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Tunesiens Frauen
Wächterinnen der Arabellion

Im Kampf gegen Tunesiens Diktator Ben Ali filmten viele Frauen verbotene Demonstrationen, luden die Aufnahmen bei Youtube hoch und heizten die Stimmung an. Nun sitzen sie im Parlament und in der Regierung, um für Frauenrechte und Demokratie zu kämpfen.

Von Alexander Göbel |
    Tunesierinnen demonstrieren am internationalen Frauentag 2014 in Tunis für mehr Rechte. (8.3.2014)
    Tunesierinnen demonstrieren am internationalen Frauentag 2014 in Tunis für mehr Rechte. (dpa/ picture alliance / Mohamed Messara)
    Tunis, Ende Januar 2014: Die Abgeordneten der Constituante, der Verfassungsgebenden Versammlung, feiern Tunesiens neues Grundgesetz. Monatelang haben sie über fast 150 Artikel gestritten und schließlich einen nach dem anderen verabschiedet. Fast sah es so aus, als würden sich die Delegierten nie auf einen neuen Verfassungstext einigen. Doch das lange Ringen habe sich gelohnt, sagt Mehrezia Laabidi, die Vizepräsidentin des tunesischen Übergangsparlaments.
    "Wenn wir bis jetzt gewartet haben, dann deswegen, weil wir dem tunesischen Volk gerecht werden wollten. Das Ergebnis kann nie perfekt sein, es kann nicht alle Tunesierinnen und Tunesier zufriedenstellen. Aber wir wollen diese Verfassung so gut machen, wie irgend möglich. Und wenn die Mehrheit der Bevölkerung sie auch unterstützt, dann ist das ein guter Anfang. Wissen Sie, eine Geburt ist immer schmerzhaft und mit großen Erwartungen verbunden, aber am Ende ist man doch immer froh und erleichtert, wenn das Baby da ist."
    Drei Jahre nach dem Sturz des Diktators Ben Ali ist den Tunesiern mit der Verfassung ein Kompromiss gelungen, den viele Kommentatoren als historisch bezeichnen. Denn mit dem neuen Gesetzestext können sowohl die Islamisten der Ennahda-Partei leben, als auch der säkulare Teil der Opposition. Die Abgeordnete Souad Abderrahim von Ennahda ist überzeugt: Die Verfassung bedeutet nicht nur einen wichtigen Strich unter der schweren politischen Krise der letzten Jahre, sie ist vor allem ein Sieg der Frauenfür die Frauen.
    "Ich habe dafür gekämpft, dass der Staat ein ziviler Staat sein soll, und das steht jetzt auch im Text. Ich habe mich auch für Gleichberechtigung und die Parität von Männern und Frauen stark gemacht. Als Frau bin ich sehr stolz und zufrieden, dass die weiblichen Abgeordneten für diesen Artikel gekämpft haben, der die Gleichberechtigung von Männern und Frauen garantiert."
    Gleichberechtigung per Gesetz. Das ist für die Tunesierinnen eigentlich nichts Neues. Schon unter dem alten Regime hatten sie mehr Rechte als in anderen arabischen Staaten. Doch mit dem Wahlsieg der konservativen islamistischen Ennahda-Partei im Oktober 2011 sahen viele Frauen in Tunesien ihre Freiheiten gefährdet. Unter Ben Ali war die Partei verboten gewesen, islamistische Strömungen aller Art wurden massiv unterdrückt. Doch im Zuge der ersten freien Parlamentswahl zeigte sich dann, wie groß der Einfluss von Ennahda tatsächlich war. Immer mehr Frauen trugen plötzlich Kopftuch. Während die Frauen bei Ennahdha dies als neue Freiheit feierten, nach Jahren der Repression endlich ihren Glauben ausleben zu können, warnte die säkulare Opposition vor dem Untergang der liberalen und laizistischen Werte und sprach von einem islamistischen "backlash". Wasser auf die Mühlen waren salafistische Übergriffe bis hin zu politischen Morden an linken Regierungskritikern wie Chokri Belaid oder Mohamed Brahmi im Jahr 2013.
