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Türkische Wahlkampfauftritte
Bundesregierung lehnt Verbote ab

Die Bundesregierung bleibt dabei: Sie will und wird keine Auftritte türkischer Politiker in Deutschland verbieten. Das wäre nicht sinnvoll, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Rechtlich hätte die Bundesregierung aber die Möglichkeit dazu.

    Blick aus dem Publikum: Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim steht auf einer Bühne und verabschiedet sich nach seiner Rede von den Besuchern. Er winkt, die Zuschauer schwenken türkische Fahnen.
    Yildirim bei seinem Wahlkampfauftritt in Oberhausen (dpa)
    "Wir glauben nicht, dass ein Einreiseverbot sinnvoll wäre", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. Er reagierte damit auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes. Die Karlsruher Richter hatten heute klargestellt: Ausländische Regierungspolitiker haben zumindest in amtlicher Funktion weder Einreise- noch Rederecht in Deutschland. Über ein eventuelles Verbot zum Beispiel von Wahlkampfauftritten müsse aber die Bundesregierung entscheiden. Der Bürger habe hier keine Möglichkeit, urteilten die Richter.
    Damit hat das Karlsruher Gericht eine Verfassungsbeschwerde eines Bürgers gegen den Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Yildirim in Oberhausen Mitte Februar zurückgewiesen. Der Mann konnte in den Augen der Richter in seiner Beschwerde nicht darlegen, inwiefern er durch Yildirims Auftritt in seinen Grundrechten eingeschränkt war.
    Grundrechte kontra Außenpolitik
    Die Bundesregierung hätte da allerdings andere Möglichkeiten. Laut Urteil kann sie "Staatsoberhäuptern und Mitgliedern ausländischer Regierungen" verbieten, nach Deutschland ztu kommen. Ein Anspruch auf Einreise lasse sich weder aus dem Grundgesetz noch aus dem Völkerrecht ableiten. Auch was das Rederecht angeht, können sich ausländische Politiker nur privat auf die Meinungsfreiheit berufen. Anders sieht das aus, wenn sie "in amtlicher Eigenschaft und unter Inanspruchnahme ihrer Amtsautorität" in Deutschland auftreten. Mit anderen Worten: Das Gericht unterscheidet zwischen Bürgern und Politikern - und dementsprechend zwischen Grundrechten und Außenpolitik.
    Gestützt auf das Urteil hatte die Fraktionschefin der Linken, Sarah Wagenknecht, die Bundesregierung zum Handeln aufgefordert. Diese müsse "Erdogans Propagandatour für Diktatur und Todesstrafe zumindest auf deutschem Territorium stoppen". Österreich und die Niederlande hätten das bereits getan. Die nächste Gelegenheit für die Bundesregierung wäre bereits heute: In Köln wird der türkische Sportminister Kilic erwartet. Nach Angaben der Polizei plant er in Köln mehrere Reden zum Putschversuch in der Türkei. Er nimmt an einer privaten Veranstaltung teil, die nicht angemeldet werden muss. Der türkische Außenminister Cavusoglu hatte zuvor erklärt, bis zum Verfassungsreferendum Mitte April solle es rund 30 weitere Auftritte von Politikern seines Landes in Deutschland geben. Zuletzt hatten mehrere Kommunalbehörden solche Veranstaltungen verboten.
    Neue Vorwürfe aus und gegen die Türkei
    Aus der Türkei kommen inzwischen neue Vorwürfe gegen Deutschland. Der stellvertretende türkische Ministerpräsident Canikli beschuldigte die Bundesrepublik, Österreich und die Niederlanden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen. Alle drei Staaten unterstützten Terroristen, die in seinem Land Unschuldige ermordeten, sagte er. Canikli wiederholte auch den an Deutschland gerichteten Nazi-Vergleich.
    Die Vereinten Nationen wiederum haben der Türkei schwere Menschenrechtsverletzungen bei ihrem Vorgehen gegen militante Kurden im Südosten des Landes vorgeworfen. In der Region gibt es regelmäßig Kämpfe zwischen PKK-Mitgliedern und türkischen Soldaten. Seit zweieinhalb Jahren kommt es dort laut UNO zu massiven Zerstörungen, Tötungen und anderen Menschenrechtsverletzungen durch die türkische Armee. Bis zu 500.000 Menschen sollen aus der Region vertrieben worden sein, rund 20.00 wurden demnach getötet. Grundlage für den Bericht der UNO sind Satellitenbilder, Interviews mit Opfern und Augenzeugen und Angaben von Nichtregierungsorganisationen. Die Türkei hatte den Vereinten Nationen nicht erlaubt, eigene Vertreter in die Region zu schicken.