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Tunesien
Exodus der Ärzte

Die Tunesische Ärztekammer sorgt sich: Seit 2011 - dem Jahr des Umbruchs in der arabischen Welt - verlassen immer mehr gut ausgebildete Mediziner das Land. Grund für den "Braindrain": schlechte Arbeitsbedingungen und miserable Bezahlung. Ziel der jungen Leute sind Frankreich und Deutschland.

Von Jens Borchers |
    In der Notaufnahme eines tunesischen Krankenhauses in der Hauptstadt Tunis behandeln Ärzte einen Patienten.
    In der Notaufnahme eines tunesischen Krankenhauses in der Hauptstadt Tunis behandeln Ärzte einen Patienten. (AFP/FETHI BELAID)
    Sie gehen auf die Straße und prangern miserable Arbeitsbedingungen an: Bereitschaftsdienste von bis zu 70 Stunden, schlechte Ausstattung, fehlende Medikamente.
    Junge Ärzte im Praktischen Jahr klagen über derartige Zustände in den Krankenhäusern Tunesiens. Sie beschweren sich über die lange theoretische Ausbildung und anschließend zu kurze praktische Anleitung in den Krankenhäusern. Und für den Fall, dass der Straßenprotest alleine nicht hilft, schrieben einige auch noch ein Protest-Lied.
    Viel Arbeit, wenig Geld, schlechte Weiterbildung
    Tunesische Ärzte, heißt es da im Refrain, behandeln Kranke. Dabei seien die Ärzte im Inneren selbst krank. Eben wegen der miserablen Arbeitsbedingungen. Die beschreibt der tunesische Nachwuchs-Arzt Mehdi so:
    "Die Bezahlung ist nicht wirklich angemessen, die Ausbildung ist auf keinem guten Stand. Wenn man so viel arbeitet, bleibt kaum noch Zeit wirklich etwas dazu zu lernen."
    Neuerdings gehen auch erfahrene Leute über 50 Jahre
    Mehdi zog daraus die Konsequenz: Er lernte Deutsch, bewarb sich in Deutschland und arbeitet jetzt dort. Für Mounir Makni, den Präsidenten der tunesischen Ärztekammer, ist so ein Fall keine Überraschung mehr. Seit 2011 beobachtet seine Organisation Jahr für Jahr, dass immer mehr junge Ärztinnen und Ärzte ihr Glück im Ausland suchen. Bevorzugte Ziele: Frankreich und Deutschland. Mounir Makni sieht mittlerweile aber auch, dass immer mehr ältere Ärzte das Land verlassen wollen:
    "Das ist die Neuigkeit des vergangenen Jahres: Die Älteren, Erfahreneren über 50 gehen. Das sind Professoren, teilweise Leute in leitenden Positionen an der Universität, die jetzt gehen."
    Schlechter Ruf bei der Bevölkerung
    Das lässt für die 166 Krankenhäuser Tunesiens nichts Gutes erwarten. Der Chef der Ärztekammer sagt, im Moment sei der Exodus junger Ärzte im Alltagsbetrieb noch nicht zu spüren. Aber das könne sich rasch ändern.
    Das tunesische Gesundheitssystem hat schon jetzt keinen guten Ruf in der Bevölkerung: Lange Wartezeiten, teilweise verdreckte Krankenzimmer und Krankenhauspersonal, das mit wenig Engagement arbeite - darüber beschweren sich Patienten und ihre Angehörigen. Denjenigen, die ins Ausland gehen wollen, wird vorgeworfen, geldgierig und unpatriotisch zu sein. Unwillig, beispielsweise in Gesundheitszentren in ländlichen Regionen zu arbeiten - obwohl alle jungen Ärzte ein Pflichtjahr auf dem Land absolvieren müssen.
    Seit Jahren wird über Arbeitsbedingungen diskutiert
    Merieme Ben Soltane ist Sprecherin der Protestbewegung junger Ärzte. Sie sagt, die Zustände seien auch in den großen Kliniken der Hauptstadt schlecht:
    "Man zeigt mit dem Finger auf junge Ärzte und sagt, die wollen nicht auf dem Land arbeiten. Dabei geht es doch schon in den großen Kliniken in Tunis los. In einem großen Kinderkrankenhaus findet man nicht mal grundlegend notwendige Medikamente."
    Seit Jahren wird darüber diskutiert, wie sich die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen für junge Ärzte verbessern lassen könnten. Bisher ohne konkretes Ergebnis. Die jungen Ärzte reagieren darauf zunehmend sauer: Sie drängen nach Frankreich oder Deutschland. Weil sie hoffen, dort bessere Arbeitsbedingungen und mehr Anerkennung zu finden.