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Türkischer Politikwissenschaftler
"Kalter Krieg zwischen der Türkei und Deutschland"

Mit der Inhaftierung des "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel in der Türkei und den Streit um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker in Deutschland sei das deutsch-türkische Verhältnis an einem absoluten Tiefpunkt angelangt, sagte der Politikwissenschaftler Hüseyin Bagci im DLF. Präsident Erdogan habe eine "politische Kampfrhetorik" gegenüber Deutschland etabliert.

Hüseyin Bagci im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Anhänger des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan halten in Köln Fahnen und ein Bild des Staatschefs.
    Bagci geht davon aus, dass sich die Konfrontation zwischen Berlin und Ankara in den kommenden Tagen weiter verschärfen wird. (dpa-Bildfunk / Henning Kaiser)
    Tobias Armbrüster: Es war ein Auftritt des türkischen Präsidenten Erdogan, der es in sich hatte, und es war eine Rede, die wahrscheinlich an diesem Wochenende nicht nur in Berlin noch einmal ganz genau seziert und auseinandergenommen wird. Erdogan hat sich in dieser Ansprache direkt in den juristischen Streit um Deniz Yücel eingeschaltet, der Journalist ist nach Worten Erdogans ein, so wörtlich, deutscher Agent, und als Repräsentanten der PKK hat er ihn gebrandmarkt. Wir können davon ausgehen, dass der Streit zwischen Ankara und Berlin jetzt noch einmal an Schärfe zunimmt.
    Und am Telefon begrüße ich jetzt den Politikwissenschaftler Hüseyin Bagci, er lehrt internationale Beziehungen an der Universität Ankara. Schönen guten Tag, Herr Bagci!
    Hüseyin Bagci: Danke sehr!
    Armbrüster: Herr Bagci, nur um das vorab einmal zu klären: Wie schätzen Sie das als türkischer Beobachter ein, ist Deniz Yücel ein deutscher Agent und PKK-Terrorist?
    Bagci: Das kann ich nicht wissen, das ist eine Aussage des Staatspräsidenten und wenn er so argumentiert, dann sollte er es wissen. Aber ich kann es nicht entweder bestätigen oder verneinen.
    Armbrüster: Was führt Präsident Erdogan zu dieser Rhetorik? Was hat er im Sinn?
    Bagci: Also, zum ersten Mal haben wir in den deutsch-türkischen Beziehungen seit 1949 so einen Tiefpunkt erreicht und wir können nicht die Tiefe der Schlucht sehen. Und besonders die letzte Aussage des Präsidenten wird weiterhin die deutsch-türkischen Beziehungen eskalieren lassen, und ich sehe noch mehr Konfrontation in den kommenden Tagen als eine Kooperation. Ich denke, der türkische Präsident benutzt das jetzt auch für die innertürkische Diskussion, und ich denke, dass er mit Deutschland auf einen Konfrontationskurs geht. Es wird nicht gut, weder für die Türkei, noch für Deutschland.
    "Deniz Yücel ist ein Alibi"
    Armbrüster: Können Sie uns das etwas genauer erklären? Was hat dieser Konfrontationskurs für einen Nutzen für Präsident Erdogan?
    Bagci: Erdogan versucht jetzt, beim Referendum ein Ja zu bekommen, deswegen mobilisiert er alle Kräfte im Lande, aber auch der Deniz-Yücel-Fall bietet ihm eine Möglichkeit, den Kampf gegen PKK weiterzuführen und gleichzeitig zu sagen, dass diejenigen, die Nein sagen, die sind, die den Terror unterstützen. Deswegen denke ich, Deniz Yücel ist hier ein Alibi in dem Sinne, um von dem türkischen Präsidenten für innenpolitische Diskussionen benutzt zu werden. Und er macht das seit gestern, würde ich sagen, mit großer Genugtuung und er wird des Weiteren auch hinterher kommen und sagen, weiterlaufen lassen und in dieser Frage mit Deutschland auf Konfrontationskurs gehen.