    Tunesien stärkt sein Parlament und wendet sich vom autokratischen System ab
    Allen Sorgen zum Trotz: De facto gehen die Frauenrechte weiter als im früheren Gleichstellungsgesetz von 1956. Das müssen auch Tunesiens linke Feministinnen eingestehen. Wie jedoch diese Rechte in den Städten und vor allem im konservativen ländlichen Raum geschützt werden können, das bleibt eine andere Frage.
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    Der Politiker Mustafa Ben Jafaar zeigt das neue Gesetz (Bild: Mohammed Messara/epa) (Mohammed Messara/epa)
    Neben der Rolle der Religion war es die Rolle der Frau, die bei der Arbeit an der neuen Verfassung heftige Debatten auslöste. Und auch wenn formal Gleichberechtigung festgeschrieben ist, und selbst wenn Ehe-Scheidung und Abtreibung durch Fristenregelung, schon lange kein Thema mehr sind: Die tunesische Verfassung lässt weiter Raum für Interpretation. Umstritten ist zum Beispiel, ob die Gleichberechtigung von Männern und Frauen auch für das Erbrecht gilt, das bislang die Männer privilegiert. Unklar ist auch, wie die Frauenquote erreicht werden soll, die bereits in der Constituante angewandt wurde. Künftig sollen nämlich auch in den Regionalparlamenten genauso viele Frauen vertreten sein wie Männer.
    So viel steht immerhin fest: Tunesien stärkt sein Parlament und wendet sich ab vom autokratischen System. die Justiz soll unabhängig werden. Zumindest auf dem Papier ist die politische Macht unter den Institutionen verteilt wie nie zuvor. In Artikel 1 der Verfassung heißt es wörtlich: „Tunesien ist ein freier, unabhängiger und souveräner Staat. Der Islam ist seine Religion, das Arabische seine Sprache und die Republik seine Staatsform." Ein klares Bekenntnis zum Islam als Glaubensrichtung, aber nicht als Rechtsquelle. Die Scharia, das islamische Recht, wird keine Grundlage für staatliches Handeln sein. Aufklärungsfeindliche Strömungen sollen politisch keine Chance haben. Tunesien will weiter auf seinem Kurs bleiben, Richtung: Demokratie. Nur: Der Weg dorthin ist mühsam. Die linke Oppositionspolitikerin Rim Mahjoub:
    "Unsere Furcht ist, dass das, was wir erreicht haben, wieder rückgängig gemacht wird. Deshalb sind einige Artikel in der neuen Verfassung unumkehrbar. Wenn sie noch verbessert werden sollen, ist das der Wille der Regierung und der Zivilgesellschaft. Und wir haben zum Glück eine Zivilgesellschaft, die sehr gut aufpasst."
    Ibtihel Abdellatif hat immer gut aufgepasst, soweit ihr das möglich war, all die bleiernen Jahre der Diktatur. Heute sitzt sie auch am Wochenende ihn ihrem kleinen, fensterlosen Büro in Tunis. Die Mittvierzigerin mit dem indigoblauen Seidenkopftuch ist Vorsitzende der "Association Femmes Tunisiennes" – eines Vereins für Frauenrechte, der den Segen der Islamistenpartei Ennahdha hat.
    "Wir waren froh über die Revolution, denn seitdem werden wir als Islamistinnen endlich respektiert. Ich durfte unter Ben Ali nicht arbeiten, weil ich ein Kopftuch trage. Ich habe 1991 meinen ersten Uniabschluss gemacht, ich wollte Lehrerin werden. Erst nach der Revolution konnte ich mein Studium fortsetzen. Ich mache jetzt meinen Master über die politische Arbeit der tunesischen Frauen. Früher wäre das undenkbar gewesen."
    Um nach vorne zu schauen, müsse man zurückblicken, sagt Ibtihel Abdellatif. Erst vor dem Hintergrund der Vergangenheit werde klar, welchen Weg Tunesien zurückgelegt habe und was für ein großes Geschenk Tunesiens Revolution sei: Eine von Männern wie von Frauen getragene Revolution.
    Tunesiens Frauen waren für den Sturz des Ben-Ali-Regmies entscheidend
    "Ben Ali hat uns zerstört. Er hat unsere Gesellschaft zerrissen. Und wir müssen sie wieder zusammenbringen. Das ist nicht leicht. Wir müssen uns miteinander versöhnen, und gleichzeitig mit unserer Vergangenheit. Die Frauen spielen dabei eine große Rolle. Sie haben Tunesiens Geschichte mitgeschrieben, schon seit der Zeit, als Tunesien noch eine Kolonie war. Aber warum kennt niemand diese Frauen, ebenso wenig diejenigen, die in Ben Alis Gefängnissen gefoltert wurden?"
