigte Rede Erdogans im März, mit der der türkische Staatspräsident für seine Präsidialreform werben will, zu verhindern, sollte man "alle rechtlichen und politischen Möglichkeiten ausnutzen", forderte Bosbach. Mit Auftritten wie diesen importiere Deutschland die politischen Konflikte aus anderen Regionen. Und Erdogan führe aktuell die Türkei in ein autoritäres Regime. Für ein Verbot seien die rechtlichen Hürden allerdings "sehr hoch". Zudem herrsche immer noch Unklarheit über die Form der geplanten Veranstaltung.
    Eine politische Intervention Berlins könnte die Bundesregierung "in erhebliche Schwierigkeiten bringen" und zu einer "Frontenstellung führen", sagte der langjährige Abgeordnete, der sich nach der Wahl im September aus dem Bundestag zurückziehen wird. Deutschland dürfe sich aber "auch in dieser Frage nicht erpressen lassen", andernfalls "wären wir nicht mehr so souverän, wie wir es sein müssen".

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Amnesty International berichtet über Festnahmen in großem Umfang, über Folter und Misshandlungen. Im April möchte sich der türkische Staatspräsident Änderungen der Verfassung in einem Referendum bestätigen lassen, vorher - so berichten Journalisten - verschärft Erdogan den Druck auf seine Kritiker. 18 Verfassungsartikel sollen geändert werden, die wesentlichen Bestimmungen haben wir kürzlich hier bei uns im Deutschlandfunk in unserer Sendung "Hintergrund" zusammengestellt.
    Und am Telefon ist der CDU-Innen- und -Rechtspolitiker Wolfgang Bosbach. Guten Morgen!
    Wolfgang Bosbach: Ich grüße Sie, guten Morgen!
    Heinemann: Herr Bosbach, zunächst bitte Ihre politische Einschätzung! Sollte Erdogan in Deutschland für sein Referendum werben dürfen?
    Bosbach: Wir sollten alle politischen und rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, genau dies zu verhindern. Denn der Auftritt dient nicht nur der Unterstützung des Vorhabens, weiterhin mit Riesenschritten von der Demokratie in der Türkei in Richtung eines autoritären Regimes zu gehen, sondern mit solchen Auftritten dann importieren wir auch politische Konflikte aus anderen Regionen her zu uns nach Deutschland. Und einige dieser Konflikte werden ja leider auch mit Gewalt ausgetragen, auch vor dem Hintergrund der jüngsten Vorwürfe gegenüber dem türkischen Generalkonsulat, was Spitzeltätigkeiten der Türkei in Deutschland angeht. Nein, wenn wir es können - das wird schwer genug werden -, sollten wir es verhindern.
    "Die rechtlichen Hürden sind sehr hoch"
    Heinemann: Was heißt: Es wird schwer genug?
    Bosbach: Wir wissen ja noch gar nicht, in welcher Form die Veranstaltung stattfinden soll. Das Recht unterscheidet: Ist die Veranstaltung öffentlich, ist sie nicht öffentlich, ist sie unter freiem Himmel oder findet sie in geschlossenen Räumen statt, wie vor einigen Jahren in der Arena in Köln? Wir müssten ja eigentlich genau wissen, wann, wo, unter welchen Rahmenbedingungen soll eine Kundgebung mit Staatspräsident Erdogan stattfinden? Und dann kann man erst sagen: Welche rechtlichen Möglichkeiten gibt es überhaupt, diese Versammlung zu verbieten? Und dass die rechtlichen Hürden sehr hoch sind, das ist ja in der Anmoderation zutreffend beschrieben worden.
    Heinemann: Reicht es denn aus, wenn ein ausländischer Politiker einfach sagt, ich komme jetzt privat nach Deutschland?
    Bosbach: Diese Auffassung vertritt die nordrhein-westfälische Landesregierung, das war der Besuch von Ministerpräsident Yildirim in Oberhausen. Wir wissen doch, dass das ein Taschenspielertrick ist. Herr Erdogan kommt doch nicht als Privatmann Erdogan, sondern er kommt als Staatspräsident der Türkei, der das Land sicher im Griff hat und zu einem autoritär geführten Regime hinführen will. Das weiß doch jeder. Und er kann doch nicht sagen: Heute Morgen bin ich Staatspräsident, heute Mittag bin ich Privatmann, aber abends bin ich natürlich wieder Staatspräsident. Wie das dann am Ende ein Gericht zu bewerten hat, ist eine andere Frage, denn der Veranstalter ist jedenfalls in der Vergangenheit in vielen Fällen ein in Deutschland eingetragener Verein gewesen, die UETD (Union Europäisch-Türkischer Demokraten, Anm. d. Red.), wo auch jedenfalls meiner Erkenntnis nach sehr, sehr viele deutsche Staatsbürger sich engagieren, auch wenn sie türkischstämmig sind.
