Dirk Müller: Die gewaltsamen Auseinandersetzungen in Tunesien sind auch zumindest bis in die späten Abendstunden weitergegangen. Heute soll eine Übergangsregierung eingesetzt werden mit Beteiligung demokratischer Kräfte.
Die Proteste, dann die überraschende Flucht von Ben Ali, darüber sprechen wollen wir nun mit dem CDU-Politiker und Maghreb-Kenner Joachim Hörster, Vorstandsmitglied der Deutsch-Tunesischen Gesellschaft. Guten Morgen!
Joachim Hörster: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Herr Hörster, warum ist plötzlich dann alles so schnell gegangen?
Hörster: Das kann ich von hieraus schlecht beurteilen, aber ich glaube, dass der Präsident Ben Ali, der bisherige, in Panik geraten ist, weil ihm ganz offensichtlich die Militärführung die Gefolgschaft versagt hat, und er hat dann keine ausreichende Sicherheit mehr für sich persönlich gesehen und ist schlicht und einfach geflohen.
Müller: Wird jetzt alles besser?
Hörster: Das weiß ich noch nicht. Auf der einen Seite ist es gut, dass der Diktator das Land verlassen hat. Auf der anderen Seite ist ein großes Vakuum entstanden, von dem ich noch nicht weiß, wer das füllen soll. Eben in dem Bericht ist ja berichtet worden von einer Regierungsbildung, einer Übergangsregierung, die gebildet werden soll, mit Beteiligung von Oppositionsparteien. Das muss man alles mit einer gewissen Zurückhaltung betrachten, denn diese Oppositionsparteien sind ja im System Ben Ali eigentlich mit involviert gewesen und ob sie deswegen große Reputation in der Bevölkerung genießen, das muss man erst noch mal sehen.
Müller: Sie waren in den vergangenen Jahren, Herr Hörster, ja häufig in Tunesien, haben viele Gespräche dort geführt.
Hörster: Ja.
Müller: Hatten Sie Kontakte zu Oppositionskandidaten?
Hörster: Ja, ich hatte natürlich Kontakte zu Oppositionskandidaten, ich hatte auch Kontakte zur Enhada, den gemäßigten Islamisten, und ich habe den Eindruck, dass es noch nicht richtig abzuschätzen ist, welchen Einfluss die Enhada in der Bevölkerung wirklich hat, denn in der Bevölkerung wird vermutlich derjenige die größten Chancen haben, der am saubersten gilt, der wenig korrupt gilt und der möglichst wenig mit dem System Ben Ali zu tun hatte.
Müller: Könnten die Islamisten davon profitieren?
Hörster: Die könnten davon profitieren, weswegen ich auch zu einer gewissen Vorsicht rate bei der Beurteilung der Frage, gibt es alsbald Demokratie in Tunesien, oder gibt es das nicht. Natürlich ist Demokratie wünschenswert und das Ganze ist ja auch in dem Verhandlungskomplex Barcelona-Prozess zwischen der Europäischen Union und Tunesien angelegt, Demokratie ist die Zielsetzung, aber wir müssen auch achten, dass Demokratie auch so praktiziert wird, dass sie nicht nur der Einstieg ist für politische Kräfte, die dann wieder, wenn sie an der Macht sind, Demokratie abschaffen wollen, und dieses Risiko besteht in vielen arabischen Ländern übrigens.
Müller: Ist das möglich, ist das realistisch, dass sich die Militärs künftig moderater verhalten werden?
Hörster: Die Militärs haben sich ja in Tunesien immer moderat verhalten. Sie waren nicht erkennbarer Teil des Unterdrückungsapparates, sondern das waren die an die circa 160.000 sogenannten Sicherheitskräfte. Ben Ali hat sich immer auf die Polizei, immer auf den Geheimdienst, immer auf Sondereinheiten der Polizei gestützt, nie aufs Militär.
