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Türkischer Wahlkampf
"Der Auftritt ist das eine, der wahre Charakter ist das andere"

Zwar sei der türkische Sportminister bei seinem Auftritt in Köln gestern moderater aufgetreten als erwartet, das sei aber nicht als Zeichen der Zurückhaltung der Türkei zu werten, sagte der SPD-Politiker Serdar Yüksel im DLF. Denn gestern seien die absurden Nazi-Vergleiche vonseiten der Türkei erneut wiederholt worden.

Serdar Yüksel im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Das Bild zeigt den türkischen Sportminister Akif Cagatay Kilic seitlich. Neben ihm steht seine Frau Eda. Sie sind am am 10.03.2017 in Köln auf einer Veranstaltung mit dem Titel "Helden unter uns - 15. Juli" auf der Bühne.
    Der türkische Sportminister Akif Cagatay Kilic während seines Auftrittes in Köln. (dpa-bildfunk / Henning Kaiser)
    Jürgen Zurheide: Das deutsch-türkische Verhältnis, präziser: das Verhältnis der Regierung Erdogan zur politischen Vertretung in Deutschland ist einigermaßen zerrüttet. Da gibt es auf der einen Seite Nazivorwürfe, und auf der anderen Seite sehen wir überwiegend die Türkei auf dem Weg in eine Diktatur. Das ist jetzt die Kurzfassung, etwas länger ausgeführt ist es sicher differenzierter, aber das führt genau zu den Problemen, die wir in diesen Tagen haben und allenthalben beobachten. Darüber wollen wir reden mit Serdar Yüksel für die SPD im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Erst mal: Guten Morgen, Herr Yüksel!
    Serdar Yüksel: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Yüksel, wir haben jetzt gehört, dass gestern der türkische Sportminister in Köln aufgetreten ist, und – ich sag’s mal mit meinen Worten, auch in der Kurzfassung – etwas moderater aufgetreten ist. Ist das ein Zeichen von Hoffnung, wie bewerten Sie das?
    Yüksel: Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass jetzt eine Zeit der Entspannung und eine Rücknahme oder Zurückhaltung der Türkei zu beobachten ist. Gleichzeitig hat es gestern wieder Äußerungen in der Türkei und aus der Türkei gegeben, wo die absurden Vergleiche von Nazimethoden oder -verbrechen gegen die Menschlichkeit wiederholt worden sind. Der Auftritt ist das eine, der wahre Charakter ist das andere, und das haben wir gestern in den türkischen Nachrichten trotzdem beobachten und hören und lesen können.
    Zurheide: Welche Konsequenzen das haben kann, werden wir gleich noch diskutieren, ich will im Moment noch bei diesem Auftritt des Sportministers gestern bleiben. Er hat ja dann auch gesagt, bezogen auf die Deutschen, auch vor allen Dingen Journalisten, die im Saal waren: Unser deutscher Blick auf den Putsch sei einseitig und falsch. Ist da was dran?
    Yüksel: Nein, das glaube ich nicht, weil die Türkei natürlich auch Belege schuldig geblieben ist. Sowohl der Untersuchungsausschuss, der im türkischen Parlament war, aber auch Äußerungen der türkischen Regierung sind nicht durch Fakten untermalt worden. Wir wissen bis heute nicht, unter welchen Umständen dieser Putsch tatsächlich stattgefunden hat, wer der Kopf der Putschisten ist, wer tatsächlich die Hintermänner des Putsches waren. Und weder die deutsche Bundesregierung noch eine andere Regierung hat tatsächlich Fakten und Daten oder Beweismaterial bekommen, die die Behauptung rechtfertigen würde, dass hinter diesem Putsch die sogenannte FETO-Bewegung stehen würde.
    "Seit gestern habe ich das Bundesverfassungsgericht auf meiner Seite"
    Zurheide: Sie plädieren ja auch deutlich für Auftrittsverbote von türkischen Politikern hier – warum?
