"Parlamente sind keine Gerichte!" "Allah-u Akbar!" Vor dem Brandenburger Tor skandieren etwa 2.000 Menschen immer wieder "Allah ist groß" oder "Die Türkei ist die größte". Die Demonstranten sind aus dem gesamten Bundesgebiet angereist. Manche sprechen kein Deutsch, andere leben seit Jahrzehnten in Deutschland, kennen aber nicht die Namen der deutschen Regierungsmitglieder. Wieder andere sind hier geboren, bezeichnen aber die Türkei als ihre Heimat, wie diese zwei, die meinen, der erwartete Bundestags-Beschluss zum Armenier-Genozid würde der Türkei und den Türken schaden.
"Ich komme aus Aachen, studiere Deutsch und Geschichte auf Lehramt. Also ich finde nicht, dass das zur Versöhnung beiträgt, sondern ich finde, dass das noch mehr Hass anstachelt." – "Auf das Zusammenleben von Deutschen und Türken wird es keine große Auswirkung haben. Jedoch könnte es sein, dass viele Deutsche die Türken in einem anderen Licht betrachten werden."
Der Protest eint Säkulare und Erdogan-freundliche Konservative
"Wir sind alle gemeinsam Deutschland. Ich will alle Fahnen mal sehen, bitte." Die versammelte Menge folgt dieser Aufforderung des Moderators und schwenkt türkische Fahnen, die die Organisatoren ausgeteilt haben. Auf Transparenten ist zu lesen: "Der Bundestag ist kein Tribunal", "Parlamente sind keine Gerichte". Der Protest richtet sich gegen die Anerkennung des Genozids an den Armeniern im Ersten Weltkrieg durch das Osmanische Reich. Anmelder der Veranstaltung ist Bekir Yilmaz, Präsident der konservativen Türkischen Gemeinde zu Berlin. "Diese Geschehnisse nach 100 Jahren parlamentarisch auf die Tagesordnung zu bringen und darüber zu urteilen, ob es ein Völkermord war oder nicht, ist für uns inakzeptabel."
Weniger diplomatisch drücken es verschiedene Redner auf der Bühne und die Demonstranten aus: Sie sprechen nach der offiziellen türkischen Lesart von einer "Völkermord-Lüge". Die Organisatoren sind ein Zusammenschluss von türkischen Verbänden und Vereinen. Die wichtigsten sind die "Union türkisch-europäischer Demokraten, UETD", eine Lobbyorganisation der AKP sowie der deutsche Ableger der türkischen Religionsbehörde, DITIB. Hinzu kommen die faschistischen Grauen Wölfe sowie einige säkular-nationalistische Vereine. Eine Allianz, die immer nur dann zusammenkommt, wenn es um den Armenier-Genozid oder um die Kurdenfrage geht. Sonst sind die Säkularen und die Erdogan-freundlichen Konservativen verfeindet.
Auch wenn die Proteste der Genozid-Leugner dominieren, gibt es auch Unterstützung für die bevorstehende Resolution. Eine Gruppe von mehrheitlich kurdischen Organisationen, darunter aber auch einigen türkischen Vereinen übergab den Fraktionen im Bundestag einen Brief, in dem die Anerkennung des Völkermordes begrüßt wird. Für die mehr als 400 Unterzeichner spricht Sakine Sevim. "Wir wollen, dass der Völkermord im Bundestag endlich anerkannt wird, weil die Türkei das verleugnet, die Menschen in der Türkei bedroht und auch im Ausland, das ist ja auch eine Sache. Und wir finden es wichtig, dass das endlich anerkannt wird."
Armenier begrüßen Resolution
Kundgebungen von Armeniern wird es heute Vormittag am Reichstagsgebäude und nach der Debatte geben. Die Studenten Edgar Hacadirian und Maral Becosian wollen für die Initiative "Anerkennung Jetzt" daran teilnehmen. Erst mit der Anerkennung des Genozids sei eine Versöhnung möglich, sagen sie. "Eine ehrliche Aufarbeitung der Geschichte und historischer Schuld – nur dann ist Verzeihen und Aussöhnung möglich und die Entwicklung von friedlichen Beziehungen." – "Ich finde, Deutschland trägt eine große Rolle und sollte den Völkermord auch deshalb anerkennen und zwischen diesen beiden Völkern zur Versöhnung mit beitragen."
Im Resolutionstext wird nicht nur der Völkermord explizit anerkannt. Auch die Mitschuld des Kaiserreiches wird benannt. Bei der Abstimmung im Bundestag werden aber die wichtigsten Regierungsstühle leer bleiben. Bundeskanzlerin Merkel und Vize-Kanzler Gabriel nehmen andere Termine wahr. Außenminister Steinmeier, der von Anfang an die Resolution verhindern wollte, reiste gestern nach Lateinamerika. Krikor Manugian, armenischer Performance-Künstler aus Osnabrück, vermutet ein absichtliches Fernbleiben. "Wenn die Regierungsspitze – sowohl die Kanzlerin als auch der Vizekanzler, als auch der Außenminister, die eigentlich federführend für diese Thematik sein sollten, gar nicht da sind, lässt das einen sehr schalen Beigeschmack."
Die Zustimmung aller Fraktionen gilt aber als sicher.