Müller: Reden wir noch einmal über die Opposition. Sie haben mit vielen Oppositionellen damals gesprochen. Gibt es da erkennbare Kräfte, die auch den Mut haben, auch den Rückhalt haben, sich jetzt zu organisieren und in die Offensive zu gehen?
Hörster: Ja, diese Kräfte gibt es. Sie sind zum Teil im Ausland gewesen, im Exil, weil sie zu Hause verfolgt worden wären. Sie müssen aber in das Land zurückkommen und sie müssen in der Bevölkerung bekannt werden.
Müller: Herr Hörster, Sie sind offenbar auf dem Frankfurter Bahnhof?
Hörster: Ich verstehe Sie jetzt im Moment nicht.
Müller: Jetzt haben wir die Durchsage gehört. Ich hoffe, sie galt nicht Ihnen?
Hörster: Nein, die gilt nicht mir.
Müller: Gut. – Dann reden wir über die weitere Perspektive. Blicken wir auf die arabische Welt, auf die Nachbarn, auch auf Algerien. Werden sich diese Regime dort zurückhalten?
Hörster: Wir haben dort völlig andere Situationen. Man kann Libyen, man kann Algerien, wenn man will auch Marokko nicht mit Tunesien vergleichen, weil - das gehört ja zu den Besonderheiten dieses Prozesses in der Regierungszeit von Ben Ali bei allen Missfälligkeiten, was die Unterdrückung der Demokratie und der Freiheitsrechte anbetrifft – doch eine wirtschaftliche Prosperität stattgefunden hat, die dazu geführt hat, dass in Tunesien ein doch vergleichsweise breiter Mittelstand vorhanden ist, der auch mit Träger dieser Revolution gegen den Staatschef gewesen ist, und dieser Mittelstand fehlt in der Nachbarschaft komplett. Das heißt, wir haben hier eine andere Bevölkerungsstruktur, wir haben eine andere Bildungssituation in den benachbarten Ländern, und deswegen kann man das nicht so ohne Weiteres übertragen, was in Tunesien stattfindet.
Müller: Wer hat von den anderen Mächten darum herum, vielleicht auch mit Blick auf Frankreich, im Moment den größten Einfluss auf Tunesien von außen?
Hörster: Also ich glaube, dass Einfluss auf Tunesien nicht hat Algerien, weil man dort die dauernde Konkurrenz sieht. Es könnte sein, dass Marokko gut wirken könnte. Ansonsten aber muss man sehen, dass außenpolitisch gesehen es eher so war, dass Tunesien mäßigenden Einfluss auf andere arabische Länder ausgeübt hat und deswegen es schlecht einschätzbar ist, wer den Tunesiern raten könnte. Ich könnte mir aber sehr gut vorstellen, dass unter Wiederaufnahme des Barcelona-Prozesses insbesondere die Europäische Union den Tunesiern helfen kann bei der Rückkehr zur Normalität und dass man vielleicht auch noch ein bisschen mehr Zeit gewinnen muss. Mir scheint die 60 Tage-Frist bis zu Neuwahlen ein sehr ambitioniertes Ziel, weil ich nicht weiß, wer und mit welcher Organisation diese Neuwahlen vorbereiten will und organisieren will, dass es hier zu einer fairen Wahl kommt.
Müller: Die Europäische Union, wenn ich Sie richtig verstanden habe, soll also mehr tun. Sie haben diesen Barcelona-Prozess angesprochen. Mit einer besonderen Rolle für Frankreich?
Hörster: Das würde ich jedenfalls nicht von vornherein von der Hand weisen, weil Frankreich ja auch für viele Oppositionelle der Rückzugsraum gewesen ist. Es gibt hier traditionelle Verbindungen, es gibt Verbindungen in den intellektuellen Bereich, und deswegen könnte ich mir schon vorstellen, dass Frankreich hier eine besondere Rolle spielen kann.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der CDU-Politiker und Maghreb-Kenner Joachim Hörster, Vorstandsmitglied der Deutsch-Tunesischen Gesellschaft. Vielen Dank für das Gespräch und Ihnen gute Reise.
