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Tunesien
Nachhilfe für Gebetsausrufer

Muezzine rufen fünf Mal pro Tag zum Gebet. Was elektronisch verstärkt vom Moschee-Turm erschallt, klingt nicht immer harmonisch und einladend. Deswegen müssen Gebetsausrufer in Tunesien jetzt im staatlichen Musikinstitut nachsitzen.

Von Jens Borchers |
    June 18, 2016 - Sarajevo, Bosnia and Herzegovina - A muezzin stands on Emperor s Mosque minaret and calls to noon prayer during the holy fasting month of Ramadan. Emperor s Mosque is the first Mosque built in Sarajevo (1457) after the Ottoman conquest of Bosnia.
    Hände über die Ohren und los: Muezzin beim Gebetsruf auf dem Minarett einer Moschee. (imago / Zuma)
    Das ist harte Arbeit: Ein ums andere Mal üben die Muezzine eine Art Tonleiter. Der Kursleiter gibt Tipps. Er erklärt, worauf sie achten sollen. Er singt jedes Mal mit. Fethi Zghonda leitet normalerweise das Orchester des staatlichen Musikinstitutes Rachidia. Jetzt gibt er nebenbei die Kurse für Muezzine.
    Die Idee hatte sein Chef. Hedi Mouhli, Direktor der Rachidia, fand, dass es einiges zu verbessern gibt beim Gebetsruf:
    "Es geht oft irgendwie durcheinander. Wenn der Muezzin mal nicht da ist, ruft halt einer der anwesenden Gläubigen zum Gebet. Er ist dann der Muezzin und denkt, das wäre ganz einfach. Dann ruft er halt so, wie es ihm gerade in den Sinn kommt."
    Hände über die Ohren, Augen schließen
    Aber es sind keineswegs nur diejenigen, die mal aushelfen und dabei nicht den richtigen Ton treffen. Adel Hidri ist Muezzin in Boumhel, einem südlichen Vorort von Tunis. Nie zuvor ist er geschult worden für den Gebetsruf. Jetzt sitzt er mit 27 anderen Muezzinen in dem schlichten Unterrichtsraum des staatlichen Musikinstituts. Einige legen sich die Hände über die Ohren, schließen die Augen, suchen Inspiration für den Ruf. Sie üben. Mit Erfolg, findet Muezzin Adel Hidri:
    "So wird es angenehm, den Gebetsruf zu hören. Wir wollen ja, dass die Menschen gerne zum Gebet, wenn sie uns hören. Jetzt habe ich mich, Gott sei Dank, verbessert."
    In den meisten Moscheen von Tunis rufen die Muezzine "live" zum Gebet: Keine Voraufnahme, kein Ruf aus der Konserve. Im staatlichen Musikinstitut üben sie, wie sie ihre Stimme am besten einsetzen. Wie sie den Ruf zum Gebet modulieren, wie den Rhythmus mal verlangsamen, mal beschleunigen können.
    Mißtrauen bei den Teilnehmern
    In Tunesien lernen viele Muezzine den Gebetsruf einfach im Selbstversuch. Oder ein Vater bringt es dem Sohn bei, so gut er es halt kann. So klingt das dann manchmal auch: Wenig harmonisch, wenig einladend und dann öfter auch noch verzerrt, weil die Lautsprecheranlagen der Moscheen unterschiedlicher Qualität sind. Also: den Menschen kein Wohlgefallen. Im staatlichen Musikinstitut arbeiten die Muezzine intensiv daran, das zu verbessern:
    Der Kursleiter, Fethi Zghonda, möchte mehr Vielfalt, mehr Musikalität. Anfangs, sagt er, gab es Mißtrauen bei den Teilnehmern:
    "Am Anfang hatten sie etwas Angst, vor allem die etwas Älteren. Plötzlich werden sie wieder unterrichtet – das war ungewohnt. Aber ich trete nicht als Lehrer auf, der ihnen Dinge aufdrückt."
    Zehn Versionen des muslimischen Gebetsrufes
    Meister des muslimischen Gebetsrufes können zehn verschiedene Versionen dieser Einladung in die Moscheen präsentieren. Aber darum geht es in Tunis gar nicht. Die Muezzine sollen vor allem ein Gefühl dafür bekommen, dass der Gebetsruf musikalische Elemente enthält. Und dass er wie eine Einladung und nicht wie ein Befehl klingen soll.
    "Gott will doch, dass das schön klingt", hat Tunesiens Minister für Religion am ersten Tag des Ausbildungsprogramms gesagt. Daran arbeiten die Muezzine im Großraum Tunis gerade.