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Tunesien
Angst vor den radikalen Rückkehrern

Rund 7.000 Tunesier sollen Schätzungen zufolge seit 2011 ihre Heimat verlassen haben, um sich im Ausland Terrorgruppen anzuschließen. Etwa 800 von ihnen sollen bereits wieder zurückgekehrt sein. Die ausgebildeten Kämpfer verschärfen die Sicherheitslage im Land - und die tunesische Regierung fürchtet, dass noch mehr kommen werden.

Von Dunja Sadaqi |
    Polizisten stehen in einer Straße und bewachen die Umgebung.
    Tunesien steht seit den Anschlägen von Berlin in der Kritik, nicht genug gegen Terror aus dem eigenen Land unternommen zu haben. Der nordafrikanische Staat kämpft schon lange gegen islamistischen Terror. (Mohamed Messara, picture alliance / dpa)
    Hier will man sie auch nicht haben. "Keine Rückkehr, keine Freiheit" – das rufen die Demonstranten am vergangenen Samstag vor dem Parlament in Tunis. Sie demonstrieren "gegen Straffreiheit für heimgekehrte Terroristen". Viele hat eine Äußerung ihres Präsidenten Béji Caid Essebsi erzürnt: Man könne ja nicht alle radikalen Rückkehrer ins Gefängnis stecken, aber man werde sie überwachen. Das reicht vielen Tunesiern nicht. So auch dem Demonstranten Bukr Yusuf:
    "Die Regierung, der Präsident, das Parlament - sie müssten alles dafür tun, dass dieses Problem nicht nach Tunesien kommt."
    Aktionsplan für den Umgang mit radikalen Heimkehrern
    6.000 bis 7.000 Tunesier sollen Schätzungen zufolge seit 2011 ihre Heimat verlassen haben, um sich verschiedenen Terrorgruppen anzuschließen. Die tunesische Regierung schätzt, dass etwa 800 wieder in ihre Heimat zurückgekehrt sind – und fürchtet, dass noch mehr kommen werden. Jetzt soll ein Aktionsplan ausgearbeitet werden, um zu klären, wie mit radikalen Heimkehrern umzugehen ist.
    Dafür haben sich Präsident Essebsi und Premierminister Chahed am Donnerstag-Nachmittag getroffen. Premier Chahed sagte nach dem Treffen, die Regierung sei gegen die Rückkehr von Terroristen aus Krisengebieten. Der Staat besitze Listen mit den Angaben zu allen Tunesiern, die sich in Konfliktgebieten aufhalten und Terrororganisationen angehören. Rückkehrer würden bei ihrer Ankunft auf tunesischem Boden sofort festgenommen und vor Gericht gestellt. Das sei aber gar nicht so einfach, sagt Salwa Hamrouni, Dozentin für öffentliches Recht an der Universität in Tunis:
    "Stellen wir uns vor, diese Menschen kommen nach Tunesien zurück. Wir werden sie vor Gericht stellen, ok – dazu haben wir die nötigen Gesetze. Aber wer wird uns die Beweise bringen, um sie zu verurteilen? Wer wird uns sagen, dass dieser eine Mensch einfach nur so in Syrien war und der andere aber Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat? Das kann Tunesien nicht."
    "Die Islamisten regieren immer noch"
    Hamrouni macht die Übergangsregierung nach dem Sturz des Ben-Ali-Regimes 2011 mitverantwortlich. Sie hätte schon früher etwas gegen radikal-islamistische Strömungen im Land unternehmen sollen. In die Pläne der jetzigen Regierung hat sie kein Vertrauen:
    "Die Islamisten regieren immer noch, deshalb fehlt es auch am politischen Willen. Wir haben eine islamistische Partei, die an der Regierung beteiligt ist. Die uns immer noch erzählt, wir könnten diese Menschen entradikalisieren. Aber was machen wir mit denen, die gemordet haben, die sich auch ein bisschen entmenschlicht haben? Bei denen ist das gefährlich. Für mich gibt es keine moderaten Islamisten. Der Diskurs hat sich vielleicht geändert, aber wenn man an der Oberfläche kratzt, sieht man, sie sind die gleichen geblieben."
    "Sie", damit meint Hamrouni die islamische Partei Ennahda. Sie ist Teil der amtierenden Regierungskoalition, stärkste Fraktion im tunesischen Parlament. In jüngster Zeit hatte die gemäßigt islamistische Ennahda ordentlich an ihrem Image geschraubt, sich als demokratische Kraft mit im Islam verankerten Werten präsentiert. Kritiker werfen ihr vor, unter dem Deckmantel der Demokratie wieder einen politischen Islam etablieren zu wollen.
    Suche nach einer wirksamen Lösung für die Bedrohung von innen
    Tunesien befindet sich weiter im politischen Umbruch. Seit der Revolution vor sechs Jahren hat das Land sieben Mal seine Regierung gewechselt. Die politische Unsicherheit macht den einstigen "Leuchtturm" des sogenannten Arabischen Frühlings verwundbar. Die Wirtschaft ist schwach, das Land von Terrorattacken erschüttert. Schätzungen zufolge sollen noch mehr tunesische IS-Kämpfer in ihre Heimat zurückkehren. Die Frage drängt, wie schnell Tunesien eine wirksame Lösung gegen die Bedrohung von innen finden wird.