Innenminister Süleyman Soylu spricht im Parlament, und in den Reihen der Opposition hämmern die Abgeordneten vor Wut und Frust auf ihre Pulte. Die Kurdenpartei HDP greift Soylu hier an - deren gewählte Bürgermeister hat seine Regierung überwiegend abgesetzt. Nun hätten die Terroristen nichts mehr zu lachen, höhnt Soylu: "694 Jahre und zehn Monate Haft haben eure Bürgermeister zusammen bekommen, das soll euch ein Denkzettel sein."
Ein knallharter Kurs in der Kurdenpolitik, dafür steht Soylu. Und nicht nur in dieser Frage: Nach dem Putschversuch vor knapp fünf Jahren zum Innenminister ernannt, leitete Soylu die Säuberungen im türkischen Staatsapparat, bei denen zehntausende vermeintliche Anhänger der Gülen-Bewegung entlassen, geächtet und eingesperrt wurden.
"Soylu ist eine autoritäre Figur"
Soylu war es, der den Ansturm von Flüchtlingen auf die griechische Grenze im vergangenen Frühjahr dirigierte und täglich die neueste Zahl der Grenzüberschreitungen verkündete. Die brachialen Polizeieinsätze gegen protestierende Studenten an der Istanbuler Bosporus-Universität tragen ebenfalls seine Handschrift, meint der Journalist Ruşen Çakır im kritischen Internetsender Medyascope:
"Süleyman Soylu hat sich ein klares Profil geschaffen: Er ist eine autoritäre Figur, ein Falke, ein Hardliner, der eine derbe Sprache spricht und zu jedem Thema etwas zu sagen hat, der andere ungeniert brandmarkt und sich selbst für nichts rechtfertigt."
Insofern ähnele Soylu seinem Chef, meint Çakır: dem türkischen Staatspräsidenten Erdoğan, der zugleich Vorsitzender der Regierungspartei AKP ist.
Wurzeln im national-konservativen Lager
Soylu stammt aber nicht aus dem islamistischen Lager von Erdoğan, sondern aus der national-konservativen Partei des früheren Innenministers Mehmet Ağar, der für die brutale Kurdenpolitik der 90er-Jahre stand. Heute gehört Soylu zwar der AKP an, doch wegen seiner politischen Herkunft wird er auch von deren Bündnispartner unterstützt, der nationalistischen MHP. In den Umfragen kommt seine Politik der eisernen Faust gut an: Soylu ist der beliebteste Regierungspolitiker der Türkei nach Erdoğan, und das mit großem Abstand.
Im letzten Frühjahr gingen die Menschen auf die Straße, um Soylu zu unterstützen. Denn Soylu hatte seinen Rücktritt eingereicht, weil er mit einem kurzfristig angekündigten Corona-Lockdown eine landesweite Panik verursacht hatte. Erdoğan nahm den Rücktritt nicht an und beließ Soylu im Amt – auf Druck des nationalistischen Koalitionspartners, wie in Ankara kolportiert wird, und auf Druck der Straße.
"Aussichtsreichster Kandidat für Erdoğans Nachfolge"
Soylu ging politisch gestärkt aus der Angelegenheit hervor – nichts anderes habe er bezweckt, meint Selim Koru von der Denkfabrik Tepav in Ankara: "Genau darauf hatte Soylu es mit seinem öffentlichen Rücktritt angelegt. Das konnte er tun, weil er so populär ist. Er ist auf jeden Fall der aussichtsreichste Kandidat für Erdoğans Nachfolge."
Nur einer machte Soylu bis vor Kurzem noch Konkurrenz, und das war Finanzminister Berat Albayrak. Albayrak ist zwar notorisch unbeliebt, aber er ist mit einer Tochter von Erdoğan verheiratet und galt deshalb als Kronprinz. Doch als er im Streit um seine glücklose Finanzpolitik vor ein paar Monaten selbst den Rücktritt anbot, ging das schief – Erdoğan nahm Albayraks Rücktritt an, der Kronprinz ist vorläufig weg vom Fenster.
Scharfer Kurs gegen den Westen
Ist Soylu also der kommende Mann? Sollte es so kommen, wäre das für die türkischen Beziehungen zu Europa und Amerika keine Verbesserung, meint der Experte Max Hoffman von der Denkfabrik Center for American Progress: "Soylu steht für eine äußerst reaktionäre und aggressive Strömung der türkischen Politik. Unter seiner Führung würde die Türkei auf einem scharf anti-westlichen Kurs bleiben."