Im krisengeschüttelten Tunesien ist am Sonntag eine neue Verfassung bestätigt worden. Im Übergangsparlament erhielt das Werk eine Mehrheit von 200 Stimmen bei zwölf Gegenstimmen und vier Enthaltungen - 145 Ja-Stimmen hätten ausgereicht. Tunesien habe eine "historische Etappe" gemeistert, zollte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon seinen Respekt.
Grabenkämpfe verzögerten Verfassungsgebung
Die Arbeit an dem neuen Grundgesetz hatte bereits im Oktober 2011 begonnen - ein Dreivierteljahr nach Beginn der Revolution, die zum Sturz des langjährigen Machthabers Zine El Abidine Ben Ali führte. Eigentlich sollte die Verfassung innerhalb eines Jahres fertig werden. Aber Grabenkämpfe zwischen den Islamisten der Ennahda-Partei und der säkular orientierten Opposition zogen die Mammutaufgabe mehr als zwei Jahre in die Länge.
Das Ergebnis wurde von den Parlamentarien gefeiert: "Wir opfern unsere Seele und unser Blut für Dich, Tunesien", riefen die Mitglieder der Nationalversammlung. "Das Grundgesetz bewahrt unsere früheren Errungenschaften und schafft das Fundament für einen demokratischen Staat", erklärte Mustapha Ben Jaafar, der die verfassunggebende Versammlung leitete.
Modell für arabische Welt
Die Verfassung sieht eine geteilte Exekutive vor, weist dem Islam einen begrenzten Raum zu, und setzt - zum ersten Mal in der arabischen Welt - das Ziel, dass in den gewählten Kammern genau so viele Frauen wie Männer sitzen sollen. Sie schaffe damit ein "Modell für die anderen Völker, die nach Reformen streben", sagte der UN-Generalsekretär. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat Tunesien nach der Verabschiedung einer neuen Verfassung gelobt. "Tunesien hat der Welt gezeigt, dass es möglich ist, echte Fortschritte hin zu Demokratie und Rechtsstaat, Toleranz und Bürgerrechten zu machen", sagte Steinmeier am Montag in Berlin. Deutschland werde Tunesien auf seinem Weg in eine demokratische Zukunft weiterhin unterstützen.
Kurz vor der Verfassungsannahme legt der designierte Regierungschef Mahdi Jomaâ nach mehreren gescheiterten Anläufen auch eine neue Liste für sein Expertenkabinett vor. Die neue Regierung soll insbesondere die Präsidentschafts- und Parlamentswahl vorbereiten, die den Übergang in dem Land nach den Umbrüchen abschließen soll.
Fahrplan aus der Krise
Das nordafrikanische Land war durch die Ermordung des linken Oppositionellen Mohammed Brahmi im Juli 2013 in eine schwere Krise gestürzt. Die Tat wurde zwar militanten Salafisten angelastet, doch die Opposition macht die bislang regierende Ennahda-Partei mitverantwortlich.
Beide Seiten einigten sich Ende 2013 schließlich auf einen Fahrplan aus der Krise, der den Rücktritt der Ennahda-geführten Regierung vorsah. Das Expertenkabinett Jomaâs soll in dieser Woche vom Parlament bestätigt werden.