    Yüksel: Erstens habe ich jetzt seit gestern das Bundesverfassungsgericht auf meiner Seite, das ganz klar gesagt hat, die Regierung kann ausländischen Politikern die Einreise und Auftritte verbieten, und das ist gestern noch mal klargestellt worden: Es gibt kein Einreise- und Rederecht. Zweitens, politisch gesehen würde ich sagen, eignet sich Deutschland als Demokratie, als ein Land, wo es Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit gibt, nicht dafür, um für die Einwerbung einer Diktatur hier aufzutreten. Und das würde am 16. April passieren, wenn das Referendum eine Mehrheit erhält.
    Zurheide: Auf der anderen Seite gibt es türkische Journalisten wie zum Beispiel Can Dündar, der inzwischen in Deutschland lebt, leben muss, weil er in der Türkei bedroht ist, das wissen wir. Selbst er sagt, nein, Auftrittsverbote helfen nicht weiter, weil das hat was zu tun mit freier Rede, und das muss man ertragen können in einer Demokratie. Diese Argumente überzeugen Sie nicht – warum nicht?
    Yüksel: Ja, weil die Demokratie natürlich eine wehrhafte Demokratie sein muss und weil die Demokratie auch ihre Feinde kennen muss. In der Türkei beobachten natürlich diejenigen, die nicht für ein Ja beim Referendum sind, wie die europäischen Staaten mit dieser Situation umgehen, ob sie dieser Regierung ganz klar ein Halteschild entgegensetzen und sagen, das geht so nicht, und eine wertige Außenpolitik machen. Ich glaube, dass diese Art Appeasement-Politik gegenüber der türkischen Regierung, gegenüber Erdogan ganz klar in den letzten Jahren noch gescheitert ist. Wir werden in der Außenpolitik und im Verhältnis zur Türkei, das sich zweifelsohne auf einem Tiefpunkt befindet, nicht ernst genommen.
    "Die Demokratie muss auch ihre Feinde kennen"
    Zurheide: Auf der anderen Seite steht natürlich die Frage im Raum, dass manche sagen, gerade wenn wir hart reagieren und zum Beispiel so ein Auftrittsverbot durchsetzen, nutzt das eher Erdogan in seinem Land, weil er das wieder instrumentalisiert und damit eher vielleicht die Menschen um sich scharrt unter der Überschrift: Schaut an, wie die mit uns umgehen. Und der Feind im Ausland hilft im Inland oft, solche Dinge durchzusetzen. Ist das Argument falsch?
    Yüksel: Ja, zum Teil schon. Man muss sagen, wenn dieser Vorwurf gemacht wird und wenn es diesen Vorwurf nicht gebe, gebe es einen anderen Vorwurf. Wir haben es mit einer jetzt schon gleichgeschalteten Presse zu tun, mit einer Abschaffung der Gewaltenteilung, mit Massenverhaftungen und ähnlichen Dingen. Sollen wir da sagen, liebe Leute aus der Türkei, zur Regierung, kommt hierhin und macht eure Auftritte für die Einführung einer Diktatur. Ich bin eher jemand, der sagt, wir brauchen eine wehrhafte Demokratie, und die Demokratie muss auch ihre Feinde kennen, und deshalb muss es auch diesen internationalen Anspruch geben, zu sagen, es kann uns nicht egal sein, wenn in einem besonderen Nachbarland oder in einem Partnerland wie der Türkei eine Diktatur eingeführt wird. Da müssen wir auch klar sagen, dafür steht Deutschland nicht bereit.
    Zurheide: Was heißt das aber alles, wenn wir da jetzt einen Strich drunter ziehen für das deutsch-türkische Verhältnis? So, wie es sich im Moment entwickelt, sagen Sie, haben wir kaum eine Chance, das noch mal zu reparieren?
