Archiv

Türkische Silvester-Lotterie
Ein bisschen Hoffnung für 15 Lira

Die Silvester-Lotterie hat in der Türkei eine lange Tradition. So gut wieder jeder hat mindestens einen Lottoschein zu Hause. Der günstigste kostet 15 Türkische Lira. Dieses Jahr sind wieder mehr als 60 Millionen Lira im Jackpot - und viele Menschen hoffen auf das große Los.

Von Karin Senz |
    Jedes Jahr drängen sich die Menschen vor dem Stand von Nimet Abla in Istanbul, um Lose für die große Silvester-Lotterie zu kaufen. Auch für Verandte in Deutschland wird hier gekauft.
    Jedes Jahr drängen sich die Menschen vor dem Stand von Nimet Abla in Istanbul, um Lose für die große Silvester-Lotterie zu kaufen. (imago / Seskim)
    Im Istanbuler Stadtteil Eminönü geht’s immer trubelig zu. Aber kurz vor Silvester zieht sich eine lange Menschenschlage über einen Platz vor Yeni-Moschee.
    "Letztes Jahr war die Schlange sogar noch länger, bis weit hinter den Eingang des Großen Basaars, bestimmt eineinhalb Kilometer lang", erzählt Özgür.
    Der große 40-jährige Mann mit coolem Pferdeschwanz hat, wie alle anderen auch in der Schlange, ein Ziel: Er will einen Lottoschein bei Nimet Abla kaufen. Denn bei der großen Ziehung am Silvester-Abend haben in der Vergangenheit immer besonders viele Scheine von hier gewonnen. Auch Ayten, eine kleine ältere Dame, versucht ihr Glück hier:
    "Ja, überall gibt es Losverkaeufer. Aber Nimet Abla hat sich halt einen Namen gemacht. Und diese Warteschlang hier ist gar nicht mal sooo lang. Wie gesagt, Nimet Abla hat einen guten Ruf. Deswegen kaufen wir bei ihr."
    Lottoscheine für Verwandte in Deutschland
    Dabei ist Nimet Abla - die große Schwester Nimet - schon lange tot. Sie begann in den Zwanzigerjahren, Lottoscheine zu verkaufen und hat dann - geschäftstüchtig wie sie war - auch immer gleich bekannt gegeben, wenn einer ihrer Scheine bei der Ziehung gewonnen hat. Heute betreibt ihr Neffe den Stand. Werbung muss er keine mehr machen. Der Ruf von Nimet Abla reicht bis nach Deutschland, erzählt die Deutsch-Türkin Aynur:
    "Ich habe Verwandte, die haben Geld geschickt, das wir von hier viele kaufen. Hoffen wir, dass sie Glück haben."
    Das Geschäft mit der Hoffnung - bei Birgül läuft es nicht ganz so gut. Der 60-Jährige steht mit einem Packen Lottoscheine neben der Schlange:
    "Ich verkaufe leider nicht genug Scheine, denn hier haben die Leute das Gefühl, wir verkauften gefälschte Scheine."
    Auch Reyhan Abla versucht, ein paar Kunden von Nimet Abla abzugreifen, die dann doch nicht warten wollen. Sie sitzt auf einem Mäuerchen. Auf einem kleinen Klapptisch vor ihr steht sogar ein mobiler Kreditkartenterminal. Einem älteren Herrn verkauft sie zum Lottoschein noch Instant-Kaffeepulver dazu. Ihr rot geschminkter Mund lacht immer:
    "Das ist schönes Gefühl, sogar ein sehr schönes. Ich verkaufe den Leuten ein Stück Hoffnung, aber ich lege großen Wert darauf, dass ich das mit einem freundlichen Gesicht mach, dass ich lächele und ihnen viel Glück wünsche. Aber, ehrlich gesagt, wünsche ich den Leuten vor allem Gesundheit und Frieden. Erst danch wünsche ich ihnen einen großen Gewinn."
    Warten auf die Ziehung an Silvester
    Währenddessen wird Özgür in der Schlange bei Nimet Abla nachdenklich:
    "Dass so viele Menschen auf das große Glück beim Glücksspiel hoffen, hat was mit der schlechten Wirtschaftslage zu tun. Sie hoffen auf eine Erlösung aus ihrem schlechten Leben. Gäbe es mehr Wohlstand und Arbeit, ginge es den Menschen besser - sie würden hier nicht in der Schlang stehen. Das tut irgendwie weh."
    Ayten, die ältere Dame, hat es fast geschafft. Nur noch ein paar Meter trennen sie von ihren Glücks-Lottoscheinen mit dem Nimet Abla-Stempel auf der Rückseite:
    "Ich habe einen Glasschrank. Da kommen die Lottoscheine rein. In der Silvesternacht hole ich sie dann raus und setz mich im Wohnzimmer vor den Fernseher."
    Um 19 Uhr fängt die Live-Übertragung an. Die ganze Ziehung dauert dann bis kurz vor Mitternacht. Wenn sie gewinnt, will Aytun sich eine Wohnung kaufen. Seit Jahren will sie ihr Vermieter rauswerfen, weil das Haus abgerissen werden soll, erzählt sie.
    Auch Reyhan Abla, die Losverkäuferin mit den roten Lippen, hat sich selbst ein paar Scheine gesichert.
    "Ich habe viel vor, wenn ich gewinne. Ich habe eine Liste mit hilfebedürftigen Freunden und Verwandten gemacht. Einige wohnen in Miete. Denen will ich Wohnungen kaufen. Andere haben keinen Job. Denen mache ich vielleicht ein kleines Geschaeft auf. Ich selber will nicht viel, nur ein Haus für mich und meinen Sohn."