    Diesen Frauen eine Stimme zu geben, ist Ibtihel Abdellatifs besonderes Anliegen. Die Märtyrer der Revolution von 2010/11 seien bekannt, ebenso die Schicksale der vielen zehntausend Männer, die zu Ben Alis Zeit aus politischen oder religiösen Gründen verhaftet wurden. Doch es gebe keine Zahlen, keine Statistiken, keine Erinnerung an die Frauen, sagt die Aktivistin Abdellatif, mit Tränen in den Augen. Mühsam und schmerzhaft sei es gewesen, wenigstens einige dieser Frauen zu finden und sie zum Reden zu bringen. Bisher haben 450 Frauen für eine Dokumentation des Verein "Femmes Tunisiennes" vor der Kamera ihre Geschichte erzählt. Sie haben Zeugnis abgelegt vom Grauen der Diktatur, von unvorstellbarer Demütigung, Folter und Vergewaltigung. Die Aussagen der Frauen seien ein Appell gegen das Vergessen und für die Aufarbeitung, glaubt Ibtihel Abdellatif. Eine Mahnung an die Justiz des neuen Tunesien, die Taten nicht ungesühnt verjähren zu lassen. Und schließlich seien sie eine Aufforderung an die altlinken, säkularen Frauenverbände, endlich die ideologischen Gräben zuzuschütten. Die tunesische Gesellschaft insgesamt sei eben über Parteigrenzen hinaus gespalten - in ein islamisch-konservatives und ein liberales, säkular orientiertes Lager.
    epa04128052 Tunisian women wearing traditional veils called 'Sefseri' march during the Sefsari Day in Tunis, Tunisia, 16 March 2014. The event is organized following a call on social networking pages to 'rediscover moderation and tolerance of their Tunisian heritage'. EPA/MOHAMED MESSARA
    Frauen beim Sefsari Day in Tunis 2014 (picture alliance / dpa / Mohamed Messara)
    "Ihr im Westen, Ihr müsst versuchen, uns zu verstehen. All die Jahre wurde über uns gesprochen, aber nicht mit uns. Wir wurden verteufelt, wir wurden von unseren eigenen tunesischen Schwestern nicht als Aktivistinnen respektiert, und vom Ausland schon gar nicht. Ja, ich trage ein Kopftuch, aber ich bin genauso eine Frau wie alle anderen, ich bin ein Mensch. Und: Waren nicht auch die Frauen Menschen, die von Ben Ali zu Tode gefoltert wurden? Warum wurden sie gequält? Nur weil sie Kopftuch trugen?"
    Tunesiens Frauen haben zum Sturz des Ben-Ali-Regimes gehörig beigetragen, haben an vorderster Front gegen die Machtclique von Ben Ali demonstriert, an der tunesischen Staatszensur vorbei gebloggt, Videoclips über illegale Demonstrationen auf Youtube hochgeladen, genauso wie die Männer. Tunesiens Frauen gelten heute als besser ausgebildet als die Männer, sie haben mehr Uni-Abschlüsse; viele von ihnen haben technische Berufe und gute Arbeitschancen; viele Frauen sitzen in der Verfassungsgebenden Versammlung. Doch besonders im Hinterland werden Frauen noch immer stark benachteiligt.
    "Das größte Problem für die Frauen ist, dass sie immer an den Rand gedrängt werden, wirtschaftlich gesehen. Vor allem hier in der Bergbauregion, wir spüren die Arbeitslosigkeit noch mehr als die Männer. Die Wirtschaft ist das größte Problem."