    Yüksel: Zwei Dinge würde ich dazu sagen. Das Erste ist: Ich glaube, dass der Tiefpunkt der deutsch-türkischen Beziehungen noch nicht erreicht ist. Das zweite Stöckchen, was uns hingehalten wird nach dem Referendum, was ich glaube, dass es so oder so erfolgreich sein wird, entweder legal oder illegal – ich bin mir relativ sicher, dass das Referendum nicht fair und legal ablaufen wird. Das zweite Momentum ist aber, dass wir mit denjenigen, die nicht für Erdogan und für diese Regierung sind, dass wir mit denen im Gespräch bleiben müssen.
    Wenn 50 oder 51 oder 52 Prozent für Erdogan sind, dann sind immerhin fast 50 Prozent auch gegen Erdogan und gegen diese Verfassungsänderung. Und mit diesen fortschrittlichen linken Kräften müssen wir in der Türkei im Gespräch bleiben, dürfen den Gesprächsfaden auch nicht abreißen lassen. Das gilt insbesondere auch für die Gruppierung, die wir in Nordrhein-Westfalen haben, die demokratisch sind, die unsere Werte hier leben, die die Freiheit, die die Gerechtigkeit, die auch Rechtsstaatlichkeit natürlich nach wie vor propagieren, und das ist immerhin auch fast die Hälfte der Menschen hier in Nordrhein-Westfalen.
    "Erdogan hat es geschafft, die türkische Community hier zu spalten"
    Zurheide: Geben Sie mir einen Einblick in die Community – das können Sie natürlich viel besser beurteilen, als ich das beurteilen kann: Wie ist die Stimmung im Moment in Deutschland, wie aufgeheizt? Das liest man allenthalben, ist diese Beschreibung richtig, dass da auch viel härter man gegeneinander vorgeht und dass man sich nicht mehr versteht?
    Yüksel: Ja, Erdogan hat es tatsächlich geschafft, die türkische Community hier zu spalten. Die Diktion, willst du nicht mein Bruder sein, so schlage ich dir den Schädel ein, das ist so ein bisschen die Mentalität von Erdogan, und diese Mentalität hat sich sehr auf die türkische Community übertragen. Der Riss geht durch Freundschaften, der Riss geht durch Familien, der Riss geht durch Arbeitskollegen. Das ist eine so vergiftete Atmosphäre unter den Türkeistämmigen hier, dass man sich nicht mehr normal unterhalten kann.
    Hier werden Leute bespuckt, verunglimpft oder auch beschimpft, wenn sie als Kurde oder wenn sie als sogenannte FETO-Anhänger klassifiziert werden, oder wenn es Kritik an Erdogan gibt, dann wird man als Verräter gebrandmarkt. Das ist mir gestern noch in der Stadt passiert, wo jemand an mir vorbeigegangen ist und aufgrund einer Berichterstattung mich als Verräter beschimpft hatte, mit einem ganz bösen Blick.
    Das sind natürlich so die Dinge, die gehen nicht. Wir leben in einer freiheitlichen Demokratie, hier gehört die Pluralität der Meinung dazu, aber bitte nicht die Werbung für die Einführung einer Diktatur.
    Zurheide: Jetzt komme ich noch mal darauf zurück: Wie kann man diese Stimmung brechen? Sie haben gerade gesagt, ja, wir müssen in die Türkei reisen, wo ich Sie im Moment wahrscheinlich gar nicht fragen kann, ob Sie noch in die Türkei reisen würden – mal eben die Klammer auf: Reisen Sie im Moment in die Türkei?
    Yüksel: Ich würde mein Glück gegenwärtig nicht zu sehr herausfordern wollen, und ich muss nicht einen zweiten Fall Yücel heraufbeschwören – das ist auch so ein Mysterium – und noch zusätzlichen konsularischen Schutz organisieren muss.
    "Ein Dialog mit den Anhängern von Erdogan ist sehr, sehr schwierig"
    Zurheide: Damit werden aber doch die Möglichkeiten einzuwirken geringer, das heißt auf der anderen Seite, um doch mal darauf noch mal zurückzukommen, hierzulande, wie kann man diese Polarisierung aufbrechen?
