Es sei verständlich, dass der tunesische Regierungschef Chahed vor dem Treffen mit Merkel eine Abwehrhaltung gegenüber den Vorschlägen von Auffanglagern in seinem Land an den Tag lege. In Tunesien selbst gebe es eine aufgeheizte Diskussion zum Thema. Chahed "hat keine einfache Front zuhause". Doch der Regierungschef "wird sich auf ein Gespräch sachlich einlassen", sagte Ostry.
Bei den Verhandlungen über Auffanglager müssten beide Länder als Partner zusammenarbeiten. "Beide Seiten müssen davon profitieren." Tunesien brauche vor allem Unterstützung, da das Land mit wirtschaftlichen Problemen und sozialen Spannungen zu kämpfen habe.
Kritik an Abwehrhaltung der Tunesier
Bei der Rückführung abgelehnter Asylbewerber sei es im Interesse beider Länder, zu einer Lösung zu kommen. Tunesien habe bereits Kooperationsbereitschaft gezeigt, aber die Rückführung dauere zu lange, betonte Ostry weiter. Es gebe keine klare lineare Verwaltung in Tunesien, teilweise hätten die Mitarbeiter kein Interesse, dass Akten weiter verwaltet würden. "Das läuft durch den Fall Anis Amri bedauerlicherweise besser und es muss noch schneller laufen. Dessen sind sich die Tunesier bewusst."
Bei Rückführungen abgelehnter Asylbewerber argumentierten die Regierungen, dass sie Beweise bräuchten, dass es sich bei den rückzuführenden Personen um Tunesier handele. "In der Regel sind diese Beweisführungen aber relativ einfach. Und wir haben dann ja auch gesehen, dass es am Ende gerade beim Falle Amri relativ schnell ging, doch es war dann zu spät." Die Tunesier müssten erkennen, "dass man mi dieser Abwehrhaltung nicht mehr weiterkommt."
Das Interview in voller Länge:
Jasper Barenberg: Folter, willkürliche Inhaftierungen, Razzien ohne Durchsuchungsbeschluss - das alles wirft Amnesty International in einem aktuellen Bericht den Sicherheitsbehörden in Tunesien vor und warnt zugleich vor Methoden wie zu Zeiten der Diktatur von Ben Ali. Seit der demokratischen Revolution hat das Land mit islamistischen Anschlägen zu kämpfen. Tausende haben sich dschihadistischen Gruppen im Ausland angeschlossen. Auch der Berlin-Attentäter Anis Amri stammte ja ursprünglich aus Tunesien.
Über schnellere Abschiebungen auch gerade solcher Gefährder will Angela Merkel heute in Berlin sprechen, wenn sie den tunesischen Regierungschef empfängt. Ein weiteres Thema das geplante Auffanglager für Flüchtlinge, die auf dem Mittelmeer aufgegriffen und gerettet wurden.
Am Telefon ist Hardy Ostry. Er leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Brüssel. Bis vor Kurzem hat er aber über Jahre das Büro der CDU-nahen Stiftung in Tunis geleitet. Einen schönen guten Morgen, Herr Ostry.
Hardy Ostry: Guten Morgen, Herr Barenberg.
Barenberg: Herr Ostry, Regierungschef Chahed hat ja alle Vorschläge der Bundesregierung vorab schon einigermaßen deutlich abgelehnt. Ist für Sie klar, dass Angela Merkel heute bei dem Besuch des tunesischen Ministerpräsidenten einigermaßen auf Granit beißen wird?
Ostry: Ich denke, das wird man erst mal sehen müssen. Was Youssef Chahed im Vorfeld gegenüber den Medien erklärt hat, ist natürlich auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass er im Land selber eine durchaus aufgeheizte Diskussion hat, eine sehr kontroverse Diskussion, wenn es darum geht, einmal um die Rückführung der abgelehnten Asylbewerber, aber auch um die große Frage der Rückkehr der sogenannten Foreign Fighters, also der Tunesier, die sich im Ausland dem Daesh, dem Islamischen Staat angeschlossen haben. Er selber hat da keine einfache Front zuhause und wird sich sicherlich aber auf das Gespräch mit der Kanzlerin heute sachlich einlassen.
"Es ist Interesse beider Seiten"
Barenberg: Sachlich einlassen, das heißt, man könnte von ihm erhoffen, dass es ein Entgegenkommen gibt in Richtung einer noch stärkeren Zusammenarbeit, sagen wir, der Sicherheitsbehörden?