Hörster: Danke schön, Herr Müller.
Tunesien erwartet Übergangsregierung - Erste Unruheanzeichen auch in Jordanien
Die Proteste, dann die überraschende Flucht von Ben Ali, darüber sprechen wollen wir nun mit dem CDU-Politiker und Maghreb-Kenner Joachim Hörster, Vorstandsmitglied der Deutsch-Tunesischen Gesellschaft. Guten Morgen!
Joachim Hörster: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Herr Hörster, warum ist plötzlich dann alles so schnell gegangen?
Hörster: Das kann ich von hieraus schlecht beurteilen, aber ich glaube, dass der Präsident Ben Ali, der bisherige, in Panik geraten ist, weil ihm ganz offensichtlich die Militärführung die Gefolgschaft versagt hat, und er hat dann keine ausreichende Sicherheit mehr für sich persönlich gesehen und ist schlicht und einfach geflohen.
Müller: Wird jetzt alles besser?
Hörster: Das weiß ich noch nicht. Auf der einen Seite ist es gut, dass der Diktator das Land verlassen hat. Auf der anderen Seite ist ein großes Vakuum entstanden, von dem ich noch nicht weiß, wer das füllen soll. Eben in dem Bericht ist ja berichtet worden von einer Regierungsbildung, einer Übergangsregierung, die gebildet werden soll, mit Beteiligung von Oppositionsparteien. Das muss man alles mit einer gewissen Zurückhaltung betrachten, denn diese Oppositionsparteien sind ja im System Ben Ali eigentlich mit involviert gewesen und ob sie deswegen große Reputation in der Bevölkerung genießen, das muss man erst noch mal sehen.
Müller: Sie waren in den vergangenen Jahren, Herr Hörster, ja häufig in Tunesien, haben viele Gespräche dort geführt.
Hörster: Ja.
Müller: Hatten Sie Kontakte zu Oppositionskandidaten?
Hörster: Ja, ich hatte natürlich Kontakte zu Oppositionskandidaten, ich hatte auch Kontakte zur Enhada, den gemäßigten Islamisten, und ich habe den Eindruck, dass es noch nicht richtig abzuschätzen ist, welchen Einfluss die Enhada in der Bevölkerung wirklich hat, denn in der Bevölkerung wird vermutlich derjenige die größten Chancen haben, der am saubersten gilt, der wenig korrupt gilt und der möglichst wenig mit dem System Ben Ali zu tun hatte.
Müller: Könnten die Islamisten davon profitieren?
Hörster: Die könnten davon profitieren, weswegen ich auch zu einer gewissen Vorsicht rate bei der Beurteilung der Frage, gibt es alsbald Demokratie in Tunesien, oder gibt es das nicht. Natürlich ist Demokratie wünschenswert und das Ganze ist ja auch in dem Verhandlungskomplex Barcelona-Prozess zwischen der Europäischen Union und Tunesien angelegt, Demokratie ist die Zielsetzung, aber wir müssen auch achten, dass Demokratie auch so praktiziert wird, dass sie nicht nur der Einstieg ist für politische Kräfte, die dann wieder, wenn sie an der Macht sind, Demokratie abschaffen wollen, und dieses Risiko besteht in vielen arabischen Ländern übrigens.
Müller: Ist das möglich, ist das realistisch, dass sich die Militärs künftig moderater verhalten werden?
Hörster: Die Militärs haben sich ja in Tunesien immer moderat verhalten. Sie waren nicht erkennbarer Teil des Unterdrückungsapparates, sondern das waren die an die circa 160.000 sogenannten Sicherheitskräfte. Ben Ali hat sich immer auf die Polizei, immer auf den Geheimdienst, immer auf Sondereinheiten der Polizei gestützt, nie aufs Militär.
Müller: Reden wir noch einmal über die Opposition. Sie haben mit vielen Oppositionellen damals gesprochen. Gibt es da erkennbare Kräfte, die auch den Mut haben, auch den Rückhalt haben, sich jetzt zu organisieren und in die Offensive zu gehen?
