Christoph Reimann: Herr Grönemeyer, Sie haben jetzt einiges an deutscher Geschichte miterlebt und das schlägt sich auch in ihrer Musik nieder. Mauerfall, Rostock Lichtenhagen und jetzt diese merkwürdige ungewisse Zeit, in der wir uns gerade befinden - das ist das Thema des neuen Albums. Und der Veröffentlichungstermin von "Tumult" - der 9. November – ein sehr deutsches Datum das ist doch dann wahrscheinlich auch kein Zufall oder?
Herbert Grönemeyer: Doch! Wir maßen uns nicht an, uns da einreihen zu wollen. Das ist ein Zufall, dass das jetzt auf den 9. fällt. Ich weiß um den Tag Mauerfall und Reichspogromnacht und... Nein, das ist Zufall, aber ich bin mir bewusst, dass meine Platte nicht so wichtig ist. Aber das Datum ist wichtig.
Reimann: Das zeigt die guten und auch die schlechten Seiten des Landes?
Grönemeyer: Ja, das ist ein sehr zwiespältiger Tag, aber das ist nun mal so, dass eine Platte immer an einem Freitag veröffentlicht wird und deshalb ist jetzt hier in dem Falle auf den 9. gefallen, das war reiner Zufall und keine Berechnung.
Reimann: 1993 haben Sie das Album "Chaos" veröffentlicht und jetzt erscheint das Album "Tumult". Auf beiden Platten geht es um Deutschland. Ist "Tumult" ja sowas wie die Steigerung für sie von "Chaos"?
Die Zeiten sind subtiler
Grönemeyer: Es ist vielleicht ein bisschen so. Also "Chaos" war klarer damals nach der Wiedervereinigung, durch Rostock, durch die Brandanschläge. Da habe ich versucht natürlich, auch mit "Die Härte", aber auch mit der Wiedervereinigung mich auseinanderzusetzen - auf Grönland. "Tumult" - die Zeiten sind subtiler, breiter und nervöser, würde ich sagen, als damals. Aber viele Dinge ähneln sich natürlich auch.
Reimann: Ja, die Zeiten sind subtiler sagen sie und deshalb ist es vielleicht auch eine Platte ohne krasse Parolen geworden?
Grönemeyer: Ich glaube auch, dass Parolen in dem Sinne nicht helfen. Ich glaube schon, dass ich in meinen Liedern explizit bin. Also wie ihn in "Bist du da" oder auch im "Fall der Fälle" oder auch selbst in "Taufrisch". Ich glaube, es geht im Moment eher um Haltung, es geht um eine Gesellschaft, die sich überlegen muss, was wollen wir, was wollen wir nicht. Wie wollen wir aussehen, egal, von welcher politischen Richtung wir kommen. Ob wir jetzt linksliberal sind oder wertkonservativ. Wir alle sind aufgerufen, jetzt für dieses Land, für die 80 Millionen Mensch ein Klima, eine Kultur zu schaffen, in der alle sicher und offen leben können. Und wir alle müssen uns klar positionieren gehen Rechts.
Reimann: Und wie sehen Sie Ihre Rolle darin? Ihre Musik wird von Tausenden Menschen gehört?
Glaube an die aufgeklärte humanistische Gesellschaft
Grönemeyer: Ich habe meine Rolle, ich bin halt Musiker. Ich bin für den musikalischen Teil zuständig. Und ich glaube, ich kann für Dinge trommeln - ich habe eine Öffentlichkeit. Ich kann Dinge sagen und kann Menschen Mut machen und mir selber auch - muss ich sagen, weil mit meiner Musik mich zu positionieren und und zu helfen, das das… wir durch eine Phase jetzt auch für die Politik. Sicherlich ein bisschen schwankt jetzt Frau Merkel auch, sich überlegt hat doch zurückzutreten - Stück für Stück, dass wir nicht unruhig werden, nervös werden. Und ich glaube an die Gesellschaft, ich glaube, wir sind stark genug und auch humanistisch und aufgeklärt genug, mal selber das Zepter in die Hand zu nehmen, zu sagen: Okay, wir machen das zusammen, gemeinsam schaffen wir hier - behalten wir das Land unter Kontrolle und fahren das durch die nächsten zehn Jahre.
Reimann: Dieses Wir, das sie gerade angesprochen haben, das taucht ja auch in einem Song auf: "Leichtsinn und Liebe", für Angst haben wir die falschen Nerven. Wir also von der Substanz her sind wir ein perfektes Team. Wer ist dieses Wir, das sie da vor Augen hatten?
Grönemeyer: Ja, das sind die Menschen… Es gab eine für mich historische Phase, nämlich, dass die Gesellschaft als die Flüchtlingsbewegung war und dass wie die Menschen den Geflüchteten entgegengetreten sind hier in Deutschland auch, wie sie sich auch nach wie vor der millionenfach um Geflüchtete kümmern - das ist eine große Geste. Das hat die Politik dann einfach wenn nicht weiter begriffen, dass sie das auch weiter artikulieren müssen und Menschen in Kenntnis setzen, was eigentlich passiert und wo die Probleme liegen, aber die Gesellschaft als solches ist - finde ich - sehr sehr erwachsen oder geht sehr erwachsen mit diesem Thema um.
Öffentlichkeit finden für den großen Block der gemäßigten Stimmen
Reimann: Wünschen Sie sich mehr Stimmen aus der Kultur?
