Es ist eine Szene, die man als Zuschauer nur schwer erträgt. Ehemann Vedat zerrt seine Ehefrau Nefes an den Haaren ins Schlafzimmer, wirft sie aufs Bett. Dann bricht er ihr die Finger. Er hält ihr den Mund zu während sie wimmert, die Augen starr vor Entsetzen. Minutenlang dauert diese brutale Sequenz. Sie ist der Auftakt zur türkischen TV-Serie "Erzähle, Schwarzes Meer", die im letzten Jahr die meistgesehene Serie in der Türkei war. Frauenrechtsaktivistin Fidan Ataselim hält sie für brandgefährlich:
"Das ist eine furchtbare Serie: männerdominiert, rückschrittlich und frauenverachtend. Noch gestern wurde in den Nachrichten berichtet, dass ein kleines Kind bei der Fernsehbehörde angerufen habe und forderte, dass diese Serie abgesetzt wird. Denn sein Vater schaue sich die Serie immer an und wende anschließend die gleiche Gewalt gegen seine Mutter an. Das zeigt eigentlich alles. Es gibt viele Serien wie diese, die ein Klima der Gewalt verbreiten. Das stachelt die Leute an und das spiegelt sich direkt im Leben der Frauen wieder."
Harte Gewaltszenen ohne rechtliche Konsequenzen
Ataselim macht mit ihrer zivilgesellschaftlichen Bewegung "Frauenräte" auf Serien wie diese aufmerksam, startet Protestkampagnen. Denn Gewalt gegen Frauen ist ein ernstes Problem in der Türkei. Allein im letzten Jahr wurden 440 Frauen durch Männer getötet, mindestens eine von drei Türkinnen hat in ihrem Leben Gewalt erlebt. Viele Fernsehserien manifestieren diese Zustände, zeigen Gewalt gegen Frauen als etwas Alltägliches. Trotzdem verhängt die Fernsehbehörde dagegen allerhöchstens geringe Geldstrafen, klagt Aktivistin Ataselim:
"Was wird von der Fernsehbehörde in den Serien zensiert oder unkenntlich gemacht? Alkohol und Zigaretten. Doch in Szenen, die Gewalt gegen Frauen, Waffen und Morde zeigen, wird überhaupt nicht eingegriffen. Weil das in der Gesellschaft als etwas gilt, das halt passieren kann. Das offenbart die Scheinheilichkeit der Fernsehbehörde."
Brutalität bringt Quote
Auch die Produktionsfirmen der Serien zeigen sich uneinsichtig. Auf gewalttätige Szenen verzichten sie ganz bewusst nicht, meint Fernsehwissenschaftlerin Seda Kandemir von der Universität Istanbul:
"Gewalt gegen Frauen rettet die Drehbücher und sorgt für gute Einschaltquoten. Denn zum einen weckt die Gewalt Emotionen beim Zuschauer, zum Anderen appelliert sie an seine Anteilnahme, sein Gewissen. Zum Teil wird die Gewalt sogar gutgeheißen, je nachdem, wer sie anwendet. Etwa wenn eine weibliche Serienfigur ihren Mann ständig betrügt, lügt und andere Menschen schlecht behandelt – dann ist der Zuschauer stets der Meinung, dass sie diese Gewalt verdient hat."
Solche Drehbücher gelten in der türkischen TV-Branche als Erfolgsgarant – das kann Regisseur Mehmet Bahadir nur bestätigen. Er lehnte sich dagegen auf. Das hatte Konsequenzen für seine Karriere:
"Gewalt gegen Frauen, Kindesentführung, körperliche oder sexuelle Gewalt wird oft als Mittel verwendet, um Aufsehen zu erregen. Ich als Regisseur lehne es prinzipiell ab, solche Serien zu drehen. Vor einigen Jahren wurde mir von einer sehr polulären Produktionsfirma angeboten, Regisseur so einer Serie zu werden. Ich lehnte ab und erklärte auch meine Gründe dafür. Das fand man in der Branche sehr befremdlich."
Kritik am Justizsystem
Dass auch andere Geschichten möglich sind, zeigt die Serie "Der Hof". Ende Mai zeigte sie eine Szene, in der weibliche Häftlinge einen Staatsanwalt beschuldigen, nicht die weiblichen Opfer von Gewalt zu schützen, sondern die männlichen Täter. Zitiert werden dabei reale Fälle. In den sozialen Medien wurde die Szene überschwänglich als längst überfällige Kritik am türkischen Justizsystem gelobt.
Das ist immerhin ein Anfang und könnte den Serienmacherinnen und -machern eine Lehre sein, dass in der Türkei auch fortschrittliche, emanzipierte Geschichten für Quote sorgen können.