    Yüksel: Also ein Dialog mit den AKP-Anhängern und Anhängern von Erdogan ist sehr, sehr schwierig, und ich glaube, dass die deutsche Bundesregierung und die deutsche Politik gut beraten ist, sehr offen und sehr klar, so wie es Sigmar Gabriel letzte Woche Mittwoch auch gemacht hat. Es war ja bemerkenswert, dass es – das hat es ja vorher noch nie gegeben – keinen gemeinsamen Auftritt von zwei Außenministern aus den beiden Ländern gegeben hat, ganz klar auch mit seinem Außenminister Cavusoglu ohne Kollegium Mittwoch auch kommuniziert hat.
    Ich glaube, dass man der Türkei ganz klar sagen muss, wenn ihr den Tourismus wieder ankurbeln wollt, wenn ihr den wirtschaftlichen Niedergang aufhalten wollt, dann könnt ihr nicht auf der einen Seite eine Diktatur in der Türkei einführen und auf der anderen Seite auf gute nachbarschaftliche Beziehungen zur Europäischen Union und zu Deutschland aufbauen.
    Und deshalb bin ich sehr dafür, dass das Verhalten der türkischen Regierung Konsequenzen haben muss, aber wir müssen mit denen in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland mit den fortschrittlichen Kräften – mit den Gewerkschaftern, mit den Kurden, mit den Aleviten, mit denen, die säkular sind und sich den demokratischen Werten, die es auch in der Türkei ja nach wie vor noch gibt, verbunden fühlen, mit denen müssen wir im Gespräch bleiben, die dürfen wir auch nicht in einen Topf mit den AKP-Anhängern werfen.
    Zurheide: Was heißt das übrigens für die doppelte Staatsbürgerschaft? Da gibt es so Vorschläge von Herrn Röttgen heute, zum Beispiel, dass man das eigentlich nicht mehr weiterführen sollte, weil das keine positiven Ergebnisse gebracht hätte. Sehen Sie das ähnlich, oder ist die Haltung falsch?
    Yüksel: Man muss ganz selbstkritisch sagen, dass die doppelte Staatsbürgerschaft nicht dazu geführt hat, dass es eine integrationsfördernde Maßnahme war. Viele fühlen sich sozusagen nach wie vor auch noch ganz massiv zur Türkei verbunden. Man sollte sich genau noch mal anschauen und beobachten – ich will das Kind da jetzt nicht mit dem Bade ausschütten, ich jedenfalls rate aber Privatpersonen, die die Staatsbürgerschaft beantragen, nicht die doppelte Staatsbürgerschaft anzustreben, weil man völkerrechtlich bei Problemen in der Türkei keinen Anspruch auf konsularischen Schutz oder Rechtsschutz durch Deutschland hat. Deshalb ist mein privater Rat an Leute, die mich fragen zur doppelten Staatsbürgerschaft, dann sag ich, mach’s lieber nicht, könnte gefährlich werden.
    Zurheide: Und Beitrittsverhandlungen der EU, lässt man diese Fiktion stehen oder ist es nur eine Fiktion?
    Yüksel: Es ist eine Fiktion, es ist aber auch kein gutes Signal in die Türkei hinein. Die autokratische Regierung in der Türkei kann auch sagen, seht her, wir können machen, was wir wollen, und die Beitrittsgespräche gehen weiter. Die Artikel 23 und 24 zur Rechtsstaatlichkeit und zu Menschenrechten sind ja auch angesichts der Vorwürfe, die die UN-Menschenrechtskommission gegenüber der Türkei ja gemacht hat – mit über 2.000 getöteten Zivilisten und 500.000 Vertriebenen im Südosten der Türkei – allein auch Grund genug, um diese Gespräche zu suspendieren und die Beitrittshilfen damit natürlich auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.