    "Die Bundesrepublik Deutschland gehört nicht zum türkischen Hoheitsgebiet"
    Heinemann: Der schwarze Peter, wenn ich das richtig verstanden habe gerade eben, liegt jetzt bei der Bundesregierung.
    Bosbach: Genau.
    Heinemann: Sie kann sagen: Wir glauben nicht, dass er als Privatperson anreist, wir sehen die staatliche Souveränität gefährdet. Was erwarten Sie jetzt von Angela Merkel und Sigmar Gabriel?
    Bosbach: Ich erwarte zunächst einmal, dass wir Klarheit bekommen über die Form der Veranstaltung. Erst dann werden wir ja genau wissen: Trifft es zu, was Nordrhein-Westfalen sagt, wir können überhaupt nichts verhindern, wir schieben mal den schwarzen Peter nach Berlin? Oder gibt es doch rechtliche Möglichkeiten? Auch darüber ist ja in der Anmoderation völlig zutreffend informiert worden. Es geht dann um den Schutz der öffentlichen Sicherheit, wenn schwere Gefahren drohen. Eine andere Frage ist, ob die Bundesregierung politisch interveniert und sagt, wir wollen diesen Auftritt nicht. Das allerdings würde die Bundesregierung - ich glaube, nicht nur meiner Überzeugung nach - in erhebliche Schwierigkeiten bringen, das würde zu einer Frontenstellung gegenüber der Türkei führen. Aber ich persönlich kann nur sagen: Bitte nutzt alle politischen und rechtlichen Möglichkeiten, um zu verhindern, dass Erdogan wieder einmal nach Deutschland kommt. Wobei, aus Sicht der Türkei ist das sogar verständlich, in Deutschland leben über 1,5 Millionen Türkinnen und Türken, die wahlberechtigt sind. Wir haben Millionen, die türkischstämmig sind, entweder Doppelstaatsangehörige oder jetzt nur deutsche Staatsbürger. Also, viele haben einen türkischen Background. Aber deswegen gehört die Bundesrepublik Deutschland nicht zum türkischen Hoheitsgebiet. Wir wollen mit allen Menschen, die bei uns leben, friedlich und konfliktfrei miteinander leben. Und Erdogan trägt die innertürkischen Konflikte nach Deutschland, und hier werden sie in der Gesellschaft ausgetragen und das wird durch einen solchen Besuch noch einmal befördert. Und das sollten wir verhindern.
    "Wir sollten uns von der Türkei nicht erpressen lassen"
    Heinemann: Und die internationale Politik trägt ja vielleicht auch mit rein, deshalb die Frage: Ist Deutschland wegen des Migrationspaktes mit der Türkei da erpressbar?
    Bosbach: Wissen Sie, das ist nicht das erste Mal, dass wir darüber diskutieren. Zur Erpressung gehören immer zwei: Einer, der versucht, jemanden zu erpressen, und einer, der sich erpressen lässt. Wir sollten uns von der Türkei nicht erpressen lassen, auch nicht in dieser Frage.
    Heinemann: Trauen Sie das der Bundesregierung zu, dass sie da steht?
    Bosbach: Ich kann nur hoffen, dass sie dazu steht, denn sonst wären wir ja nicht mehr in dem Maße souverän, wie wir es sein müssen.
    Heinemann: Sie sagten gerade eben sinngemäß, die türkische Innenpolitik solle sich hier nicht so breit machen - was aber längst passiert. Gilt das denn nicht auch für Demonstrationen von Kurden, die zum Beispiel mit Symbolen der verbotenen PKK operieren, Bilder des Anführers Öcalan hier zeigen?
    Bosbach: Genau, wir hatten ja schon Mitte der 90er-Jahre die sogenannten Kurdenkrawalle, die unter anderem gipfelten in der Entwaffnung eines deutschen Polizeibeamten, ich glaube, es war auf der Autobahn zwischen Köln und Aachen, es gab schwere Auseinandersetzungen. Genau das beklage ich ja, dass wir Konflikte aus anderen Regionen in unser Land holen, dass diese Konflikte hier gewaltsam ausgetragen werden, dass unser Land zum Schauplatz wird für Konflikte, die ihren Ursprung ganz woanders haben, oder religiöse Ursachen in anderen Regionen haben. Und wenn Dokumente der verbotenen PKK gezeigt werden, Fahnen und Ähnliches, dann ist das ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung, dann kann und dann wird die Polizei auch einschreiten.
    "Man kann nur einen Regierungschef haben"
    Heinemann: Zu diesen Dingen gehören auch immer zwei, so wie Sie das eben beschrieben haben: Viele der hier lebenden Türken unterstützen Erdogan ja ausdrücklich.
