"Das ist das Röntgenbild des Knies der 11-jährigen Sarah, Sarah spielt bei Real Madrid in der Jugendauswahl Fußball, und sie hat seit 6 Monaten ungefähr belastungsabhängige Schmerzen im Knie, und einen Monat vor Diagnose kam auch eine Schwellung hinzu."
Solche Schmerzen sind bei Kindern in Sarahs Alter eigentlich nicht weiter besorgniserregend. Doch wenn sie länger als vier Wochen anhalten und gerade wenn die schmerzende Stelle auch noch anschwillt, ist Vorsicht geboten, sagt Stefan Burdach, der ärztliche Direktor der Kinderklinik München-Schwabing. Es kann sich – wie bei Sarah – um einen Tumor in den Knochen, ein Osteosarkom handeln.
"Das ist deshalb so wichtig, weil das Osteosarkom ein sehr bösartiger Tumor ist, der zu einer sehr frühzeitigen Bildung von Streukrebs, insbesondere in der Lunge, neigt und dadurch werden die Heilungschancen ganz schlecht. Insgesamt, wenn das Osteosarkom rechtzeitig erkannt ist, gibt es heute durchaus gute Heilungschancen, wir können über zwei Drittel der Patienten heilen."
Dazu ist es erforderlich, den Krebs in die Zange zu nehmen: Zum einen entfernen die Ärzte den Tumor. Zum anderen müssen sie Metastasen per Chemotherapie angehen. Die Behandlung ist Routine, wie der Krebs aber genau entsteht, das lag bis vor kurzem im Dunkeln, sagt Professor Manuela Nathrath, Direktorin der Kinderonkologie am Klinikum Kassel:
"Es ist eben sehr schwierig Veränderungen, die – ich sage jetzt einmal – Schuld sind an der Tumorentstehung, zu unterscheiden von denen, die im Rahmen der Ausbreitung des Tumors zusätzlich erworben werden, ohne dass sie tatsächlich dazu beitragen an der Tumorausbreitung."
Tumor mit speziellem genetischen Muster
Manuela Nathrath und ihre Kollegen haben jetzt bei Knochentumoren von 123 Patienten genau untersucht, wie die Erbanlagen verändert sind. Mehrere der Gene, die Krebszellen daran hindern, sich zu vermehren, sind im Osteosarkom kaputt. Einige kennen die Forscher schon seit längerem.
"Aber was neu und bisher nicht beschrieben war, ist, dass dieser Tumor auch ein spezielles Muster aufweist, ein komplexes, genetisches Muster, das man bisher nur kannte von Tumoren von Patientinnen mit erblichem Brustkrebs und Gebärmutterkrebs."
Konkret handelt es sich um Veränderungen in den Genen BRCA 1 und 2. Sie spielen beim gesunden Menschen eine wichtige Rolle dabei, Gen-Defekte zu reparieren, indem sie zerbrochene DNA wieder zusammenfügen.
"Das ist deswegen so spannend und interessant, weil es eben auch neue Therapiemöglichkeiten eröffnet."
Hinter dem neuen Therapieansatz steckt das Konzept der Synthetic lethality. »Synthetisch« bedeutet in diesem Fall, dass eine Zelle dadurch stirbt, dass zwei Schutzmechanismen gleichzeitig ausfallen, die beide dieselbe Funktion erfüllen. In den Osteosarkom-Zellen ist der BRCA-Mechanismus defekt, aber der zweite Reparaturmechanismus erhält die Krebszellen am Leben. Bei ihm fügt ein Enzym namens Poly(ADP-ribose)-Polymerase – kurz PARP – die zerbrochenen Erbgutketten wieder zusammen.
Ziel: nur die Tumorzellen vernichten
Mithilfe von Medikamenten können Ärzte dieses Enzym ebenfalls ausschalten. Sie nehmen der Krebszelle also alle Möglichkeiten, sich am Leben zu erhalten. Diese Methode hat außerdem den Vorteil:
"Dass man sozusagen besser als eine Chemotherapie, die ja auch normale Zellen in Mitleidenschaft zieht, sich hier ein Prinzip zunutze machen kann, das nur die Tumorzellen vernichtet."
Denn die gesunden Zellen können sich mithilfe des BRCA-Mechanismus retten. Das schont die Patienten. Für Brust- und Gebärmutterkrebs sind diese Mechanismen schon länger bekannt. Für diese Krebsarten sind seit kurzem erste Medikamente zugelassen, die auf dem Prinzip der Synthetic Lethality beruhen, sagt Manuela Nathrath:
"Das ermöglicht natürlich die Option, dass vielleicht auch Osteosarkom-Patienten von dieser Therapie profitieren. Aber dazu muss man sagen, das sind bisher tatsächlich theoretische Überlegungen. In der Kinderonkologie machen wir uns oft Hoffnungen die magic bullet, also das Medikament gefunden zu haben, das jetzt wirklich einen Unterschied macht, was das Überleben anbelangt. Aber das muss natürlich jetzt erst noch mal überprüft werden."