Ostry: Ich würde noch nicht einmal von Entgegenkommen sprechen, sondern es ist im Interesse beider Seiten. Nehmen wir mal den ersten Fall und ich denke, es ist sehr, sehr wichtig zu differenzieren, weil da oft auch sowohl in der Berichterstattung wie auch vor allem in Tunesien viel vermischt wird. Wenn wir den ersten Fall der abgelehnten Asylbewerber nehmen, dann geht es einfach darum zu sagen, was passiert mit diesen rund tausend Tunesiern, die hier in Deutschland keinerlei Perspektive haben, die quasi ja sich dazu anbieten, weiter radikalisiert zu werden, insofern mit ihnen nicht etwas Produktives passiert, sprich Rückführung nach Hause, Sozialprogramme, Integrationsprogramme und dergleichen. Das heißt, hier ist es im Interesse Deutschlands wie der Tunesier selber, zu einer Lösung zu kommen, und wenn ich mich nicht ganz irre, hat nach dem Fall Amri in Berlin die Zahl der Rückführungen ja schon erheblich zugenommen. Wir sind noch weit von dem entfernt, was man sich wünschen kann, aber ich glaube, die tunesischen Behörden haben da ihre Kooperationsbereitschaft gezeigt.
Was die Frage der mittlerweile auch gerade nach dem Malta-Gipfel vom 3. Februar der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union diskutierten Auffanglager angeht, ...
"Die Tretmühlen insbesondere der tunesischen Verwaltung sind da sehr, sehr schwierig"
Barenberg: Herr Ostry, lassen Sie uns darauf gleich noch zu sprechen kommen. Ich hätte noch eine Nachfrage zu der Rückführung von abgelehnten Asylsuchenden, die in Deutschland keine Bleibeperspektive haben. Da ist der Vorwurf ja immer, da dauert es viel zu lange, bis die Papiere ausgestellt werden, es geht alles viel zu lange auf tunesischer Seite. Ist an diesem Vorwurf etwas dran?
Ostry: Wenn man es rein objektiv betrachtet und überlegt, dass diese Fälle, dieses Thema uns ja schon seit längerer Zeit begleiten - ich selbst erinnere mich, dass uns das seit anderthalb Jahren schon beschäftigt -, dann kann man einfach nur zu dem Schluss kommen: Ja, es dauert zu lange. Die Tretmühlen auch insbesondere der tunesischen Verwaltung sind da sehr, sehr schwierig. Wir müssen aber auch sehen, dass es da natürlich auch nicht wie bei uns eine klare lineare Verwaltung gibt, sondern da natürlich auch Leute, die blockieren, Leute, die teilweise gar kein Interesse daran haben, dass diese Dossiers, diese Akten weiter verwaltet werden. Wir haben es da mit einer sehr schwierigen Gemengelage zu tun. Fakt ist aber, es läuft - bedauerlicherweise bedurfte es dieses Falles Amri - ein wenig besser, aber es muss noch schneller laufen. Und ich glaube, dessen sind sich die Tunesier auf jeden Fall bewusst.
"In der Regel sind diese Beweisführungen aber relativ einfach"
Barenberg: Aber gerade was den Fall Anis Amri angeht, da sagt ja der Regierungschef ebenfalls vorab vor diesem Besuch, wir brauchen schon handfeste Beweise, wir sind selbst gar nicht verantwortlich dafür, dass es da Verzögerungen gegeben hat.
Ostry: Ja, das ist richtig. Das ist ein Argument, was nicht nur die Tunesier, sondern auch viele andere Länder immer wieder anführen, demnach sie hundertprozentige Beweise bräuchten, dass es sich bei den rückzuführenden Personen um Tunesier handele. In der Regel sind diese Beweisführungen aber relativ einfach und wir haben ja dann auch gesehen, dass es am Ende gerade beim Fall Amri doch relativ schnell dann auch ging. Nur es war natürlich leider zu spät und von daher denke ich muss man auch auf tunesischer Seite sehen, dass man mit dieser Haltung, mit dieser doch gewissen Abwehrhaltung auch nicht länger weiterkommt, sondern man sich der Sache auch stellen muss. Der Nachweis ist in der Regel durch Sprachprüfungen, auch durch die, sagen wir mal, Wiederherstellung der letzten Wege, die die Leute in Deutschland oder Europa gegangen sind, ja relativ schnell zu erbringen.
"Die Frage ist, wo kommt man zusammen und was ist der Preis dafür"
Barenberg: Lassen Sie uns jetzt über das Auffanglager für Flüchtlinge sprechen. Ein Gedanke, ein Projekt, das nicht nur Bundesinnenminister Thomas de Maizière seit einiger Zeit verfolgt, sondern inzwischen ja auch von SPD-Fraktionschef Oppermann ins Spiel gebracht und unterstützt wird. Tunesien sagt, das ist auf absehbare Zeit nicht denkbar, wir haben gar nicht die Kapazitäten.