    Ein Kabinett voller Quereinsteiger
    Meryem Tabbabi ist 36 Jahre alt, sie trägt ein schwarz-blaues Kopftuch und Jeans. Seit ihrer Geburt lebt sie in Redeyef. Die Kleinstadt tief im Süden Tunesiens ist nur wenige Kilometer von der algerischen Grenze entfernt und liegt mitten in einem riesigen Phosphatbecken. Ausgerechnet diese triste Gegend gilt vielen Tunesiern als die "Wiege der Revolution". Schon 2008 hat es in Redeyef lang anhaltende schwere Unruhen und Proteste gegeben, lange vor dem Beginn der Revolution. Meryem Tabbabi sieht sich als Erbin dieses Umbruchs. Als Wächterin der Revolution. Sie engagiert sich beim Regionalen Forum in Redeyef, einem Ableger des Weltsozialforums. Außerdem arbeitet sie für die Organisation Om El Shahid, zu Deutsch: "Mutter des Märtyrers", eine Nichtregierungsorganisation, die Frauen für politische Prozesse und Wahlen sensibilisiert. Dort hilft Meryem auch Kindern aus benachteiligten Familien bei den Hausaufgaben.
    "Vor allem die Frauen, die schon 2008 auf die Straße gegangen sind, haben eine wichtige Rolle gespielt und ein wichtiges Zeichen gesetzt, auch nach außen. Ben Ali hat sich gedacht, wenn er die Männer festnimmt, ist es vorbei, aber er musste erkennen, dass dann die Frauen die Revolution übernommen haben. Deshalb waren sie so wichtig!"
    Es sind diese Frauen, die die Rechtsanwältin und Aktivistin Radhia Nasraoui stolz machen: Ohne starke, mutige Frauen sei diese Revolution eben undenkbar.
    "Ich sehe viele Frauen in Tunesien, die das verteidigen, was wir erreicht haben. Es ist ein Teil der Kultur geworden, der Identität. Dass die Frauen einfach sichtbar sind in der Gesellschaft, dass sie sich zu Wort melden, sich politisch engagieren. Das ist etwas Normales geworden, und das ist wunderbar. Es gibt auch Frauen, die in der Wirtschaft Erfolg haben. Das alles kann man nicht mehr infrage stellen."
    Bestes Beispiel: Wided Bouchamaoui, Präsidentin des Industrie- und Arbeitgeberverbandes UTICA. Die vielleicht einflussreichste, um nicht zu sagen mächtigste Frau Tunesiens. Dass die Herren der Schöpfung sie fast schon furchtsam als "femme de fer" bezeichnen, als eiserne Lady, das stört Wided Bouchamaoui nicht. Im roten Business-Kostüm sitzt die kleine, fast zierliche Frau an einem Mahagoni-Schreibtisch. Seit Mai 2011 ist Wided Bouchamaoui Chefin des Industrieverbandes. Seitdem ging es stetig nach oben. Bis hier hinauf, in ihr riesiges Büro, das hoch über den Dächern von Tunis liegt und so groß ist wie ein Konferenzsaal.
    "Es braucht viel Mut. Die Frauen in Tunesien müssen mehr Selbstbewusstsein entwickeln, sie müssen nach vorne gehen und etwas wagen. Und die Männer müssen endlich begreifen, dass wir Frauen ihnen ebenbürtig sind. Ich sage: Frauen in Tunesien können es weit bringen, wenn sie es wollen, wenn sie kompetent sind – trotz all der Schwierigkeiten."
    Amel Kaboul ist so eine Frau. Sie hat es weit gebracht und ist aus Deutschland in ihre Heimat Tunesien zurückgekehrt: Heute ist sie Tourismusministerin in Tunesiens neuer Übergangsregierung. Amel Karboul stammt aus Djerba, hat Maschinenbau in Karlsruhe studiert und führt ein Consulting-Unternehmen. Sie passt perfekt ins Kabinett von Experten und Quereinsteigern, mit denen der neue Regierungschef Jomâa Tunesien modernisieren will.
    "Ja, das war der Anruf von Mehdi Jomâa, unserem neuen Premier, und der hat einfach gesagt: Wir brauchen Dich. Tunesien braucht Dich!"
    Vor allem junge Tunesierinnen glauben an ein demokratisches Tunesien
    In Deutschland hatte sich Amel Karboul für die Einführung der Frauenquote eingesetzt. Die Ministerposten in Tunesien wurden danach allerdings nicht vergeben: Zwei Frauen, zehn Männer. Trotzdem, betont Amel Karboul: Sie werde ernst genommen in der Männerrunde.