    Bosbach: Ja, richtig, deswegen kommt er ja auch, um sie zu mobilisieren.
    Heinemann: Und was sagt das aus über die Integration dieser Leute in die deutsche Gesellschaft?
    Bosbach: Ich glaube, wir müssen immer wieder darauf hinweisen, dass der Regierungschef der hier lebenden Türkinnen und Türken nicht Erdogan heißt, sondern Angela Merkel.
    Heinemann: Aber viele Türken sagen: Wieso, ich habe einen Präsidenten, in der Türkei, der heißt Erdogan, und eine Bundeskanzlerin, die heißt Merkel.
    Bosbach: Ja, aber man kann nur einen Regierungschef haben, einen, dem man sich verpflichtet fühlt, der die politische Verantwortung für das Leben in Staat und Gesellschaft trägt. Und das ist auf Bundesebene in der Bundesrepublik Deutschland Angela Merkel und nicht Erdogan.
    "Wir übertreiben es etwas mit der Toleranz"
    Heinemann: Nun gibt es ja längst eine türkische Pegida hier in Deutschland, die lautstark die Todesstrafe für ihr Land fordert, unlängst in Köln geschehen, es gibt diese Stasi - Sie haben da eben von gesprochen - die unliebsame Landsleute ausspioniert. Man hat den Eindruck, der Rechtsstaat lässt sich dieses Eigenleben bieten.
    Bosbach: In weiten Teilen gilt das, allerdings hat ja auch die Veranstaltung in Köln gezeigt, dass der Rechtsstaat sich eben nicht alles bieten lässt. Damals - ist noch nicht lange her, vor wenigen Monaten, ich glaube, es war im August vergangenen Jahres - ging es um die Live-Zuschaltung von Präsident Erdogan. Das ist verboten worden, wütende Proteste, aber das OVG Münster hat diese Entscheidung der Verwaltung gehalten. Also, alles lassen wir uns nicht bieten, aber wir sind schon - wenn Sie das meinen, muss ich Ihnen leider recht geben - in einem Maße tolerant, wo man das Gefühl bekommen kann, dass wir es etwas übertreiben mit der Toleranz. Jedenfalls wenn es Bestrebungen gibt, die eindeutig der Abschaffung der Demokratie dienen.
    Heinemann: Was antworten Sie Bürgerinnen und Bürgern, die sagen, diese Türken wollen wir hier nicht?
    Bosbach: Ich antworte, dass wir uns im Rahmen unseres Rechtes bewegen müssen, bei allen Maßnahmen, die wir ergreifen. Das gilt für unsere Verfassung, hier geht es um Recht auf Handlungsfreiheit, hier geht es um das Recht auf Meinungsfreiheit, wobei immer die Frage ist, wer kann bei uns Grundrechtsträger sein, und dass wir alle rechtlichen Möglichkeiten prüfen, die wir haben. Und dann, wenn wir Möglichkeiten sehen, dann sollten wir von diesen Möglichkeiten auch Gebrauch machen und nicht aus Furcht vor politischen Konflikten davor zurückschrecken.
    Journalist Deniz Yücel muss freigelassen werden
    Heinemann: Stichwort Grundrecht: Der Journalist der Tageszeitung "Die Welt" Deniz Yücel ist in der Türkei in Haft. Wie sollte die Bundesregierung agieren?
    Bosbach: Genauso, wie ich das gerade beschrieben habe.
    Heinemann: Tut sie das?
    Bosbach: Entschuldigung, aber da müssen Sie im Bundeskanzleramt anrufen. Nicht alles, was unternommen wird an politischer, diplomatischer Einflussnahme, geschieht öffentlich. Es kann auch nicht alles öffentlich geschehen, vielleicht geschieht hinter den Kulissen mehr, als wir zwei in diesem Gespräch jetzt wissen. Aber jedenfalls ist das ein exemplarischer Vorgang von besonderer Bedeutung, wo die Bundesregierung nicht sagen sollte, sondern sagen muss: Wir erwarten, dass dieser Journalist freigelassen wird.
    Heinemann: Und muss sie das nicht laut sagen, in der Öffentlichkeit?
    Bosbach: Sie sollte es so tun, dass sie am Ende auch Erfolg hat. Manchmal, manchmal können nicht-öffentliche Bemühungen mehr bewirken als öffentliche.
    Heinemann: Ein besonderes Dankeschön an den Rheinländer Wolfgang Bosbach, CDU, dafür, …
    Bosbach: Ja, heute Morgen mal sein Opfer um die Uhrzeit!
    Heinemann: … dass Sie mitten im Karneval zu dieser Uhrzeit sprechfähig sind, also ein großes Dankeschön für das Gespräch!
    Bosbach: Ich danke Ihnen.
    Heinemann: Auf Wiederhören, alles Gute!
    Bosbach: Bitte.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.