Ostry: Ja, das ist richtig. Das sagt aber nicht nur Tunesien, das sagen natürlich auch andere, wenn man sich allein die Reaktionen auf die Entscheidung des EU-Gipfels, des informellen Gipfels vom 3. Februar auf Malta anschaut, wo ja zunächst einmal stärker Libyen in den Fokus genommen wird und die Staats- und Regierungschefs entschieden haben, stärker Libyen dabei zu unterstützen, effektiv etwas gegen Migration zu tun und mit der mittel- bis langfristigen Sicht auch dort entsprechende Auffanglager zu gründen. Ich denke, die Reaktionen sind in der ganzen Region die gleichen. Die Frage ist, eine Lösung für diese Problematik, die sich jetzt ja angesichts der kommenden Sommermonate erwartungsgemäß wieder potenzieren wird, wird es natürlich nur geben, wenn es für beide Seiten eine Win-win-Situation gibt.
Beide Seiten müssen davon profitieren. Heißt im Klartext, Tunesien braucht erhebliche Hilfe auf diesem Weg der politischen Transition, die es einigermaßen erfolgreich abgeschlossen hat, aber Tunesien hat natürlich weiterhin starke wirtschaftliche Probleme, hat soziale Spannungen, hat ein großes Sicherheitsrisiko nach wie vor, auch wenn es den Behörden gelungen ist, nach den Anschlägen von 2015 da effektiver zu werden. Sprich die Frage ist, wo kommt man zusammen und was ist der Preis dafür, dass man hier wirklich eine Lösung findet, die im Sinne der Menschen ist, um zu vermeiden, dass wieder Tausende im Mittelmeer umkommen.
"Entscheidend ist, wir brauchen Partner"
Barenberg: Ihr Rat wäre auch an die Bundesregierung, das ist ein realistischer Plan, verfolgt den weiter?
Ostry: Ich will nicht sagen, ob es ein realistischer Plan ist. Die Frage ist natürlich, was ist die Alternative. Wir haben nach Schließung der Ostmittelmeer-Route natürlich festgestellt, dass die sogenannte Westmittelmeer-Route zunehmend in den Fokus auch der Migrationsströme gerät. Wenn diese Situation so ist wie sie ist, stellt sich die Frage, was tun, und da, glaube ich, ist die Lösung, die ja nun wirklich noch nicht mal besonders neu ist, sondern ich erinnere mich an 2005, als Herr Schily als erster diese Diskussion ins Gespräch brachte mit den sogenannten Hotspots in Nordafrika, damals noch vor dem Hintergrund einer völlig anderen Situation, dass man da mit den Partnern ins Gespräch kommt. Und entscheidend ist, wir brauchen Partner. Wir können das nicht aufoktroyieren, sondern es geht nur, wenn beide Seiten, sprich EU und die nordafrikanischen Staaten, die überhaupt derzeit dazu in der Lage wären, daran auch ihr Interesse erkennen und gemeinsam arbeiten.
Barenberg: Grüne und Linke kritisieren ja jetzt schon, dass ein solches Flüchtlingsabkommen ein weiterer schmutziger Flüchtlingsdeal ist, und sie verweisen auf die prekäre Menschenrechtslage in dem Land. Ist das ein starkes Argument?
Ostry: Ich würde das nicht unbedingt als ein starkes Argument bezeichnen. Ich nehme das durchaus zur Kenntnis. Ich nehme auch den Bericht von Amnesty International zur Kenntnis. Aber diejenigen, die das schreiben, haben wahrscheinlich das Regime Ben Ali selber nie gesehen und erlebt. Ich war von 2003 bis 2008 in Tunesien und kann von der Zeit vor der Revolution und nach der Revolution durchaus berichten und ich lade diejenigen gerne ein, sich mal an diese Periode zu erinnern.
Das will nicht heißen, dass es vielleicht hier und dort gerade bei den Sicherheitskräften, die natürlich auch erheblich verunsichert sind durch diese Phase der Nachrevolution, hier und da auch mal zu unangebrachten Übergriffen kommt. Dessen sind wir uns bewusst. Aber von einer systemischen Unterdrückung, Gewaltanwendung, die auch nur annähernd in die Nähe der Zeit Ben Alis zu rücken wäre, zu reden, das halte ich für so was von abwegig. Das sehe ich nicht.
Barenberg: ... sagt Hardy Ostry, der Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Brüssel, früher in Tunis. Vielen Dank für Ihre Expertise und Ihre Zeit heute Morgen, Herr Ostry.
Ostry: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.