    Armbrüster: Wenn man sich diese Reden, auch die vorvergangenen Reden der vergangenen Tage so anhört, dann hat man ja leicht den Eindruck, der türkische Präsident betrachte Deutschland inzwischen als so eine Art Feind, als feindliches Land. Wie weit verbreitet ist so eine Art zu denken in der Türkei?
    Bagci: Das habe ich auch in meinem Artikel geschrieben von heute. Es ist eine Perzeption, die natürlich nicht die Wahrheit darstellt. Es ist eine politische Aussage, ist eine politische Kampfrhetorik, was Herr Erdogan immer gerne gemacht hat und machen wird. Schon voriges Jahr hat er ja auch solche Konfrontationen mit dem Kabarettisten. Und Erdogan, würde ich sagen, macht das mit Absicht, Deutschland auf diese Linie zu bringen und höchstwahrscheinlich auch die Stimmen in Deutschland für sich zu gewinnen. Und wie wir wissen, von diesen 1,4 Millionen stimmberechtigten Türken, etwa 70 Prozent stimmen für ihn. Und ich denke, durch diese Rhetorik wird er vielleicht dieses Mal noch höhergehen. Aber in der Türkei, die Meinung, dass Deutschland Feind der Türkei ist, ist nicht weit verbreitet. Das ist eine neue Entwicklung, das ist eine neue Rhetorik. Und ich denke, das wird die Köpfe beider Seiten sehr viel zerbrechen. Aber Tayyip Erdogans Wahl, Deutschland als Feind zu nennen und Unterstützer der PKK, ist eine neue Entwicklung, er hat das nie so offen und klar gesagt, wie es jetzt der Fall ist. Das ist etwas Neues.
    Armbrüster: Wird das den Beziehungen langfristig Schaden zufügen oder ist das möglicherweise alles wieder vergessen, wenn das Referendum einmal vorbei ist?
    "Erdogan wird die Lage noch weiter eskalieren lassen"
    Bagci: Ich denke, es wird darauf ankommen, wie Deutschland darauf reagiert, ob Deutschland das auch als Konfrontationskurs sieht und darauf reagiert. Das würde ich aber nicht erwarten, dass Deutschland mit Tayyip Erdogan so viel auf diese Politik eingehen wird. Frau Merkel wird, würde ich sagen, noch vernünftige Aussagen machen. Aber wenn es vorbei ist, das Referendum, dann würde Tayyip Erdogan nichts darauf verzichten. Ich erwarte nicht, dass jetzt die türkisch-deutschen Beziehungen so eine Linie bekommen, aber Tayyip Erdogan merkt auch, dass Frau Merkel vielleicht die Wahlen verlieren wird, und dementsprechend – zum ersten Mal möchte ich dieses Wort benutzen – Merkel-Bashing machen. Das heißt, Deutschland und Frau Merkel sowohl im Lande, aber auch im internationalen Bereich als Terroristenunterstützer weiterhin nach seiner Meinung erfüllen wird.
    Armbrüster: Das heißt, wir müssen da noch mit weiteren ähnlichen deutlichen Worten von Präsident Erdogan rechnen in den kommenden Tagen, beim Stichwort Merkel-Bashing, wenn Sie es so nennen?
    Bagci: Das auf jeden Fall, das auf jeden Fall. Nach meiner Analyse wird Tayyip Erdogan die Lage weiter eskalieren lassen, bis zum Referendum auf jeden Fall. Und ich erwarte auch in der Türkei sogar antideutsche Diskussionen in den kommenden Tagen. Es gibt einige Abgeordnete im Parlament, die schon jetzt dafür plädieren. Ich sehe, dass wir einen neuen Kalten Krieg zwischen der Türkei und Deutschland haben, und das wird wie gesagt für beide Seiten sehr negative Resultate bringen. Aber vor allem wird die Türkei verlieren, das ist meine Meinung.
    Armbrüster: Deutliche Worte, und wir werden das natürlich ganz genau verfolgen. Hüseyin Bagci war das, Politikwissenschaftler an der Universität Ankara. Vielen Dank, Herr Bagci, für das Gespräch!
    Bagci: Ich danke Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.