Am 26. Juni 2015 kommt der Tod an den Strand des Hotels Imperial Marhaba. Ein tunesischer Student feuert auf Urlauber und bringt 38 Menschen um. Es dauert lange, bis die tunesische Polizei kommt und den Attentäter ins Visier nimmt. Einer der Köche des Hotels filmt diesen Schusswechsel. Am Ende liegt auch der Attentäter tot am Strand. Tunesien ist geschockt. Präsident Beji Caid Essebsi muss zugeben:
"Ja, wir wurden von dieser Attacke überrascht. Wir waren darauf eingestellt, dass im Fastenmonat Ramadan etwas passieren könnte. Aber niemals hätten wir damit gerechnet, dass sich ein Täter Strände und Urlauber als Ziele aussucht."
Der Präsident war allerdings gewarnt: Im März bereits hatten zwei Attentäter 20 Touristen im Bardo-Museum in Tunis abgeschlachtet. Tunesien hat ein Radikalen-Problem. Aber Regierung und Sicherheitsapparat wirken hilflos im Umgang damit. Zwischen 4.000 und 5.000 Tunesier kämpfen in Syrien. Junge Männer meist, die in Tunesien von Rekrutierern radikaler Organisationen angeworben werden. Mohammed Ben Rejeb kennt das gut. Rejeb arbeitet mit Eltern und Familien, deren Kinder in die Fänge der Rekrutierer des sogenannten Islamischen Staates oder anderer Terror-Milizen gingen.
"Die jungen Leute werden verkauft. Die Rekrutierer der Terror-Gruppen bekommen Geld für sie. Zwischen 3.000 und 10.000 Dollar. Leute ohne Diplom sind in der unteren Kategorie, die werden an den Waffen eingesetzt. Ingenieure oder Mechaniker – für die bekommt der Rekrutierer bis zu 10.000 Dollar."
Mohammed Ben Rejeb hat eine kleine Organisation gegründet. Er versucht mit der Regierung ins Gespräch zu kommen, um seine Erfahrungen, sein Wissen über die Radikalisierung junger Tunesier sinnvoll anzuwenden. Tunesische Kämpfer, die aus Syrien zurückkommen, sind eine Gefahr für das Land, sagt Rejeb:
"Einige sind zurückgekommen und verbreiten ihr Gift unter jungen Leuten", sagt Rejeb. Gift – damit meint er die radikale Ideologie der Dschihadisten. Mohammed Ben Rejeb plädiert für eine durchdachte Strategie der tunesischen Regierung gegen die schleichende Radikalisierung. Man müsse mit Imamen, mit Psychologen und Psychiatern arbeiten. Ein De-Radikalisierungsprogramm also?
"Leider gibt es so etwas nicht", sagt Ben Rejeb. Es wäre dringend nötig, meint er. Syrien-Rückkehrer einfach nur ins Gefängnis zu stecken – das ist gefährlich. Die Knäste können so ganz schnell zu Radikalisierungs- und Rekrutierungszentren werden.
Auch die Regierung gibt zu, dass junge Menschen empfänglich für die Radikalisierung sind, weil viele keine wirtschaftliche Perspektive haben. Und man könnte noch hinzufügen: Wenn sie erleben, dass Korruption und Patronage erfolgversprechender sind als ehrliche Arbeit. Dennoch reagiert die tunesische Regierung weiterhin nur mit Repression. Zurückkehrende Kämpfer aus Syrien oder Libyen werden eingesperrt oder überwacht. Razzien werden mit einer Brutalität durchgeführt, die auch viele harmlose und gutmeinende Bürger abstößt. Mohammed Ben Rejeb, der Eltern und Familien von Radikalisierten vertritt, sagt:
"Es gibt Missbrauch bei den Verhaftungen. Es ist ja richtig, Terroristen einzusperren. Aber man muss die Menschenrechte einhalten. Das ist momentan nicht der Fall."
Der tunesische Sicherheitsapparat ist durchsetzt mit Kräften aus Zeiten der Diktatur. Der Präsident reagiert nach Anschlägen wie dem am Strand von Sousse mit dramatischen Worten: "Wenn sie sich so etwas wie Sousse wiederholt, dann bricht dieses Land zusammen", sagte Beji Caid Essebsi da m Fernsehen.
Ende November 2015 reißt ein Selbstmordattentäter mitten in Tunis zwölf Angehörige der Präsidentschaftsgarde in den Tod. Tunesien ist nicht zusammengebrochen. Aber es wird durch die Radikalen immer weiter geschwächt, wenn die Regierung nicht klug und entschieden reagiert.