Zuständig für den Fall Asli Erdogan ist das 23. Schwerstrafengericht im Justizpalast von Istanbul. Das riesige, kreisrunde Gerichtsgebäude ist allein durch seine wuchtige Erscheinung furchteinflößend. Ebenso wie für Asli Erdogan die Vorstellung, eventuell wieder ins Gefängnis zu müssen. Der Gedanke an die gut viermonatige Untersuchungshaft löst bei der Autorin auch heute noch Beklemmungen aus.
"Im Gefängnis blickt man, wenn man aus dem Fenster schaut, auf die Wand und die vergitterten Fenster des gegenüberliegenden Trakts. Dazwischen ein kleiner Innenhof. Schaut man nach oben sieht man durch das Drahtdach des Innenhofs circa 50 Quadratmeter Himmel. Im Herbst kann man die Vögelschwaerme beobachten. Manchmal haben wir auch den Vollmond gesehen. Und einmal sah ich einen Regenbogen. Diese beschränkte Himmelaussicht ist das einzig Farbige, das man sieht. Ansonsten ist alles nur Beton und Eisen."
Kolumne in kurdischer Zeitung könnte für Haft reichen
Asli Erdogan wirkt gefasst, aber auch müde und erschöpft. Die kalten Nächte im Istanbuler Frauengefängnis haben an ihrem Körper gezehrt. Zu kurz für eine richtige Erholung sei die Zeit zwischen Untersuchungshaft und dem heutigen Prozesstag gewesen, sagt ihr Anwalt Erdal Dogan:
"Nun, die Anklage an sich und das, was sie in der Haft erlebt hat, haben sie natürlich psychisch belastet. Das wirkt weiterhin. Es ist schon ein großes Trauma, angeklagt und monatelang seiner Freiheit beraubt zu sein. Dazu kommt das Ausreiseverbot und die Tatsache, dass sie sich noch immer nicht im stande fühlt, ihre literarische Arbeit wieder auf zu nehmen."
Der Staatsanwalt hat lebenslange Haft für Asli Erdogan gefordert. Die Vorwürfe lauten: Terrorpropaganda, Mitgliedschaft in einer terroristischen Terrororganisation, versuchter Umsturz der staatlichen Ordnung. Anwalt Dogan hält das für konstruiert:
"Ein Blick in die Unterlagen zeigt, dass keine Grundlage für die Anklage der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation oder Terrorpropaganda vorliegt. Es ist offensichtlich, dass Aslı Erdoğan aufgrund ihrer Artikel auf der Anklagebank eines solchen Prozesses sitzt."
Doch auch das könnte in der heutigen Türkei schon für einen Haftstrafe reichen, fürchtet die angeklagte Autorin.
"Es kann durchaus zu einer Verurteilung kommen - vielleicht keine allzu große Haftstrafe. Ich kenne das System mittlerweile, mehr oder weniger kenne ich es. Aber so schnell wird das nicht sein. Der Prozess wird wahrscheinlich noch mindestens ein Jahr oder so dauern."
Für die Haftentlassung der chronisch kranken Autorin hatte sich unter anderem der Börsenverein des Deutschen Buchhandels eingesetzt. Mit einem Urteil ist heute nicht zu rechnen.