Hörster: Ja, diese Kräfte gibt es. Sie sind zum Teil im Ausland gewesen, im Exil, weil sie zu Hause verfolgt worden wären. Sie müssen aber in das Land zurückkommen und sie müssen in der Bevölkerung bekannt werden.
Müller: Herr Hörster, Sie sind offenbar auf dem Frankfurter Bahnhof?
Hörster: Ich verstehe Sie jetzt im Moment nicht.
Müller: Jetzt haben wir die Durchsage gehört. Ich hoffe, sie galt nicht Ihnen?
Hörster: Nein, die gilt nicht mir.
Müller: Gut. – Dann reden wir über die weitere Perspektive. Blicken wir auf die arabische Welt, auf die Nachbarn, auch auf Algerien. Werden sich diese Regime dort zurückhalten?
Hörster: Wir haben dort völlig andere Situationen. Man kann Libyen, man kann Algerien, wenn man will auch Marokko nicht mit Tunesien vergleichen, weil - das gehört ja zu den Besonderheiten dieses Prozesses in der Regierungszeit von Ben Ali bei allen Missfälligkeiten, was die Unterdrückung der Demokratie und der Freiheitsrechte anbetrifft – doch eine wirtschaftliche Prosperität stattgefunden hat, die dazu geführt hat, dass in Tunesien ein doch vergleichsweise breiter Mittelstand vorhanden ist, der auch mit Träger dieser Revolution gegen den Staatschef gewesen ist, und dieser Mittelstand fehlt in der Nachbarschaft komplett. Das heißt, wir haben hier eine andere Bevölkerungsstruktur, wir haben eine andere Bildungssituation in den benachbarten Ländern, und deswegen kann man das nicht so ohne Weiteres übertragen, was in Tunesien stattfindet.
Müller: Wer hat von den anderen Mächten darum herum, vielleicht auch mit Blick auf Frankreich, im Moment den größten Einfluss auf Tunesien von außen?
Hörster: Also ich glaube, dass Einfluss auf Tunesien nicht hat Algerien, weil man dort die dauernde Konkurrenz sieht. Es könnte sein, dass Marokko gut wirken könnte. Ansonsten aber muss man sehen, dass außenpolitisch gesehen es eher so war, dass Tunesien mäßigenden Einfluss auf andere arabische Länder ausgeübt hat und deswegen es schlecht einschätzbar ist, wer den Tunesiern raten könnte. Ich könnte mir aber sehr gut vorstellen, dass unter Wiederaufnahme des Barcelona-Prozesses insbesondere die Europäische Union den Tunesiern helfen kann bei der Rückkehr zur Normalität und dass man vielleicht auch noch ein bisschen mehr Zeit gewinnen muss. Mir scheint die 60 Tage-Frist bis zu Neuwahlen ein sehr ambitioniertes Ziel, weil ich nicht weiß, wer und mit welcher Organisation diese Neuwahlen vorbereiten will und organisieren will, dass es hier zu einer fairen Wahl kommt.
Müller: Die Europäische Union, wenn ich Sie richtig verstanden habe, soll also mehr tun. Sie haben diesen Barcelona-Prozess angesprochen. Mit einer besonderen Rolle für Frankreich?
Hörster: Das würde ich jedenfalls nicht von vornherein von der Hand weisen, weil Frankreich ja auch für viele Oppositionelle der Rückzugsraum gewesen ist. Es gibt hier traditionelle Verbindungen, es gibt Verbindungen in den intellektuellen Bereich, und deswegen könnte ich mir schon vorstellen, dass Frankreich hier eine besondere Rolle spielen kann.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der CDU-Politiker und Maghreb-Kenner Joachim Hörster, Vorstandsmitglied der Deutsch-Tunesischen Gesellschaft. Vielen Dank für das Gespräch und Ihnen gute Reise.
Hörster: Danke schön, Herr Müller.
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