    "Es gibt leider nur zwei Ministerinnen und eine Staatssekretärin und ich hätte mir gewünscht, dass es mehr sind, denn Tunesien hat viele kompetente Frauen, allein in meinem Team bestimmt ein gutes Drittel, die wirklich 'top' sind. - Ich denke, dass ich einfach einen anderen Ton angehe. Vielleicht ist es mein Vorteil, keine Politikerin zu sein, ich bin einfach offen und ehrlich und direkt."
    Salafistendemos, politische Morde, Straßenschlachten, Tränengas: Lange Zeit konnten Pessimisten und Zyniker zu dem Schluss kommen, Tunesiens sogenannter "Arabischer Frühling" habe sich schon längst in einen "Winter" verwandelt, das Experiment der ersten Demokratie im arabischen Raum sei gescheitert. Doch es sind gerade die jungen Menschen, die an ihr Land glauben. Vor allem die jungen Tunesierinnen.
    "Die Emanzipation, die Befreiung Tunesiens, das ist etwas ganz Wichtiges. Und diese Emanzipation wird dann gelingen, wenn die Tunesier sich als Bürger fühlen und nicht länger als Subjekte, als Untertanen. Vor drei Jahren sind wir aufgewacht und sollten von heute auf morgen Bürger sein, aber wir wussten gar nicht, was das bedeutet und wie man das macht. Wir sind dabei, es zu lernen, Rechte zu haben und Verantwortung. Und wenn wir das eines Tages geschafft haben, dann sind wir einen großen Schritt weiter. Denn dann sind es die vielen Einzelnen, die mündigen Bürger, die die Gesellschaft tragen werden – das genaue Gegenteil der Verhältnisse, die hier früher geherrscht haben."
    Sagt Yamina, 30 Jahre, Bloggerin, Redakteurin, Kulturmanagerin. Lesbisch. Sie fühle sich emanzipiert, erzählt sie, seit sie einen Job hat und Geld verdient, das habe sie finanziell unabhängig gemacht. Und noch mutiger. Yamina hat sich ihre ökonomische Freiheit erkämpft und dabei auch persönliche Freiheit gewonnen, die es ihr erlaubt, auch in einer arabischen, patriarchalischen Gesellschaft wie Tunesien so zu leben, wie sie leben will.
    "Das ist mein Way of Life. Das werde ich nicht ändern. Nein, ich lebe weiter wie bisher. Das ist meine Art Widerstand zu leisten gegen alle Versuche, mich einzuschränken. Nur dann kann man verstehen, was Rechte sind: indem man sie lebt und dann auch verteidigt. Wir arbeiten dran, jeder auf seine Weise. Die einen machen große Schritte, die anderen kleine. Aber jeder Beitrag ist etwas wert. Ich bleibe optimistisch, schon seit der Revolution vor drei Jahren. Manchmal verzweifle ich. Es ist wie ein Kampf mit mir selbst. Aber dann wache ich morgens auf und denke: An die Arbeit! Wir alle müssen weiter an die Zukunft glauben. Wir müssen weitermachen."
    Ein Festival mit alternativer Musik - auf dem Hügel von Karthago: Am Horizont geht die Sonne unter. Zwischen antiken Säulen steht Sängerin Baadia Bouhrizi auf der kleinen Bühne und wippt zum DJ-Rhythmus. Die Stimmung ist gedämpft, nachdenklich. Baadia Bouhrizi ist auf der Suche nach Antworten. Antworten auf die Fragen, die sich in Tunesien drei Jahre nach der Revolution eine ganze junge Generation stellt: Wie gehen wir mit dem Erbe der Revolution um? Wie wollen wir leben? Wie dürfen wir leben?
    "Wir wollen den Menschen Hoffnung bringen, Hoffnung für die Kinder der Arabischen Revolutionen – in Ägypten, in Tunesien, überall. Diese Leute hier glauben daran, dass es Revolutionen der Kultur sind. Entweder eine Revolution geschieht über die Kultur, oder sie findet erst gar nicht statt. Es geht um Mentalitäten. Wir glauben an die Masse, und daran, dass wir gemeinsam etwas verändern können. Wir sind in einer Phase, in der uns niemand mehr aufhalten kann, auch nicht die Islamisten. Ich glaube fest daran, dass die Dinge sich hier ändern werden. Weil wir wollen, dass sie sich ändern. Wir sind freie Menschen, Individuen, und wir sind die Mehrheit!"