Grönemeyer: Ich glaube, ich wünsche mir Stimmen von allen. Also ich wünsche mir Stimmen vom Radio, von Journalisten, von Kulturschaffenden, aber auch von allen anderen Menschen. So wie es jetzt hier bei - es gab eine große Demo hier in Berlin die hieß "Unteilbar" wo 250.000 Menschen auf die Straße gegangen sind. Das ist für mich schon genau die Geste, die zeigt, was man will und was man nicht will. Insofern glaube ich, wo findet aber die Öffentlichkeit statt - und ich glaube, im Netz im Moment finden sehr viele rechte Pöbeleien und Wutausbrüche statt. Wie kann der große Block der gemäßigten und klaren und humanistischen Menschen Öffentlichkeit finden - das ist sicherlich das größte Problem und Thema.
Reimann: Ja, aber wie stellt man diese Öffentlichkeit her? Sie sagten, es ist nicht die Zeit für Parolen, aber man muss ja sagen die Rechten, die haben Parolen, die sie skandieren. Und wenn man jetzt auf Großdemonstrationen schaut, dann habe ich das Gefühl, na ja die Rechten, die haben die Parolen und den Gegendemonstranten, den vielen fehlen vielleicht aber auch Parolen, irgendwas, was man gemeinsam ausrufen kann - die können nicht mithalten.Gibt es auch die gute, die demokratische Parole?
Grönemeyer: Na ja, da wäre ich vorsichtig. Ich glaube, die Wucht, also wie man auch gesehen hat bei der Demo, war eben… dass das die Menschen sagen. Wir haben im Grunde genommen einen Geist, der uns alle eint. Nämlich wir wollen keine Ausgrenzung und wir wollen keinen Rechtsruck und wir wollen auch keinen Hass und Hatz. Sondern dieses Gepöbel von rechts will man nicht. Und nur deshalb, dass man jetzt nicht nur eine allgemeine Parole hat, glaube ich, heißt nicht, dass die Menschen sich nicht bewusst sind, dass sie aufstehen und Haltung beziehen.
Das Internet ist wie ein Spucknapf
Reimann: Es wird gejagt ohne Moral, singen sie in einem Song im "Fall der Fälle", den haben Sie auch schon angesprochen und das lässt mich an das Hetzjagd-Video aus Chemnitz denken. Sind die Songs denn so aktuell entstanden oder sind se ja vielleicht gespenstisch prophetisch?
Grönemeyer: Nein – die sind sicherlich auch aus dieser Gegenwart entstanden. Klar sind die entstanden, um zu sagen, es finden im Netz halt unglaubliche Wutausbrüche statt. Also das Internet ist wie ein Spucknapf - es gibt ganze Trolle und Maschinen, die also ununterbrochen versuchen eben nicht nur in Deutschland, sondern ich glaube weltweit, gerade im Netz Ängste zu schüren. Fakt ist, glaube ich, man muss sich Sorgen machen um die Gegenwart, aber Angst ist, glaube ich, der völlig falsche Ratgeber, weil um Angst geht es hier nicht. Wir lassen uns doch keine Angst einjagen! Egal, wie laut die brüllen und pöbeln und schreien das interessiert mich nicht. Oder wir machen uns Sorgen um eine Gesellschaft. Und ich denke, wenn man sich gemeinsam Sorgen macht, dann rückt man zusammen und nicht, dass man sich gegenseitig ausgrenzt. Sondern ich glaube die Gesellschaft muss in solchen Phasen, wo auch die Politik vielleicht ein bisschen vage ist und nicht ganz so klar - ist eine Gesellschaft auch in der Lage, sein Land mal über zehn Jahre selbst in die Hand zu nehmen und zu sagen, wir bleiben ruhig und wir machen klar, was wir wollen was wir nicht wollen.
Reimann: Mut machen - ist das das Thema des Albums?
Grönemeyer: Ja! Das ist der Versuch, kann man Widerstand - also ich hab gerade ein Magazin gemacht für "Die Zeit" – das Zeitmagazin - und da habe ich Freunde und Menschen gefragt, die mich interessieren: Was ist Leichtsinn oder was ist leichter Sinn? Und die Frau Gesine Schwan hat, finde ich, das wunderbar auf den Punkt gebracht. Die hat gesagt, leichter Sinn ist die Grundlage von Mut - Leichtsinn das Gegenteil. Also gerade dieser leichte Sinn ist die Grundlage von Mut - fand ich klasse. Das ist auch die Idee bei dem Album. Kann man sich positionieren, aufstehen und das aber auch leichtfüßig und ja fast gelassen und heiter. Und ich glaube, auch Haltung ist nicht verbunden gleich mit unbedingt nur mit Strenge und Härte.
Vertrauen in die Menschen
Reimann: Aber wie geht es Ihnen damit? Also fällt es Ihnen leicht mit diesem leichten Sinn auf Deutschland zu blicken?
Grönemeyer: Ja verrückterweise ja - weil ich habe ein Urvertrauen. Ich habe Vertrauen in die Menschen. Ich mag Menschen. Ich kenne Menschen genug, die sich engagieren. Ich weiß, wie Menschen denken. Das erlebe ich. Und ich lebe auch anders - wie alle anderen Unkenrufe sagen - ich lebe seit neun Jahren wieder in Berlin. Ich schaue positiv auf die Menschen. Ich glaube, die sind wacher und klarer und humanistischer als man gemeinhin verbreitet denkt.
Reimann: Wollen wir es hoffen. Herbert Grönemeyer haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Grönemeyer: Danke auch - Danke.
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